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Großen Reden werden am 23. Mai geschwungen, denn an diesem Tag feiern die Sozialdemokraten ihr 150-jähriges Bestehen.

© dpa

150-jähriges Parteijubiläum: Wofür steht die SPD?

Die SPD feiert am 23. Mai ihr 150-jähriges Bestehen. Eines ihrer Mitglieder, Heike Hoffmann, ist 15 Jahre alt und neu in der Partei. Dietrich Masteit ist 90 und schon seit den 1950ern dabei. Warum beide für das Gleiche kämpfen.

Von Katrin Schulze

Die junge SPD ist leichtfüßig. Sie geht ganz locker und beschwingt, ja hüpft beinahe. Als wäre sie völlig sorgenfrei. Für ihr Alter hat sie zudem eine stattliche Größe. Sie ist zierlich, und ihre wilden Locken hat sie heute mit einem Zopf gebändigt. Heike Hoffmann ist auf dem Weg zum „KSH“, wie sie es nennt. Das Kurt-Schumacher-Haus ist die Berliner SPD-Zentrale. Ein schmuddeliges, unscheinbares Gebäude, das nicht zur jungen SPD passen mag.

15 Jahre alt ist Heike Hoffmann. Sie ist eine Verbindung eingegangen mit einem Verein, der 135 Jahre älter ist. Die Anfänge des Vereins hat Heike Hoffmann nicht mitbekommen, nicht, wie er groß wurde, und auch nicht die vielen Kämpfe, die er in seinem langen Leben austrug. Trotzdem fühlt sie sich zum ihm hingezogen. Dass es, wenn dann, die SPD werden soll, war immer klar. Für Heike Hoffmann ist sie die Partei, „die in der Geschichte viel bewegt hat“. Außerdem ist sie ein Stück Familiengeschichte. Ihr Großvater war genauso in der Partei wie die Mutter. Schon als Heike Hoffmann ganz klein war, bekam sie mit, dass es ein gutes Zeichen ist, wenn der rote Balken bei der Auswertung der Wahlergebnisse weit nach oben klettert.

Aber, und das ist ihr wichtig, die Familie habe sie bei der Entscheidung nicht beeinflusst, die Mutter sei sowieso schon länger nicht mehr aktiv dabei. Heike Hoffmann hat sich umgehört, wie sie sich am besten einbringen kann – und kam auf die SPD. Die Erklärung, die der 15-Jährigen zuerst dafür einfällt, könnte auch von einem Altmitglied stammen: „Die SPD möchte allen die gleichen Chancen gewähren, niemanden ausschließen. Sie steht für soziale Gerechtigkeit.“ Vor einem Jahr hätte Heike Hoffmann diesen Satz wahrscheinlich noch nicht so formuliert. „Da hatte ich ja noch ein ganz normales Teenieleben und wusste nicht, was eine Gender Pay Gap ist.“ Jetzt schon. Jetzt nimmt sie auch an Sitzungen und Seminaren teil, schreibt Anträge, streitet sich und lässt sich beschimpfen. Freiwillig.

Am Tag, als sich Heike Hoffmann gegen ein ganz normales Teenagerleben entschied, war es brütend warm. Der 19. August 2012 wird als der heißeste Tag des Jahres geführt. 36 Grad. Da kann man schon mal kurz den Verstand verlieren. Doch Heike Hoffmann war ganz bei sich, als sie das Formular im Internet öffnete. Ein paar Klicks, ein paar persönliche Daten, und schon war sie drin. Heike Hoffmann wurde rot. Mitglied 80033097 in der SPD. Und seither muss sie immer wieder diese eine Frage beantworten: Warum?

Wer im dritten Jahrtausend, zumal in so jungen Jahren, einer Partei beitritt, gilt als exotisch, vielleicht auch als verrückt, schrumpfen doch alle größeren Parteien. Die Sozialdemokraten zählten zum Ende des vergangenen Jahres noch 477 037 Mitglieder. Seit ihrer Wiedergründung nach dem Zweiten Weltkrieg waren es nie weniger; seit 1990 hat sich die Partei personell halbiert.

Heike Hoffmann arbeitet gegen den Trend. Während ihre Freunde durch die Gegend ziehen, feiern oder in einen Sportverein gehen, erledigt sie Parteiarbeit – als eine von 16 516 Mitgliedern in Berlin. Sie will etwas bewirken, sagt sie, aktiv sein, nicht nur meckern. „Scheiß SPD“, sagte ein Mitschüler einmal – wirklich etwas anfangen mit Politik können die meisten in ihrem Alter aber nicht. Für Heike Hoffmann ein Grund mehr, sich zu engagieren. „Ich habe mich schon früh für Politik interessiert, aber ich konnte mit niemandem wirklich darüber reden.“ Bei den Jungsozialisten, den Jusos, kann sie das. Sich austauschen, ihre Interessen teilen.

