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Geschlossen an der Spitze. Die drei Parteivorsitzenden Horst Seehofer (CSU), Angela Merkel (CDU) und Sigmar Gabriel (SPD, von links nach rechts).

© dpa

100 Tage große Koalition: Edathy, Ukraine, Pkw-Maut: Wie die GroKo sich schlug

Seit 100 Tagen regiert die große Koalition. Die Führung hält den Laden zusammen - und paradoxerweise hat der Fall Edathy das Klima verbessert. Wie sehen Sie die Arbeit der GroKo, liebe Leserinnen, liebe Leser? Diskutieren Sie mit!

Von Robert Birnbaum

Johanna Wanka mag es, wenn Dinge „nicht gleich weggeworfen werden“. Der Halbsatz könnte zwar ganz gut als Kommentar zum ersten Vierteljahr der großen Koalition durchgehen. Aber die Bildungsministerin redet bloß von ihrem Faible für Flohmärkte. Trotzdem hat die Videoserie, in der Wanka dies tut, unverkennbar etwas mit der traditionellen 100-Tage-Bilanzfrist zu tun. Die Bundesregierung stellt ihre Minister vor – so erfährt nun auch die Generation Youtube, wer die Leute sind, die sie regieren.

Ansonsten halten sich die Jubiläumsfeierlichkeiten in Grenzen. An diesem Mittwoch tagt das Kabinett in Routine. Sekt ist nicht vorgesehen. Die Apfelschorle, mit der die Chefs von CDU, CSU und SPD im vorigen Dezember ihren Koalitionsvertrag besiegelten, kann sich nach Belieben jeder selber mixen. Nach Zwischenbilanz ist so recht keinem zumute. Selbst die Opposition wirkt lustlos. Sicher, FDP-Chef Christian Lindner kritisiert die zweite große Koalition unter der Kanzlerin Angela Merkel als „Anwälte des Status quo“, mit großer Mehrheit und kleiner Ambition. Aber das ist Pflichtübung eines Außerparlamentarischen.

Wer mit Akteuren des Bündnisses über ihr erstes Fazit spricht, landet früher oder später bei dem Wort „zumindest“. Zumindest, sagt ein Regierungserfahrener aus der CDU, gehe es nicht zu wie damals unter Schwarz-Gelb vor dem Höhepunkt der „Gurkentruppen“-Schimpftiraden. Zumindest, sagt einer mit längerem Gedächtnis aus der SPD, sei es nicht wie damals in der ersten großen Koalition, wo der Fraktionschef Peter Struck um diese Zeit herum die Kanzlerin vom Sonnendeck holen wollte.

Vielleicht haben beide „zumindest“ dazu beigetragen, dass der Fall Edathy sich nicht zu der massiven Krise ausgeweitet hat, die aus ihm hätte werden können. Die Affäre um den Ex-SPD-Abgeordneten, die den CSU-Minister Hans-Peter Friedrich zum Rücktritt gezwungen und dem SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann den Rückzug nur knapp erspart hat, ist zwar nicht vergessen. Aber diese erste ernste Belastungsprobe hat zugleich gezeigt, dass die Beziehung der drei Parteivorsitzenden Angela Merkel, Sigmar Gabriel und Horst Seehofer dem Stress gewachsen ist.

Die SPD-Minister sind präsenter

Das Trio hat die ungeliebte Koalition zusammengebracht und hält sie bisher beieinander – vielleicht der gravierendste Unterschied zu den letzten Regierungen, in denen jeder Konflikt bis in die Spitzen reichte oder sogar von dort seinen Ausgang nahm. Die Edathy-Krise hat eine verärgerte CSU und einen verstörten SPD-Fraktionschef hinterlassen. Auf paradoxe Art jedoch hat sie das Mikroklima in der Koalition sogar verbessert.

