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Eine Mitarbeiterin des Stasi-Museums im Stasi-Archiv zwischen Regalen mit bisher nicht erfassten Unterlagen.

© dpa

25 Jahre Öffnung der Stasi-Akten: Der Fall Holm, die Linke und die Stasi

Der Fall des Berliner Staatssekretärs Andrej Holm hat die Debatte neu belebt, wie die Linke mit der Geschichte umgeht. Eine Übersicht aus Anlass des 25. Jahrestages der Öffnung der Stasi-Akten.

Von Matthias Meisner

Andrej Holm ließ sich als junger Mann in den letzten Monaten der DDR zum hauptamtlichen Stasi-Mitarbeiter verpflichten und ist nun neuer Bau-Staatssekretär im rot-rot-grünen Berliner Senat. Aus Anlass des 25. Jahrestages der Öffnung der Stasi-Akten ein Überblick über die Haltung der Partei zum Thema Staatssicherheit seit dem Untergang der DDR.

Offenlegung der politischen Biografie

Im Dezember 2005 verblüffte der damalige Vorsitzende der Linkspartei/PDS, Lothar Bisky, seine Genossen. Als Kandidaten für das Amt das Bundesschatzmeisters präsentierte Bisky auf dem Bundesparteitag in Dresden einen Mann, der sich als Mitarbeiter eines DDR-Außenhandelsbetriebes zum Stasi-IM hatte verpflichten lassen. Es gab damals eine lebhafte Personaldebatte. Eine Wortführerin der Kommunistischen Plattform empfand sie als „inquisitorisch“. Der Bewerber wurde schließlich mit klarer Mehrheit gewählt. Sein Amt aber ließ er zunächst ruhen. Und trat nach fünf Wochen zurück.

Die Debatte um Ex-Stasi-Mitarbeiter in den eigenen Reihen hatte die SED-Nachfolgepartei PDS schon bald nach der Wende begonnen. In einem Parteitagsbeschluss im Juni 1991 war die Rede von einer „Krise um die offizielle Mitarbeit von Mandatsträgern der PDS beim ehemaligen MfS“. Damals entschied man sich für eine Doppelstrategie. Einerseits hieß es, die „offiziellen und inoffiziellen Mitarbeiter des ehemaligen MfS“ dürften nicht „zu Sündenböcken des Niedergangs dieser Gesellschaft“ gemacht werden, sie seien „keine Mitglieder zweiter Klasse“. Andererseits: „Nur für Genossen, die sich anschicken, für die Partei in exponierter Stellung öffentlich zu wirken, ist die persönliche Biographie in dieser Frage keine reine Privatsache mehr.“

1993 beschloss die PDS eine Regelung, auf die sich die Linkspartei bis heute bezieht. Demnach ist die Offenlegung der „politischen Biographie“ für Parteiämter oder Wahlmandate von Kreis- bis Bundesebene „verbindlich“. Das heißt: Wesentliche Details dürfen nicht verschwiegen werden. 1994 durfte Kerstin Kaiser ein PDS-Bundestagsmandat nicht annehmen, weil sie vor ihrer Kandidatur verschwiegen hatte, dass sie im Auftrag der Stasi während ihres Auslandsstudiums in Leningrad Kommilitonen bespitzelt hatte. Später aber wurde sie zur Fraktionschefin in Brandenburg gewählt. Thomas Nord war Stasi-IM – und ist heute Bundesschatzmeister der Linken. Der Berliner Bundestagsabgeordnete Stefan Liebich war schon als Jugendlicher bereit, hauptamtlicher Stasi-Mitarbeiter zu werden („Ich war damals sehr stolz. Das klingt schlimm. Und das ist es auch“). Inzwischen gehört er sogar zum vom Bundestag bestellten wissenschaftlichen Beratungsgremium der Stasiunterlagenbehörde.

