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Ruandas Präsident Paul Kagame (ganz links), seine Frau Janet (halb verdeckt), UN-Generalsekretär Ban Ki Moon (im Vordergrund) und die Kommissionspräsidentin der Afrikanischen Union, Nkosazana Dlamini-Zuma, entzünden die "Flamme der Hoffnung" vor der zentralen Gedenkstätte Gisozi in Kigali. Sie soll 100 Tage brennen. So lange hat der Völkermord an den Tutsi 1994 gedauert.

© Reuters

Update

20 Jahre nach dem Völkermord: Ruanda lädt französischen Botschafter von Gedenkfeier aus

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon reist zur Gedenkfeier nach Kigali. Frankreich hatte zunächst abgesagt, nachdem Ruandas Präsident Paul Kagame dem Land erneut eine Mitverantwortung für den Völkermord 1994 vorgeworfen hat, wollte dann aber seinen Botschafter schicken. Nur Kigali hatte daran kein Interesse.

Der 20. Jahrestag des Völkermords in Ruanda wäre ein perfekter Zeitpunkt für Frankreich gewesen, sich bei dem kleinen zentralafrikanischen Land zu entschuldigen. Nachdem sich im Vorfeld aber abzeichnete, dass das wohl nicht passieren sollte, entschied sich die Regierung in Kigali einmal mehr auf Konfrontation zu gehen. Präsident Paul Kagame warf Frankreich und Belgien am Vorabend der Gedenkzeremonie im Nationalstadion am Montag, sie hätten bei der „politischen Vorbereitung“ der Massenmorde eine „direkte Rolle“ gespielt. Das sagte er der Wochenzeitung „Jeune Afrique“. Paris reagierte prompt: Die Äußerungen seien einer „Befriedung“ nicht zuträglich. Justizministerin Christiane Taubira sagte ihre Teilnahme an der Gedenkfeier ab.

Am Sonntagabend dann entschied das französische Außenministerium zumindest den französischen Botschafter in Kigali, Michel Flesch dorthin zu schicken. Doch am späten Sonntagabend hat die ruandische Regierung Flesch "die Akreditierung zur Teilnahme an der Gedenkfeier entzogen", sagte er am Montagmorgen der Nachrichtenagentur AFP. Er dürfe auch keinen Kranz an der Gedenkstätte Gisozi in Kigali nieder legen, berichtete die Nachrichtenagentur dpa. Kagame wirft der französischen Justiz zudem vor, die juristische Aufarbeitung des Völkermords zu verschleppen und mutmaßliche Täter von damals, die sich nach Frankreich abgesetzt haben, unbehelligt zu lassen. „Viele Verantwortliche für den Völkermord haben Zuflucht in Frankreich gefunden“, sagte Kagame in einem am Montag in der französischen Zeitung „Libération“ veröffentlichten Interview. Eine einzige Person sei in zwanzig Jahren verurteilt worden. „Wenn die Justiz so langsam ist, dann ist es schwer vorstellbar, dass sie neutral ist.“ Der ruandische Präsident wehrt sich außerdem gegen internationale Kritik an seinem autoritären Führungsstil. „Die heutige Regierung von Ruanda wird mehr kritisiert als die frühere Regierung vor 1994. Haben diejenigen, die das Land in den Völlkermord getrieben haben etwa mehr Toleranz verdient?“, fragte er.

Belgiens Außenminister kommt trotz Kagames Äußerungen

Französische Soldaten, die für einen humanitären Militäreinsatz in der früheren belgischen Kolonie stationiert waren, seien „Akteure“ und „Komplizen“ bei den Massakern gewesen, hatte Kagame in dem Interview gesagt. Die ruandische Außenministerin Louise Mushikiwabo legte am Sonntag ebenfalls in "Jeune Afrique" noch einmal nach: Frankreich müsse „der Wahrheit ins Auge sehen“, sagte sie. Kigali könne die Vergangenheit zum Wohl guter Beziehungen zu Paris nicht einfach verdrängen.

Dabei hatte der damalige Präsident Nicolas Sarkozy 2010 schwere Fehler eingestanden, vermied aber eine öffentliche Entschuldigung: „Es hat eine Form von Blindheit gegeben, wir haben die Dimension des Völkermords nicht wahrgenommen.“

Belgien erklärte, Außenminister Didier Reynders werde ungeachtet der Äußerungen Kagames nach Kigali reisen. Reynders sagte im Sender RTBF, er verstehe die französische Reaktion, „weil Frankreich der aktiven Teilnahme am Völkermord beschuldigt wird, auch auf militärischer Ebene“. In Belgien habe eine Untersuchungskommission die Vorgänge „lang und breit“ untersucht und sei zu dem Schluss gekommen, dass die Vorbereitung des Völkermordes „Extremistengruppen in Ruanda selbst zuzuschreiben“ sei.

