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Messehalle für die Besucher des Evangelischen Kirchentages in Dortmund

© dpa/Bernd Thissen

37. Evangelischer Kirchentag: Die Kirche braucht reformatorische Radikalität

Schrumpfende Gemeinden: Evangelische Christen müssen eine einfache, traditionsentschlackte Sprache für ihren Glauben finden. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

So wird es sein: Sie sitzen und lauschen, beten und singen, sinnieren und „bringen sich ein“. Christian Wulff kommt und redet darüber, wie viel Religion unsere Gesellschaft verträgt. Margot Käßmann diskutiert mit Wolfgang Schäuble über die umgekehrte Frage, wie politisch Religion sein darf.

Das Digitale wird thematisiert, der Islam, das Gendern, die Einwanderung und die Seenotrettung von Flüchtlingen. So will es das Programm.

Akut und aktuell – vor dem Hintergrund der Entwicklungen im Mordfall Walter Lübcke - wird sich der 37. Deutsche Evangelische Kirchentag, den Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier an diesem Mittwoch eröffnet, auch mit dem Rechtsextremismus befassen.

Für die Entscheidung, keinen AfD-Repräsentanten aufs Podium zu lassen, werden die Veranstalter sich loben und wahrscheinlich etwas Restschelte in Richtung Joachim Gauck absenden, der für eine „erweiterte Toleranz in Richtung rechts“ geworben hatte. Weil aber diverse Debatten-Teilnehmer einen Kurs in gewaltfreier Kommunikation besucht haben, wird es statt eines energischen Einspruchs eher heißen: „Da bin ich ganz bei Ihnen.“

So weit, so absehbar. Die Kritiker des Kirchentages nehmen das muntere Treiben wieder zum Anlass, mehr Spiritualität einzufordern, und sie beklagen die Überpolitisierung der christlichen Botschaft. Die Bergpredigt tauge nicht als Richtschnur fürs Tagesgeschäft, sagen sie. Aus dem Gleichnis des Barmherzigen Samariters folge nicht, dass wir alle Flüchtlinge dieser Welt aufnehmen müssen.

Viele Gemeinden müssen fusionieren

Doch wenn all das am Sonntag mit dem Abschluss-Gottesdienst endet und die Kirchentags-Besucher in ihre Heimatgemeinden zurückkehren, stoßen sie auf eine andere Wirklichkeit: stetig schrumpfende Kirchen-Mitgliedschaften, weniger Taufen, weniger Konfirmationen, abnehmende Zahl von Gottesdienst-Besuchern, verfallende Gebäude, sinkende Einnahmen.

Weil sie zu klein für eine volle Pfarrstelle sind, müssen viele Gemeinden fusionieren, das aber verstärkt meist das Gefühl der Heimatlosigkeit, was wiederum den Entfremdungsprozess beschleunigt.

Keiner weiß, wie sich dieser Trend verlangsamen lässt. Während andernorts, in Afrika und Asien etwa, die Zahl der Christen steigt, nimmt sie in Europa kontinuierlich ab. Vor wenigen Jahren erst haben die hiesigen Kirchen verstanden, dass sie sich stärker als bisher um verfolgte Mit-Christen in Syrien, Ägypten, Saudi-Arabien, Irak, Iran, Nigeria, Somalia und Nordkorea kümmern müssen. „Lasset uns Gutes tun an jedermann, allermeist aber an des Glaubens Genossen“, schreibt der Apostel Paulus im Brief an die Galater.

Die Messehalle in Dortmund fasst 25.000 Pappsitze.
Die Messehalle in Dortmund fasst 25.000 Pappsitze.

© Bernd Thissen/dpa

Im Dreieck aus Schrumpfung (Europa), Wachstum (Afrika und Asien) und Verfolgung (Islamische Welt und Nordkorea) stehen Christen in Deutschland vor der Frage: Was tun? Eine Antwort könnte lauten: Wir müssen eine neue, einfache, traditionsentschlackte, konfessionsübergreifende Sprache für unseren Glauben finden. Eine einheitliche Liturgie, die auch für Neueinsteiger verständlich ist. Dass es immer noch zwei evangelische Gottesdienst-Ordnungen gibt – eine lutherische, eine reformierte -, ist antiquiert.

Zum Abendmahl sind alle eingeladen, auch Kinder

Gesang, Gebet, Abendmahl, Predigt: Diese vier Elemente geben Halt, müssen aufeinander abgestimmt und wiedererkennbar sein – ob in Eritrea oder der Demokratischen Republik Kongo, ob in chinesischen Hauskirchen oder einer entlegenen Barockkirche in Brandenburg.

Das heißt: Zum Abendmahl sind alle eingeladen, auch Kinder, das Vaterunser und das Apostolische Glaubensbekenntnis bleiben ebenso unverändert wie eine Reihe international verbreiteter Lieder. Das fängt bei „Lobe den Herren“ (Praise to the Lord, the Almighty, the King of Creation) an und hört bei „Nun danket alle Gott“ (Now Thank we all our God) nicht auf.

Sich als Christ überall da zu Hause fühlen, wo andere Christen sind: Das sollte das Ziel sein. Was auf Kirchentagen die Regel ist, sollten auch Mitglieder von fusionierten Gemeinden empfinden können sowie Christen aus dem Iran oder Eritrea, wenn sie einen Gottesdienst in Deutschland besuchen. Das erfordert reformatorische Radikalität, eine Rückbesinnung auf das Wesen des christlichen Glaubens. Die Verhaftung in Tradition und Geschichte steht einer solchen Rückbesinnung oft im Wege.

Fünf Tage lang ist der Evangelische Kirchentag in Dortmund wie eine große Insel der Seligen. Umgeben ist sie von einem Meer aus Teilnahmslosigkeit, Unglauben, Kirchenabgewandtheit, Desinteresse. Wer das negiert und als Losung ein trotziges Weiter-so ausgibt, hat die globalen christlichen Zeichen der Zeit nicht verstanden.

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