Haltung zur DDR

„Wenn bei der Schärfe des Angriffes auf unser Land dieses Land nicht mehr regierungsfähig bleibt, weil mir, dem Ministerpräsidenten der Deutschen Demokratischen Republik, keine Partei zur Seite steht, dann tragen wir alle die Verantwortung dafür, wenn dieses Land untergeht.“ Der vorletzte DDR-Regierungschef und heutige Vorsitzende des Linken-Ältestenrates Hans Modrow hat im Dezember 1989 mit seiner Parteitagsrede das Ende der DDR nicht verhindern können, wohl aber die Auflösung der SED. Die bekannte sich damals zu ihrer Verantwortung für die „Krise in der Gesellschaft“. Der neue Vorsitzende Gregor Gysi hob die große Bedeutung der Umbenennung der Partei in SED/PDS hervor: „Damit haben wir uns bekannt zur Geschichte und zur Erneuerung.“ Die Analyse des Potsdamer Historikers Michael Schumann auf dem außerordentlichen Parteitag in Berlin wurde unter der Überschrift „Wir brechen unwiderruflich mit dem Stalinismus als System!“ von der Parteizeitung „Neues Deutschland“ abgedruckt. Sie wird von der Partei bis heute immer wieder gern zitiert, wenn es darum geht, eine hinreichende Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte zu belegen.

Von mindestens ähnlicher Bedeutung ist ein Beschluss aus dem Jahre 2001. Damals im April, genau 55 Jahre nach der Gründung der SED, entschuldigte sich die PDS für die Zwangsvereinigung von SPD und KPD. Die Gründung der SED sei „auch mit politischen Täuschungen, Zwängen und Repressionen vollzogen“ worden, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung der damaligen PDS-Bundesvorsitzenden Gabi Zimmer und der damaligen Berliner Landeschefin Petra Pau. Ziel der Initiatoren damals: sich gegenüber der SPD dialogfähig zu zeigen. Was aufging: Im Januar 2002 wurde in Berlin eine rot-rote Koalition geschmiedet. In der Koalitionsvereinbarung hieß es, die Berliner Mauer sei „zu einem Symbol für Totalitarismus und Menschenverachtung“ geworden. „Wenn auch der Kalte Krieg von beiden Seiten geführt wurde, die Verantwortung für dieses Leid lag ausschließlich bei den Machthabern in Ost-Berlin und Moskau.“ Stefan Liebich, der Pau als Landeschef der PDS nachgefolgt war, erinnert sich: „Wir haben zwar das Wort Unrechtsstaat vermieden. Aber wir haben klargemacht, dass es in der DDR massives Unrecht gegeben hat und dass wir uns klar davon distanzieren.“

Der Begriff „Unrechtsstaat“

2014 kam die Linkspartei in Thüringen um den Begriff „Unrechtsstaat“ nicht mehr herum. Mit Bodo Ramelow wollte sich dort erstmals ein Linken-Politiker zum Ministerpräsidenten eines Bundeslandes wählen lassen. Und die Verhandler von Linkspartei, SPD und Grünen einigten sich auf die Vokabel – weil, wie es hieß, die Wahlen nicht frei waren, die Justiz politisch und Willkür herrschte. Aus der Bundespartei gab es damals viele Vorbehalte – unter anderem vom damaligen Chef der Linksfraktion im Bundestag, Gregor Gysi. Die Chefin der Rosa-Luxemburg-Stiftung sprach sogar von einem „Kampfbegriff“. Nachdem er 100 Tage im Amt war, sagte Ramelow im März 2015, er habe sich mit dem Wort „Unrechtsstaat“ immer schwer getan. „Das Unrecht der DDR habe ich nie geleugnet.“ Doch das Wort „Unrechtsstaat“ sei für ihn „immer mit den Auschwitz-Prozessen verbunden gewesen“.