Zwar beschwert sich die Basis von CDU und CSU immer noch bei ihren Abgeordneten, dass da in Berlin ja wohl bloß die SPD-Minister Erfolge feierten. Aber die SPD nimmt auf diese Empfindlichkeiten im Moment jedenfalls Rücksicht. „Dass der Mindestlohn bald im Gesetzblatt steht“, hat SPD-Chef Gabriel neulich gesagt, „ist ein gemeinsamer Erfolg der SPD, der Gewerkschaften und auch der Union.“ Die Union hätte er vor ein paar Wochen noch glatt vergessen.

Ansonsten ist der Eindruck der Unionsbasis schon richtig. Öffentlich prägen SPD-Minister das innenpolitische Bild von Schwarz-Rot: Andrea Nahles mit den Gesetzesvorhaben zum Mindestlohn und zur Rente, Sigmar Gabriel mit der Energiewende. Selbst die Ausweitung der Lkw-Maut, die CSU-Verkehrsminister Alexander Dobrindt am Dienstag pünktlich zum Jubiläum verkündete, war ursprünglich eine SPD-Wunschidee.

Jenseits der parteipolitischen Eifersüchteleien ist allerdings auch festzuhalten: Hier werden immerhin gesellschaftspolitische Großkonflikte behandelt und nicht nur Hotelsteuerrabatte. Und bei allen Mäkeleien und kritischen Stimmen ist bisher der Versuch erfolgreich verlaufen, die Abmachungen des Koalitionsvertrags nicht gleich wieder zu zerreden.

Größtes Glanzstück auf Unionsseite bleibt bisher die Ankündigung des Finanzministers, dass der nächste Haushalt schuldenfrei wird. Aber von Wolfgang Schäuble hatte das eh jeder erwartet. Größtes Aufsehen auf Unionsseite hat Ursula von der Leyen erregt – freilich nicht nur zur Freude der eigenen Truppen. Ihr Eintreten für mehr Engagement in Afrika oder für mehr „Präsenz“, die die Nato in der Ukraine-Krise an ihrer Ostgrenze zeigen müsse, lassen erste Zweifel an Merkels Kabinettscoup keimen, die forsche Frau aus Hannover zur Verteidigungsministerin zu machen.

Was ist mit der Pkw-Maut?

Der Ukraine-Spruch übrigens verweist auf das dritte „zumindest“: Noch jede Regierung der Nach-Kohl-Ära ist – meist früher als später – von einer Weltkrise überrascht worden. Für Merkel ist der neue Kalte Krieg an Europas Ostgrenzen so frustrierend und fordernd wie für Frank-Walter Steinmeier. Der Kanzlerin wie dem SPD-Mann an der Spitze des Außenministeriums bietet die Krise zugleich die Chance, ihr Image als verantwortungsvolle Staatenlenker zu untermauern. Das gilt umso mehr, als auch die grüne Opposition ihren Kurs unterstützt und nur die Linke sich dagegenstellt. Der Konflikt zwischen den beiden lähmt die ohnehin schon ungewöhnlich kleine Opposition. Dass die große Koalition bisher relativ problemlos regiert, hängt auch mit dieser Schwäche ihrer Gegner zusammen.

Keine strahlende Bilanz nach 100 Tagen also, aber auch keine rabenschwarze. Für die Zukunft heißt das nicht viel. Noch sind die großen Gesetzesvorhaben höchstens Entwürfe, viele nur „Eckpunkte“. Ob die Energiewende gelingt oder sich im Streit mit Länderinteressen festfährt, ist völlig offen. Den Beweis, dass eine Pkw-Maut nur für Ausländer funktioniert, ist die CSU auch noch schuldig. Ob der SPD ihre Erfolgsmeldungen aus dem 25-Prozent-Tal heraushelfen – keiner weiß es. Potenzial für Krawall und Krisen lauert da allemal. In der Koalition jedenfalls gibt sich niemand der Illusion hin, dass der gegenwärtige Burgfrieden vier Jahre lang anhält. Dass aber das Bündnis spätestens nach zwei Jahren auseinanderfliegen wird – die Prognose ist in den ersten 100 Tagen leiser geworden. Das also zumindest.

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