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Akten im NSU-Prozess.

© dpa

112. Tag im NSU-Prozess: Thüringer LKA observierte offenbar NSU-Kurierdienste

Die Sicherheitsbehörden waren dem NSU-Trio kurz nach dessen Abtauchen im Jahr 1998 offenbar dicht auf der Spur. Ein Zeuge sagte im Münchner Prozess aus, das Thüringer LKA habe ihn bei seinen Kurierdiensten für das Neonazi-Trio beobachtet.

Von Frank Jansen

Er gibt sich verstockt, antwortet auf Fragen nicht, dann redet er doch. „Ich hab’ zum Beispiel ’ne Tüte nach Zwickau gefahren, zu ’nem McDonald’s Parkplatz an der Autobahn“, sagt Jürgen H. Nach und nach gibt er am Montag im NSU-Prozess am Oberlandesgericht München zu, 1998 für die untergetauchten Neonazis Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe als Kurier tätig gewesen zu sein. Der 38-jährige Kraftfahrer, der zumindest damals auch der rechtsextremen Szene in Jena angehörte, berichtet zudem von konspirativen Telefonaten mit Mundlos und Böhnhardt. So kommt der langwierige Prozess am 112. Verhandlungstag ein paar Schritte weiter. Sichtbar werden weitere Fäden im Netzwerk der Helfer des NSU.

"Ich hab' die Aufträge entgegengenommen"

Unangenehm ist die Aussage von  Jürgen H. vor allem für die Angeklagten Ralf Wohlleben, ehemals Vizechef der Thüringer NPD, sowie Carsten S. und Holger G. Von Wohlleben und Carsten S. sei ihm gesagt worden, zu welcher Telefonzelle er gehen sollte. Dort wurde er von Mundlos oder Böhnhardt angerufen, einmal sogar aus der Schweiz. „Ich  hab’ die Aufträge entgegengenommen, dann hab’ ich sie bearbeitet“, sagt Jürgen H. So brachte er die Tüte mit CD-Hüllen, in denen 250 D-Mark steckten, und „Anziehsachen“ zu dem Parkplatz bei Zwickau. Dort  übergab er sie einem Mann, der ein schwarzes Kapuzen-Shirt trug. Wer der Empfänger war, wisse er nicht, sagt Jürgen H. Den Inhalt der Tüte soll Wohlleben zusammengestellt haben.

Weitergabe einer Waffe ist Jürgen H. nicht nachzuweisen

Ein Päckchen, mutmaßlich ausgehändigt von Wohlleben oder Carsten S., will Jürgen H. innerhalb von Jena zu einem „dunklen Hauseingang“ der Ruine einer Brauerei gebracht haben. Auch dort wartete ein Kapuzenmensch. Was in dem Päckchen war, will Jürgen H. nicht gesehen haben. Der Polizei sagte er 2012, „mit heutigem Wissen“ vermute er, es könnte eine Waffe gewesen sein. Im Prozess gibt er dazu nur verdruckste Antworten. Nachzuweisen ist Jürgen H. die Weitergabe einer Waffe nicht. Und die Hilfsdienste, die der Zeuge zugibt, sind verjährt.

So erzählt er dann auch, in Jena mit Carsten S. zur Wohnung von Beate Zschäpe gefahren zu sein, kurz nachdem sie sich abgesetzt hatte. Carsten S. habe „persönliche Papiere und Anziehsachen“ von Zschäpe herausgeholt. Plötzlich kam Polizei. „Gekriegt haben sie uns nicht“, sagt Jürgen H., die Stimme klingt jetzt entschlossen. Dann schildert er auch seine Rolle bei der finanziellen Hilfe für die untergetauchten Drei.

Antisemitisches Brettspiel in rechter Szene verkauft

Jürgen H. deponierte in seiner Wohnung, unter dem Bett, etwa 20 Exemplare des Brettspiels „Pogromly“. Die wüst antisemitische Variante von „Monopoly“ hatte Mundlos alleine, vielleicht auch mit Böhnhardt und Zschäpe entworfen. „Es geht darum, die Städte judenfrei zu kriegen“, sagt Jürgen H. Die 20 Stück habe er von Wohlleben oder Carsten S. erhalten. Drei oder vier Exemplare habe er für je 100 D-Mark an Bekannte aus der rechten Szene verkauft. Vermutlich zum Verkauf an Sympathisanten sollen außerdem Wohlleben, Carsten S. und Holger G. mehrere der bei H. gelagerten Spiele geholt haben. Das Geld soll dann an Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe geflossen sein. Die drei waren klamm, bevor Mundlos und Böhnhardt im Jahr 1999 eine Serie von Raubüberfällen begannen.