Gerade am Bekenntnis zur DDR als „Unrechtsstaat“ wird immer wieder gemessen, ob sich die aus dem Zusammenschluss von PDS und WASG hervorgegangene Linkspartei hinreichend mit der Vergangenheit beschäftigt. Vor der Landtagswahl im Frühjahr 2017 in Nordrhein-Westfalen verweigerte sich die dortige Spitzenkandidatin Özlem Demirel. „Ein bisschen altbacken“ finde sie sie, wenn mit der Linken über die DDR geredet werde, sagte Demirel vor einigen Tagen in einem WDR-Interview. „Das Problem beim Begriff Unrechtsstaat ist, dass da ja auch immer eine Gleichsetzung passiert mit dem Hitlerfaschismus. Und diese Gleichsetzung finde ich halt tatsächlich schwierig.“

Was Experten über Debatten in der Linkspartei sagen

Der Berliner CDU-Bundestagsabgeordnete Philipp Lengsfeld betrachtet die Diskussionen um Andrej Holm, der aus seiner Sicht im Berliner Senat untragbar sei, als „Ausrutscher“. Denn eigentlich ist die Linke nach seinem Eindruck schon weiter: Der Koalitionsvertrag in Thüringen und auch das Verhalten des dortigen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow seien eine „eindeutige Zäsur“ gewesen, „hinter der die Partei auch nicht mehr zurück kann“.

Als „extreme Belastung der Aufarbeitungsdiskussion“ sieht Lengsfeld den Fall Gregor Gysi, dessen Rolle als „IM Notar“ für ihn durch den Bericht des Immunitätsausschusses des Bundestages hinreichend belegt ist. Der Ausschuss hatte 1998 eine inoffizielle Stasi-Mitarbeit Gysis als „erwiesen“ festgestellt – obwohl eine Verpflichtungserklärung bis heute nicht gefunden wurde. Lengsfeld sagt: „In allen prominenten Stasifällen der PDS, von denen es viele gab, war die Partei immer durch den Fall Gysi in einer bestimmten Weise gehemmt.“ Der CDU-Politiker stellt aber auch fest, mit Sahra Wagenknecht, Bodo Ramelow, Klaus Lederer, Katja Kipping und vor allem den jüngsten Parteiverantwortlichen in den neuen Bundesländern werde die Partei „jetzt von Leuten geprägt, die keine persönliche biographische DDR-Belastung haben“. Mit „ganz wenigen Abstrichen“ gelte das auch für Politiker wie Dietmar Bartsch, Petra Pau und Gesine Lötzsch, die „aus der FDJ-/SED-Kaderreserve stammen“.

Negatives öffentliches Bild

Auch Jens Gieseke, Wissenschaftler am Zentrum für zeithistorische Forschung in Potsdam bescheinigt der Linken, dass bei ihr etwas in Bewegung geraten ist. In den 90er Jahren sei die Haltung zur DDR „noch ein profilbildender Faktor der innerparteilichen Debatte“ gewesen, erklärt er dem Tagesspiegel. In den ersten Jahren der 2000er Jahre hätten die strategischen Köpfe der PDS jedoch realisiert, dass dieser Streit die öffentliche Wahrnehmung der Partei negativ präge und im Hinblick auf Regierungsbeteiligungen lähme. Lautstarke Debatten über die Geschichte würden in der Öffentlichkeit tunlichst vermieden. Fraktionschefin Sahra Wagenknecht etwa habe „die Verteidigung der DDR aus ihrem politischen Profil genommen“.

Der Historiker Gieseke, der früher Mitarbeiter der Stasiunterlagenbehörde war, meint, diese Strategie habe ihren Preis: Vernachlässigt würden jene, die aus dem SED-Parteiapparat und den bewaffneten Organen stammen und sich „ihre DDR“ einschließlich Mauerbau, Schießbefehl und Verfolgung ihrer Feinde durch die Stasi nicht nehmen lassen wollten. Linken-Politiker wie Hans Modrow oder die Lichtenberger Bundestagsabgeordnete Gesine Lötzsch seien deshalb für diese Klientel „regelmäßiger Ansprechpartner“ und würden sich mit deren „Vorfeldorganisationen“ vernetzen. Ziel: die öffentliche Distanzierung von der DDR als „notwendiges Übel“ zu vermitteln. Gieseke: „Dass das bislang funktioniert – trotz etwa der Unrechtsstaatsdebatte in Thüringen – liegt an dem hohen Grad an Organisationstreue und politischem Heimatbedürfnis dieser Klientel.“

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