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Die Angeklagte Beate Zschäpe sitzt am Freitag im Oberlandesgericht in München.

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Update

381. Prozesstag: Bundesanwaltschaft will im NSU-Prozess offenbar Höchststrafe fordern

Laut Bundesanwaltschaft liegen "die formellen Voraussetzungen einer Sicherungsverwahrung" bei Beate Zschäpe vor. Ihr wird nun versuchter Mord in 39 Fällen vorgeworfen.

Von Frank Jansen

Im NSU-Prozess am Oberlandesgericht München wird die Bundesanwaltschaft offenkundig die Höchststrafe für Beate Zschäpe fordern. Bei dem von Zschäpe und ihren Komplizen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos 1998 gegründeten NSU habe es sich bis zum Ende im November 2011 „durchgängig“ um eine terroristische Vereinigung gehandelt, sagte Oberstaatsanwältin Anette Greger am Freitag bei der Fortsetzung des Plädoyers. Greger nannte nicht nur die in der Anklageschrift aufgelisteten Delikte, sondern weitere schwere Verbrechen. Demnach soll die Hauptangeklagte als Mitglied der rechtsextremen Terrorzelle NSU nicht nur an der Ermordung von neun Migranten und einer Polizistin durch Böhnhardt und Mundlos beteiligt gewesen sein, sondern auch an versuchtem Mord in 39 Fällen. Das sind zehn mehr, als in der Anklage stehen.

Die Bundesanwaltschaft geht nach der Beweisaufnahme in dem mehr als vier Jahre dauernden Prozess davon aus, dass bei dem Bombenanschlag in der Kölner Keupstraße im Juni 2004 insgesamt 32 Menschen in Lebensgefahr gerieten und davon 23 verletzt wurden. In der Anklage ist „nur“ von 22 Verletzten die Rede. Oberstaatsanwältin Anette Greger beantragte in ihrem Vortrag zudem, dass die Richter einen rechtlichen Hinweis erteilen, der von Zschäpe gelegte Brand in der Wohnung der Terrorzelle in Zwickau sei auch als Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion zu werten.

Oberstaatsanwältin: "Voraussetzungen einer Sicherungsverwahrung liegen vor"

Zschäpe hatte am 4. November 2011 zehn Liter Benzin ausgeschüttet und angezündet, nachdem sie erfahren hatte, dass Böhnhardt und Mundlos sich in Eisenach getötet hatten. Angesichts der großen Menge Benzin kam es zu einer starken Verpuffung, die das gesamte Haus beschädigte. Das „Zünden eines Gas-Luft-Gemischs in der Wohnung“ erfülle den Tatbestand des Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion, sagte Greger. Aus ihrer Sicht ist das die dritte nach den Bombenanschlägen des NSU in Köln in den Jahren 2001 und 2004.

Die Oberstaatsanwältin nannte zudem alle weiteren Delikte aus der Anklageschrift und betonte, „die formellen Voraussetzungen einer Sicherungsverwahrung liegen bei der Angeklagten grundsätzlich vor“. Demnach würde Zschäpe selbst nach Verbüßung einer langen Haftstrafe, wie sie bei einer Verurteilung zu lebenslänglich mit besonderer Schuld üblich ist, nicht freikommen. Die Angeklagte folgte Gregers Vortrag mit starrem Blick.

Zuvor hatte die Bundesanwaltschaft im NSU-Prozess die Raubüberfälle der Terrorzelle aufgelistet, auch dieser Teil des Plädoyers klang kaum weniger erschreckend als die Darstellung der Morde und Sprengstoffanschläge. Zwar kam bei diesen Taten kein Opfer ums Leben, doch die Brutalität der Neonazis war massiv: Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos hatten von 1998 bis 2011 einen Supermarkt und 14 Bankfilialen attackiert, mehrmals konnten sie die Herausgabe großer Summen erzwingen. Der NSU habe insgesamt 609.000 Euro erbeutet, trug Oberstaatsanwältin Anette Greger dem 6. Strafsenat des Oberlandesgerichts München vor. Die Beweisaufnahme habe eindeutig ergeben, dass Böhnhardt und Mundlos fast immer gemeinsam handelten.

Die Opfer haben bis heute psychische Probleme

Nur bei einem Überfall handelte Böhnhardt alleine – und diese Tat hat die schlimmsten Folgen. Der Neonazi überfiel am 5. Oktober 2006 eine Filiale der Sparkasse in Zwickau und schoss einem Auszubildenden in den Bauch. Der junge Mann wurde lebensgefährlich verletzt, Böhnhardt gab den Raub auf und floh ohne Beute. Das Opfer habe notoperiert werden müssen, sagte Greger, „er leidet noch heute an den psychischen und physischen Folgen des Überfalls“. Auch zwei weitere Angestellte haben sich seelisch nicht erholt. Böhnhardt hatte sie mit einem Tischventilator geschlagen. Die Tat wertet die Bundesanwaltschaft auch als versuchten Mord.

Das gilt ebenfalls für den ersten Raubüberfall des NSU. Am 18. Dezember 1998 stürmten Böhnhardt und Mundlos in Chemnitz in einen Edeka-Supermarkt, erbeuteten 30.000 D-Mark und schossen bei der Flucht auf einen Jugendlichen, der ihnen hinterherrannte. Der 16-Jährige blieb unverletzt.

Bei André E. wird die Anklage verschärft

Alle Raubtaten rechnet die Bundesanwaltschaft auch der Hauptangeklagten Beate Zschäpe zu. Es sei ihre Aufgabe gewesen, die Wohnung der Terrorzelle „zu sichern und die Reisebewegungen ihrer Komplizen zu legendieren“, sagte Greger. Zschäpe hatte, wie ehemalige Nachbarn im Prozess berichteten, die immer wieder vorkommende Abwesenheit von Böhnhardt und Mundlos mit beruflich notwendigen Touren erklärt.

Die Bundesanwaltschaft geht zudem im Plädoyer in einem Detail über ihre Anklage hinaus. Dem Angeklagten André E., der unter anderem Wohnmobile für die Fahrten von Böhnhardt und Mundlos zu zwei Attacken auf Bankfilialen gemietet haben soll, wird nun Beihilfe zu bewaffneten Raubüberfällen vorgeworfen. In der Anklage ist „nur“ von Beihilfe zu Raub die Rede. Die nun härtere Bewertung könnte sich auf das Strafmaß auswirken, sollten die Richter den Rechtsextremisten verurteilen. Welche Strafen die Bundesanwaltschaft für die fünf Angeklagten fordert, will sie beim nächsten Prozesstag am 12. September verkünden.

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