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Das britische Topmodel Twiggy.

© DPA

1968 - 50 Jahre Studentenrevolte: Frau trägt kurz - auch wenn's unpraktisch ist

Anfangs protestierten die Studenten noch mit Schlips und Kragen. Das änderte sich schnell. Und bald war auch die Mode revolutionär.

Für die Mode gibt es kaum einen größeren Horror als den klassischen Alt-68er. Er beharrt darauf, dass die Gestaltung von Kleidung völlig unwichtig, ach was, Teufelszeug der Konsumwelt ist. Kein Wunder, dass es wohl kaum je einen Ort gab, an dem über Modetrends weniger gesprochen wurde als in den Hörsälen, den Wohngemeinschaften oder gar auf Demonstrationen um 1968.

Und doch war diese bis heute ganz und gar unmodische Spezies wichtig für die Neuordnung der Mode und für die Haltung, mit der wir uns heute kleiden. Auf historischen Bildern sieht man, wie unbedingt eine ordentliche Aufmachung noch um 1968 zum Straßenbild gehörte: Studenten protestierten in Schlips, Anzug und Staubmantel, Studentinnen trugen Rock zum züchtigen Wollpullover. Wenige Jahre später trugen dieselben jungen Menschen Parka und Jeans, die Frauen hatten Hosen und die Männer lange Haare.

Mode ist immer ein Abbild der Gesellschaft. Damals wurde der Grundstein dafür gelegt, dass heute jeder so aussehen kann, wie er will. Von der Mode lässt sich kaum jemand mehr etwas vorschreiben, und die Dekade, in der sich das grundlegend geändert hat, waren die sechziger Jahre. Die viel besungene Straße begann wichtiger zu werden als das, was in den Couture-Häusern in Paris gezeigt wurde. Fast rührend mutet es an, wie sich alteingesessene Modeschöpfer bemühten, ihre Vorherrschaft aufrechtzuerhalten, indem sie das, was sie auf der Straße sahen, in ihre Entwürfe aufnahmen.

Twiggy oder Brigitte Bardot

Zum ersten Mal machte die Übermacht der Jugend den Älteren Angst. Sie war nicht mehr nur ein kurzer Abschnitt im Leben, bis die Flausen ausgetrieben waren – sie gab vor, was wirklich schick war. Mannequins sahen seit dem Erscheinen der Engländerin Twiggy nicht mehr damenhaft aus, sondern wie magere Kinder. Das andere Vorbild war die Schauspielerin Brigitte Bardot, die mit ihrer vitalen Körperlichkeit mal Bewunderung auslöste, mal Schrecken verbreitete.

Die Vormachtstellung der Modehäuser bröckelte, als für eine neue Generation Popkultur wichtiger wurde als der richtige Strumpf zum knieumspielenden Kostüm. In Paris gab es Yves Saint Laurent und den jungen Karl Lagerfeld, aber die Musik spielte in den USA und in London. Dort erfand Mary Quant Mitte der Sechziger den Minirock. Als Twiggy darin fotografiert wurde, hatte die junge Generation ein neues Idol, das unverhohlen die Jugend feierte, mit kurzem Pixie-Haarschnitt, großen Kulleraugen, dünnen Beinen und spitzen Hüftknochen.

"Wie weit das Kinderwesen von der Seine Vorbild auch für weniger fragile Damen aus anderen Gegenden Europas und der Welt sein soll", fragte sich die Moderedakteurin Cordula Moritz im April 1966 im Tagesspiegel. Das Korrektiv sah sie in der Berliner Mode. Ihre Zusammenfassung der Pariser Rocklängen endet mit einem hoffnungsfrohen: "Was wohl die Berliner Couturiers daraus machen?"

Noch 1963 demonstrierten die Chefs von Berliner Modehäusern wie StaebeSeger, Gehringer & Glupp und Schwichtenberg ihre Macht auf einem Gruppenfoto von Helmut Newton für das Modemagazin „Constanze“. Jede Saison zeigten sie Abwandlungen des Nachmittagskostüms oder aus Kleid und Mantel bestehenden Komplets für die "ältere" Dame.

Mitte der 60er Jahre konnte Kleidung noch schockieren

Als Mode galt die Haute Couture, die hohe Schneiderkunst. Wichtig war, wie und mit welchen Materialien gearbeitet wurde. Die Boutiquemode wurde nicht zuletzt von den Designern selbst eingeführt, um ihre aufwendigen Erstlinien weiter finanzieren zu können. Noch bevor Yves Saint Laurent 1966 seine erschwinglichere Zweitlinie "Rive Gauche" auf den Markt brachte, gründete Uli Richter 1962 seine günstiger produzierte Marke "Uli Richter Spezial". Zu seinen treuesten Kundinnen gehörten Rut Brandt, Ignes Ponto, Ehefrau von Jürgen Ponto, dem Chef der Dresdner Bank, und Verlegerin Aenne Burda – alles elegante Damen jenseits der 35.

