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Seit die Bürger aus den acht Ländern der ersten Osterweiterungsrunde sich in Deutschland ohne Einschränkung einen Job suchen können, ist die Beschäftigungsquote stark gestiegen.

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15 Jahre EU-Osterweiterung: „Die Zuwanderung aus Osteuropa ist ein Erfolgsmodell“

2004 waren die Sorgen noch groß: Bringen mehr Mitgliedsländer mehr Arbeitslosigkeit und sinkende Löhne? Nein! Ökonomen feiern die Folgen der EU-Erweiterung.

Von der Zuwanderung durch die EU-Osterweiterung hat Deutschland in den letzten Jahren stark profitiert. „Arbeitskräfte aus Osteuropa haben dazu beigetragen, den Mangel an Fachkräften auszugleichen“, sagt der Ökonom Herbert Brücker, der beim Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) den Forschungsbereich zur Migration leitet. Aber auch Hilfskräfte im Dienstleistungsbereich, etwa im Reinigungsgewerbe oder der Gastronomie, würden in Deutschland derzeit gesucht.

„Viele Zuwanderer haben hier einen Job gefunden, die Beschäftigungsquoten sind stark gestiegen. Eine massenhafte Zuwanderung in die Sozialsysteme können wir nicht beobachten“, sagt der Arbeitsmarktexperte. Im Gegenteil, der Anteil der Leistungsbezieher sei leicht gesunken.

Vor 15 Jahren, am 1. Mai 2004, traten in einem ersten Schritt acht mittel- und osteuropäische Staaten der Europäischen Union bei, darunter Polen und Ungarn. Drei Jahre später folgten Rumänien und Bulgarien. Seitdem sind etliche Arbeitskräfte aus diesen Ländern nach Deutschland gekommen. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit, die es EU-Bürgern erlaubt, innerhalb der Europäischen Union ihren Arbeitsplatz frei zu wählen, sei „eine Erfolgsgeschichte“, urteilt der Arbeitsmarktexperte Brücker.

Seit die Bürger aus den acht Ländern der ersten Osterweiterungsrunde – Polen, Ungarn, Tschechien, die Baltischen Staaten und Slowenien – sich in Deutschland ohne Einschränkung einen Job suchen können, ist die Beschäftigungsquote (Anteil der Beschäftigten an der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter) in dieser Bevölkerungsgruppe stark gestiegen. Im April 2011, also im Monat vor Einführung der Freizügigkeit, lag sie bei 34 Prozent, im Januar 2019 schon bei 53,4 Prozent – ein Plus von mehr als 19 Prozentpunkten. Bei den Bürgern aus den Ländern der zweiten Osterweiterungsrunde, Bulgarien und Rumänien, sind die Beschäftigungsquoten sogar um 26 Prozentpunkte gestiegen.

Die Arbeitslosenquoten seien seit Einführung der Freizügigkeit insgesamt deutlich gesunken

Einen vergleichbaren Anstieg gab es in der Vergangenheit noch für keine andere Migrantengruppe in Deutschland. „Einwanderer aus Osteuropa stehen auf dem deutschen Arbeitsmarkt besser da als Menschen, die aus den übrigen EU-Staaten gekommen sind“, sagt Brücker. Hinzu kommt, dass noch nicht einmal die Arbeitnehmer in den Beschäftigungsquoten eingerechnet sind, die in Deutschland arbeiten, aber noch in ihrem Heimatland wohnen (bei den Ländern der ersten Erweiterungsrunde sind das 130 000 von 730 000 Beschäftigten).

Grundsätzlich gebe es in dieser Personengruppe – mit Ausnahme der Bulgaren – auch „kein größeres Problem“ mit Arbeitslosigkeit, sagt Brücker. Die Arbeitslosenquoten seien seit Einführung der Freizügigkeit insgesamt deutlich gesunken – von 14,6 Prozent im April 2011 auf 8,1 Prozent im Januar 2019. Dabei hatten etliche EU-Staaten befürchtet, billige Arbeitskräfte aus Osteuropa würden in den alten Mitgliedsländern für steigende Arbeitslosigkeit und sinkende Löhne sorgen. Viele Mitgliedstaaten, darunter Deutschland, beschränkten deswegen den Zugang zu ihren Arbeitsmärkten noch für einige Jahre. Die Zuwanderung aus Polen und dem Baltikum konzentrierte sich zunächst vor allem auf Großbritannien und Irland, die von Anfang an volle Freizügigkeit gewährten. Mit der Finanz- und Wirtschaftskrise drehte sich das Bild jedoch. Je besser Deutschland wirtschaftlich da stand und je schlechter es den Nachbarländern in Südeuropa ging, desto mehr wurde Deutschland zum interessanten Zielland für Einwanderer aus Osteuropa. Zuletzt sorgte der drohende Brexit dafür, dass inzwischen unter dem Strich mehr Osteuropäer Großbritannien verlassen als neu zuwandern. „Der Brexit ist schon eingepreist“, sagt Brücker.

Generell ist jedoch das Potenzial an Arbeitskräften aus Osteuropa rückläufig. Selbst die Zuwanderungszahlen aus Rumänien und Bulgarien, die erst später zur EU dazustießen, sinken. „Die Wanderungsbereiten sind bereits gekommen“, sagt Brücker. Dieser Rückgang müsse in den nächsten Jahren durch Einwanderung aus Nicht-EU-Staaten mehr als ausgeglichen werden. „Die deutsche Wirtschaft braucht zusätzliche Arbeitskräfte“, sagt der Arbeitsmarktforscher. Umso wichtiger sei ein funktionierendes Einwanderungsgesetz. Die Hürden für die Fachkräftezuwanderung seien zu hoch, etwa bei der Anerkennung von Abschlüssen. Brücker plädiert dafür, aus den Erfahrungen mit der Osterweiterung zu lernen: „Was wir in der EU erfolgreich erprobt haben, sollten wir weiter ausdehnen.“

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