Kaum geht Hoffmann durch die schwere rote Tür der SPD-Zentrale, da fällt ihr die erste Genossin auch schon um den Hals. Wie geht’s? Alles gut? Hier kommt Heike Hoffmann an, hier kennt sie sich aus. Die Jusos treffen sich öfter zu Besprechungen im Kurt-Schumacher-Haus. Aber wer ist das eigentlich, dieser Kurt Schumacher? Bevor die Schülerin der Partei und den Jusos beitrat, war das für sie nicht mehr als der Name einer Autobahnbrücke. Inzwischen weiß sie, dass Schumacher der Partei nach dem Zweiten Weltkrieg lange vorsaß. Schumacher, Brandt, Schmidt: Natürlich kennt Heike Hoffmann die Köpfe ihrer Partei. Beim Stichwort „Godesberger Programm“ allerdings muss sie passen.

Das Godesberg der jungen SPD ist die Agenda 2010

Dietrich Masteit (90) ist seit 1952 Mitglied der SPD. Außerdem war er im Berliner Landesvorstand der „Falken“. 1971 wurde er Mitglied des Abgeordnetenhauses und setzte sich dort vor allem für das Rauchverbot in Bussen und U-Bahnen ein. Hauptberuflich war er Direktor der Volkshochschule Kreuzberg.
Dietrich Masteit (90) ist seit 1952 Mitglied der SPD. Außerdem war er im Berliner Landesvorstand der „Falken“. 1971 wurde er Mitglied des Abgeordnetenhauses und setzte sich dort vor allem für das Rauchverbot in Bussen und U-Bahnen ein. Hauptberuflich war er Direktor der Volkshochschule Kreuzberg.

© Uwe Steinert

Dietrich Masteit kommt bei dem Thema, unter dem die SPD einst fast zerbracht, erst richtig in Schwung. Seine Augen beginnen zu funkeln, als wäre er bereit, sofort wieder darüber zu streiten. „Das Godesberger Programm war viel zu bürgerlich“, sagt er und klopft, um dem Satz mehr Kraft zu geben, mit seinen Fingern auf den Küchentisch. „Daran mussten wir lange knabbern. Bis wir irgendwann eingesehen haben, dass es ein richtiger Schritt war.“ Weil die SPD damit für viele Deutsche zu einer echten Alternative mutierte.

Gute sieben Jahre lang war Masteit in der Partei, als das Grundsatzprogramm in der Stadthalle zu Bad Godesberg verabschiedet wurde. Während des Studiums trat er bei, nachdem er im Krieg erkannt hatte, welcher Wahn- und Irrsinn aus einer Diktatur erwachsen kann. Dietrich Masteit, Mitglied 7/9-44-70/52, ist einer der ältesten Sozialdemokraten der Stadt. Und er war seit 1945 immer ein bisschen linker als die meisten anderen seiner Parteifreunde. Bis heute. Seine Stimme ist mit dem Alter, 90 Jahre ist er inzwischen, ein wenig brüchiger geworden, seine Überzeugung nicht.

Das Godesberg der jungen SPD ist die Agenda 2010. So lässt sich Heike Hoffmanns Reaktion jedenfalls deuten. Sie redet wie aufgezogen. Viel schiefgelaufen sei da, Korrekturen seien überfällig – so etwa lautet die Kurzform. Als Gerhard Schröder, der Vater der Agenda zum dritten sozialdemokratischen Kanzler gewählt und das Land erstmals rot-grün regiert wurde, lernte Heike Hoffmann gerade laufen. Das erste Gesicht der Partei ist für sie das von Klaus Wowereit. Den Regierenden Bürgermeister der Stadt hat sie schon als kleines Kind bei einem Fest der Partei in ihrem Bezirk gesehen.

Heute seien Themen und Vielfalt der Partei für sie wichtiger als Gesichter, sagt Heike Hoffmann und meint zum Beispiel die Gleichstellung der Homoehe und gerechte Bildungschancen. Die Sache mit den Gesichtern sei überhaupt schwierig, denn auch bei Peer Steinbrück dürfe man seine Vergangenheit nicht vernachlässigen. „Er war schließlich Mitbauer der Agenda 2010.“ Für ihn kämpfen wird sie natürlich trotzdem. Vor einer Weile hat sie ihn im Rahmen einer Veranstaltung in Berlin sogar angesprochen. „Hallo, Peer“, sagte sie. Heike Hoffmann hat schnell gelernt, dass sie die Kassiererin im Supermarkt zwar siezen, den Kanzlerkandidaten der SPD aber duzen soll. Genossen-Ethik.