Die Aussage von Jürgen H. ist auch aufschlussreich, weil er berichten kann, wie nahe die Sicherheitsbehörden an ihm dran waren. Das Thüringer Landeskriminalamt befragte ihn 1999, da war H. bei der Bundeswehr, zu seinen Kontakten zu den drei Untergetauchten. „Die haben mich beschattet“, sagt Jürgen H. Das LKA hatte alles mitbekommen: die Übergabe von Tüte und Päckchen in Zwickau und Jena sowie die Fahrt mit Carsten S. zu Zschäpes Wohnung. Doch Jürgen H. konnte oder wollte den Beamten nicht sagen, wo Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe sich versteckt hielten. Und er verweigerte sich auch dem Thüringer Verfassungsschutz.

Ein Mitarbeiter des Nachrichtendienstes sprach Jürgen H. an und bot Geld für Informationen über Ralf Wohlleben. Doch Jürgen H. wollte nicht, der Verfassungsschutz ließ aber nicht locker. Jürgen H. informierte Wohlleben, die beiden überlegten offenbar eine Gegenstrategie. Beim zweiten Treffen mit dem Nachrichtendienstler hatte H. ein Tonband dabei. Was er mit der Aufnahme dann gemacht hat, sagt Jürgen H. nicht.

Trotzig verhielt er sich auch bei einem Gespräch mit dem Militärischen Abschirmdienst (MAD), dem Nachrichtendienst der Bundeswehr. Der MAD sprach mit dem im Januar 1999 zum Wehrdienst eingezogenen Jürgen H. über die Kurierfahrten für Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe. „Die haben mich gefragt, ob ich das wieder machen würde“, sagt der Zeuge, „das habe ich mit ,ja’ beantwortet“. Obwohl er nach einem Jahr Hilfe für die drei gar nicht mehr wollte und das auch Wohlleben und Carsten S. mitgeteilt hatte. Die Übergabe des Päckchens in Jena, in dem womöglich eine Waffe war, hatte bei Jürgen H. ein „komisches Gefühl“ ausgelöst.

Persönliche Verbundenheit mit Uwe Böhnhardt

Dass er sich überhaupt darauf eingelassen hatte, sich als Kurier einspannen zu lassen,  ist offenbar nicht nur mit rechtsextremer „Kameradschaft“ zu erklären. H. fühlte sich offenbar vor allem Uwe Böhnhardt verbunden. Die zwei waren gemeinsam von ihren Familien ausgerissen. Im Alter von 15, 16 Jahren, so berichtet es der Zeuge, hätten er und Böhnhardt „Fahrzeuge entwendet“. Sie hätten abhauen wollen, sagt Jürgen H., „wir hatten Probleme mit Zuhause“. Die Polizei stellte die beiden.

Was er dann noch über Böhnhardt weiß, klingt so gruselig wie hellsichtig. 2012 sagte Jürgen H. im Verhör bei der Polizei, ihm sei klar gewesen, „Böhnhardt würde auch mit Waffen kämpfen“. Böhnhardt habe Ausländer gehasst und geäußert, es wäre für sie am besten, „sie würden vergast“. Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl konfrontiert Jürgen H. mit den harten Zitaten, die Antworten sind meist ein knappes „ja“.

Vielleicht ist es dem Zeugen unangenehm, dass er früh ahnte, was Böhnhardt zuzutrauen war und trotzdem half. Uwe Böhnhardt kannte in seinem Ausländerhass keine Grenzen. Gemeinsam mit Uwe Mundlos erschoss er neun Migranten türkischer und griechischer Herkunft.

Beate Zschäpe hört sich die Aussage von Jürgen H. nahezu regungslos an. Steinerne Miene, die Arme verschränkt. Von ihrer Erkrankung scheint sie sich erholt zu haben. Anfang Mai hatte sie über Magenschmerzen und weitere Beschwerden geklagt, die Verhandlung fiel in der Woche weitgehend aus. Der Landgerichtsarzt nannte in seinem Befund eine „psychovegetative Erschöpfungsreaktion“. Ob sich Zschäpe nun wieder stabilisiert hat oder psychisch angeschlagen bleibt, ist am Montag nicht zu erkennen.

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