Doch plötzlich konnten sich die Alten nicht mehr darauf verlassen, dass die Jungen ihnen nacheifern würden. Mehr noch, die Straße gewann dank einer neuen Zielgruppe die Oberhand, die heute in der Mode ganz selbstverständlich als Leitbild gilt: Teens und Twens, die sich nicht mehr mit dem Angebot in den Jugendabteilungen der Kaufhäuser zufriedengeben wollten. Bekleidung teilte sich in Mode für unter und über Dreißigjährige. Natürlich wird diese Grenze heute noch gezogen, aber sie soll eher dazu animieren, möglichst lange an der Jugendlichkeit teilzuhaben.

Mitte der Sechziger versuchten beide Seiten noch, die Grenzen zu verteidigen. Damals war es noch leicht, durch Aussehen und Auftreten Protest auszulösen. Da reichte es schon, sich nicht mehr für die Regeln des Modeanstands zu interessieren, die Haare zu lang und Kleider vom Flohmarkt zu tragen. Es ging um den Protest gegen überlieferte Normen, gegen Konventionen und Kapitalismus. Aber auch die Konsumwelt reagierte auf veränderte Werte. Boutiquen, die schicke und günstige Mode anboten, eröffneten zuerst in London, später überall.

Frau trägt kurz, auch wenn's unpraktisch ist

Im Berlin der sechziger Jahre wurde der Kreis der Couturiers immer kleiner, Anfang der Siebziger hatten acht Häuser aufgegeben. Während man in der etablierten Mode noch selbstverständlich davon ausging, dass Frauenkleidung vor allem dazu diente, dem Mann zu gefallen, kämpften in den späten Sechzigern viele junge Frauen um Respekt und Augenhöhe mit den laut agitierenden Männern der Studentenbewegung. Was durch knappe Miniröcke nicht gerade leichter wurde. So steht auf der Modeseite des Tagesspiegels im Mai 1968: "Die Frau kann sich sehr schnell um das bringen, was sie so gern erringen möchte – die Bewunderung des Mannes."

Die wollte Sigrid Fronus, damals Asta-Vorsitzende der Freien Universität, gar nicht haben, wie sie im Buch "Die 68erinnen“ schreibt: „Auch ich habe die kurzen Kleidchen getragen wie alle anderen Frauen, auch wenn sie nicht praktisch waren." Nie zuvor wurde Kleidung so in Frage gestellt. Die Elterngeneration hatte sie benutzt, um sich nach dem Zweiten Weltkrieg einen zivilen und harmlosen Anstrich zu verleihen. Die martialische Maskerade der Braunhemden der Hitlerjugend bis zur schwarzen SS-Uniform sollte so schnell wie möglich in Vergessenheit geraten. Und auch das Gefühl „Wir sind wieder wer“ wurde mit der passenden Kleidung aufpoliert. Die erste unbelastete Generation beobachtete dieses Spiel argwöhnisch als Teil der Verdrängung einer dunklen Vergangenheit.

Natürlich blieb auch den Modemachern nicht verborgen, dass sich die Gesellschaft veränderte. Die Strömungen wurden aufgegriffen, ob die sexuelle Offenheit durch die Antibabypille, der erste Mensch auf dem Mond, die Begeisterung für ferne Religionen. Allen voran schritt Yves Saint Laurent, der auf seine Art für Tabubrüche sorgte: 1968 mit durchsichtigen Blusen oder mit dem Smoking für Frauen. Designer wie André Courrèges und Pierre Cardin entwarfen Weltraummode aus schimmernden Chemiefasern, die an Astronautenanzüge erinnerte.

Alles geht - man muss sich nur wohlfühlen

Der Modeverweigerung der Hippies wurde ein anderes Extrem entgegengesetzt, die klaren Grenzen des vorherrschenden Geschmacks wurden gedehnt. Das galt auch für das Design von Inneneinrichtung, Farbexplosionen auf Tapeten, psychedelische Muster und samtige Oberflächen. Eero Aarnio entwarf den runden Bubblechair, 1969 richtete Verner Panton das gesamte Verlagshaus des „Spiegel“ neu ein. Drogen musste man in der ganz in Rottönen gehaltenen Kantine nicht nehmen, um high zu werden. Heute steht ein Teil der Einrichtung im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe.

Wer heute verzweifelt fragt, ob etwas modisch tragbar ist, bekommt gern die Antwort: Alles geht – man muss sich nur wohlfühlen. Aber da die meisten Menschen heute mehr denn je zwischen Selbstverwirklichung und Anpassung schwanken, war die breite Masse noch nie so konform und oft langweilig gekleidet. Auch das ist ein Erbe der 68er: Für sein Aussehen muss sich niemand mehr anstrengen.

Und doch feiert gerade jetzt eine bestimmte Haltung des Protests ein Revival: die der Konsumverweigerung. Aber dieses Mal nicht, weil man gegen das Establishment wäre, sondern, weil man dabei ist, den Planeten zu ruinieren und ohnehin längst genug von allem hat. Daraus könnte wieder ein neues politisches Bewusstsein wachsen, das eine junge Generation eint.

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