Die sozialdemokratischen Werte und der Wille, etwas zu bewegen

Heike Hoffmann (15) ist der SPD im August 2012 beigetreten. Neben der Schule engagiert sie sich als stellvertretende Wahlkampfbeauftragte der Jusos in Charlottenburg-Wilmersdorf und als Sprecherin der Juso-Schüler in Berlin.
Heike Hoffmann (15) ist der SPD im August 2012 beigetreten. Neben der Schule engagiert sie sich als stellvertretende Wahlkampfbeauftragte der Jusos in Charlottenburg-Wilmersdorf und als Sprecherin der Juso-Schüler in Berlin.

© Mike Wolff

Dass sie dazugehört, zeigt Heike Hoffmann selbstbewusst. Einen Jutebeutel mit Juso-Emblem trägt sie mit sich herum, und um ihr Handgelenk baumelt ein Band von einem linken Festival, bei dem sie mit den Jusos am vergangenen Wochenende war. Etwa 15 Stunden in der Woche gehen für die SPD drauf, oft braucht sie eine Befreiung vom Schulunterricht. So hat sie es nach kurzer Zeit zur Sprecherin der Juso-SchülerInnen in Berlin gebracht, und inzwischen wurde sie auch zur stellvertretenden Wahlkampfbeauftragten der Jusos im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf berufen. Trotzdem ist sie meistens die Jüngste im Team.

Die alte SPD kommt ursprünglich auch aus Charlottenburg und war hier jahrelang aktiv. Jetzt wohnt sie im zehnten Stock eines Mietshauses in Berlin-Westend und blickt über den Grunewald und den Teufelsberg. „Schön, nicht?“, sagt Dietrich Masteit. Mit seinen 90 Jahren lässt er es ruhig angehen. Hier eine Skatrunde mit Parteifreunden und dort mal eine kleine Putzaktion rund um das Olympiastadion – das reicht. Krawall gemacht hat er lange genug. Dreimal saß Dietrich Masteit in den 1970er Jahren im Berliner Abgeordnetenhaus – und eckte vor allem mit seinem vehementen Kampf gegen die Raucher-Lobby an. Er sagt: „Es gibt Abgeordnete, die zur Sitzung kommen, die Hand heben, wenn die Fraktion es will, und sonst nur ihre Diäten kassieren.“ Und es gibt Menschen wie ihn.

Große Politik beginnt im Kleinen. Heike Hoffmann erlebt das jeden Tag, und Dietrich Masteit hat das spätestens in seiner Zeit als Abgeordneter begriffen, als er kleine Briefe, Mini-Zeitungen sozusagen, bastelte, die er in seinem Bezirk verteilte. 16 000 Stück, für jeden Haushalt eine. Ein Exemplar hat er jeweils aufgehoben, chronologisch sortiert in einer Pappkiste. Auf der ersten Seite wirbt Masteit da für Dampfer- und Stadtrundfahrten, Bürgerfeste und Sprechstunden, ansonsten steht etwas drin zu den Themen, die dem hauptberuflichen Volkshochschuldirektor wichtig waren.„Bildung lag mir immer am Herzen“, sagt er.

Bei Herzensangelegenheiten hat die SPD Dietrich Masteit übrigens auch privat geholfen: Seine zweite Frau Helga lernte er bei der Parteiarbeit kennen. Heute reden beide oft über die alten Zeiten und diskutieren darüber, wofür die SPD stehe. „Im Wesentlichen für ähnliche Dinge wie damals. Freiheit und soziale Gerechtigkeit“, sagt Masteit. 75 Jahre trennen Heike Hoffmann und Dietrich Masteit. Was sie verbindet, sind die großen sozialdemokratischen Werte. Und der Wille, etwas zu bewegen.

Heike Hoffmann bringt sich ein, obwohl sie nicht mitentscheiden wird, wenn im September die Bundestagswahlen anstehen. Ihr Ziel ist, möglichst viele Erstwähler dazu zu bringen, ihre Stimmen der SPD zu schenken. Und ein kleines persönliches Ziel hat sie auch noch. Bald wird sie in der Schule das Fach Politische Bildung haben. „Das werde ich rocken“, sagt sie.

Dietrich Masteit kann nicht übermäßig viel mit dieser Formulierung anfangen, weiß aber grob, was gemeint ist. Seine Söhne und Enkel hat er nie überzeugen können, in die Partei einzutreten. „Aber es ist gut, dass es junge Menschen gibt, die sich engagieren und für eine gute Sache kämpfen“, sagt er. Menschen, die so sind wie er in seinen besten Jahren.

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