Deutschland wird vom Menschenrechtsbeauftragten Christoph Strässer (SPD) vertreten. Aus Rheinland-Pfalz, das seit mehr als 30 Jahren eine Partnerschaft mit Ruanda pflegt, reisen Innenminister Roger Lewentz und einige Landtagsabgeordnete nach Kigali.

An den Gedenkfeiern in Ruanda wollen am Montag auch UN-Generalsekretär Ban Ki Moon und Washingtons UN-Botschafterin Samantha Power teilnehmen. Ban hat am Vorabend der Gedenkfeier an die Weltgemeinschaft appelliert, die vom Bürgerkrieg gezeichnete Zentralafrikanische Republik nicht zu einem zweiten Ruanda werden zu lassen. „Die internationale Gemeinschaft hat die Menschen in Ruanda vor 20 Jahren in Stich gelassen. Derzeit laufen wir Gefahr, der Zentralafrikanischen Bevölkerung das gleiche anzutun“, sagte Ban am Wochenende bei einem Besuch in der Hauptstadt Bangui. Die Staaten müssten schneller handeln und mehr Truppen in das Krisenland schicken.

Seit Januar finden in Ruanda Gedenkveranstaltungen statt. Die Fackel der Erinnerung, Kwibuka, wurde durch alle Provinzen getragen und ist nun wieder in Kigali. Jedes Jahr begeht das Land vom 7. April an eine Gedenkwoche.

Über all in Ruanda erinnern Gedenkstätten an den Genozid

Gedenktafel. In der zentralen Gedenkstätte in Kigali sind die Namen der Opfer verzeichnet, die identifiziert werden können. Das ist aber nur ein Bruchteil der etwa 250 000 Menschen, die hier in Massengräbern bestattet worden sind.
Gedenktafel. In der zentralen Gedenkstätte in Kigali sind die Namen der Opfer verzeichnet, die identifiziert werden können. Das ist aber nur ein Bruchteil der etwa 250 000 Menschen, die hier in Massengräbern bestattet worden sind.

© dpa

Ruanda stellt sich der Vergangenheit im ganzen Land. Überall gibt es Gedenkstätten, die Besuchern eine Ahnung von den 100 tödlichen Tagen 1994 geben, und den Angehörigen einen Ort zum Trauern. Einige rauben Besuchern den Atem. In Ntarama etwa sind neben der ehemaligen Kirche, in der damals Geflüchtete abgeschlachtet wurden, in Regalen die Schädel von Opfern aufgereiht. In der Technikerschule von Murambi sind hunderte gekalkte mumifizierte Leichen auf Holzpritschen aufgebahrt, auch Kinder. Sie liegen dort wie stumme Schreie. Die Häscher hatten Zehntausende dorthin gelockt, ihnen Zuflucht versprochen. Zunächst hungerten sie sie aus, dann massakrierten sie ihre Opfer.

Schon zehn Jahre nach dem Völkermord hatte Ruanda eine zentrale Gedenkstätte, die zwei britische Brüder auf einem der Hügel der Hauptstadt gebaut haben: Gisozi. Mehr als 250 000 Gebeine sind dort in Massengräbern bestattet worden. Auf einer schwarzen Wand werden die Namen der Toten eingelassen, sobald sie ermittelt sind. Viele der Toten bleiben namenlos, nicht identifizierbar, jedenfalls nicht mit den Mitteln eines armen Landes. Der Leiter der Gedenkstätte, Freddy Mutanguha, legt Wert darauf, dass es einen lange präzise geplanten Völkermord an den Tutsi durch die Hutu gab. Dabei bestreitet er nicht, dass es aufseiten der Hutu viele Opfer gegeben hat: „Aber das war Krieg, im Krieg sterben Menschen.“ Ihm ist aber auch wichtig, anzuerkennen, dass es Retter gegeben hat, dass es auch auf Hutu-Seite Helden gab.

Der Magnum-Fotograf Gilles Peress, der 1995 den bedrückenden Bildband „The Silence“ herausbrachte, sagte: „Die Unermesslichkeit dieses Verbrechens übersteigt unsere Vorstellungskraft und wird nur übertroffen von der Gleichgültigkeit des Westens und der entwickelten Nationen, die hätten eingreifen können, um das zu verhindern.“

Zum zehnten Jahrestag sagte Kofi Annan 2004, inzwischen UN-Generalsekretär: „Die internationale Gemeinschaft hat in Ruanda versagt und dies muss bei uns allen tiefes Bedauern und großen Schmerz hinterlassen.“ 2005 beschlossen die Vereinten Nationen eine gemeinsame Schutzverantwortung, die „Responsibility to Protect“, um künftig schneller eingreifen zu können. Allerdings tut sich die Welt im oft blockierten UN-Sicherheitsrat weiter schwer, dieser Verantwortung gerecht zu werden. (mit AFP)

Wie Täter und Opfer in Ruanda heute zusammenleben, lesen Sie hier: Frieden finden

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