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Donald Trump vor Anhängern in North Carolina am Donnerstag.

© REUTERS

4 Tage bis zur US-Wahl: Der Zorn der Farmer von Selma

Trump und Clinton werben um Stimmen in North Carolina - mit verschiedenen Methoden und unterschiedlicher Resonanz. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Das Geschäft an der Highway-Abfahrt Selma im Osten North Carolinas preist Outdoor-Ausrüstung an. "Waffen und Munition" präzisiert eine weitere Zeile beim Näherkommen. 300 Meter weiter treffen sich an diesem Novemberabend kurz vor der Wahl die Donald-Trump-Fans der Gegend. 

Ein Feld für tausende Trump-Fans

Gastgeber ist der Eigentümer von "The Farm", einem großen Agrarbetrieb. Er hat ein  Feld für die Kundgebung absperren und Parkplätze für mehrere tausend Autos markieren lassen. Man rechne mit 12.000 Gästen, verraten die Helfer. Die County Police regelt das ungewohnte Verkehrsaufkommen. Der Secret Service hat Metalldetektoren auf die Grasstoppeln gestellt und kontrolliert die Eintreffenden.

Rechts und links der Bühne stehen zwei Kranwagen. Von den Haken der hoch ausgefahrenen Teleskoparme hängen riesige US-Flaggen herab. Das Publikum, das fällt auf im Vergleich mit Barack Obamas Auftritt am Vortag in der Universitätsstadt Chapel Hill und mit Hilary Clintons Veranstaltung wenige Stunden zuvor am Stadtrand von Greenville, ist hier fast ausschließlich weiß. Die Mehrheit der Teilnehmer ist über 60 Jahre alt, es sind aber auch viele Familien mit Kindern gekommen.

Der Zorn ist leicht abrufbar

Auf den ersten Blick sind es umgängliche, gut gelaunte Menschen. Sie lachen und scherzen. Auch ihre Kleidung wirkt locker: Kurze Hosen, Sandalen, T-Shirt. Hier unten im Süden herrschen auch Anfang November noch spätsommerliche Temperaturen über 20 Grad Celsius.

Die Stimmung kann aber rasch umschlagen. Es bedarf nur weniger Stichworte der Eingangsredner - die lokalen Parteioberen, Vertreter des Veteranenverband und Kandidaten für regionale Wahlämter -, dann ertönen zornige Sprechchöre: "Lock her up, lock her up!" (Steckt sie ins Gefängnis!) Gemeint ist Hillary Clinton. Der lauteste Jubel ertönt, als auf den Videoschirmen ein Hillary-Gesicht im Fadenkreuz einer Waffe erscheint.

Niemandem scheint zudem aufzufallen, dass die Kampagne zwar Schilder "Women for Trump" in Pink hat drucken lassen und sie Frauen in die Hand drückt, aber unter den rund ein Dutzend Aufwärm-Rednern nicht eine einzige Frau ist.

Anweisungen gegen Selbstjustiz an Protestierern

Ganz wohl ist den Organisatoren womöglich nicht bei der Stimmungsmache. Sie geben eindringliche Anweisungen für einen zivilen Umgang mit Protestierern und gegen Selbstjutiz. "Fasst sie nicht an! Schlagt sie nicht! Informiert die Polizei und wartet, bis die Gegendemonstranten entfernt!" Allenfalls dürfe man Protestierer umstellen, und sie so lange mit "Trump, Trump, Trump"-Sprechchören in Schach halten.

Die leicht abrufbare Aggressivität ist einer der drei eindrücklichen Unterschiede zwischen den Wahlkampfveranstaltungen der beiden Spitzenkandidaten im agrarisch geprägten Osten North Carolinas. Vier Stunden und 90 Kilometer Luftlinie liegen zwischen Clintons Auftritt am Nachmittag in Winterville, einem Vorort von Greenville, der Heimat der East Carolina University - und Trumps Auftritt in "The Farm" am Rand der Kleinstadt Selma. Der zweite Unterschied: Bei Clinton dominieren Akademiker, Studenten und Afroamerikaner, bei Trump die Farmer und Vertreter des "Small business" ohne College-Abschluss. Der dritte: Zu Clinton kamen etwa 1500 Menschen, zu Trump ungefähr 10.000.

Fromm und patriotisch geben sich beide Seiten

Begonnen hatten beide Versammlungen äußerlich ähnlich: dem Gebet eines Pfarrers, dem Singen der Nationalhymne, der "Pledge of Allegiance", also dem Loyalitätsbekenntnis zur Flagge der USA und der Republik, für die sie steht, "one nation under God, undivisible", mit Freiheit und Gerechtigkeit für alle. Bei Trumps Pfarrer klingt es freilich so, als sei Amerika in den vergangenen acht Jahren unter Obama keine "one nation under God" gewesen und als müsse sich ein gottloses Land, das nicht einmal das ungeborene Leben kompromisslos schützt, den Segen Gottes erst wieder verdienen.

Kämpferisch sind das Publikum und die Hauptredner hier wie dort. Sie sprechen dem Präsidentschaftsbewerber des anderen Lagers die Qualifikation rundheraus ab. Und sie bitten eindringlich um die Stimme der Anwesenden. "In North Carolina entscheidet sich das Schicksal der Nation", behauptet Clinton. Und behauptet Trump. Weshalb doch bitte jeder wählen solle - am besten nicht erst am Dienstag, dem Wahltag. Sondern lieber solle eine jede und ein jeder die Chance des "Early Voting" bis Sonnabend nutzen: der vorgezogenen Stimmabgabe, ähnlich einer deutschen Briefwahl.

Clinton wirbt konstruktiv, Trump destruktiv

Clinton lässt zumindest im Ansatz erkennen, was sie zu tun gedenkt und was das mit den Alltagsproblemen der Menschen hier zu tun hat. "Hurrican Matthew" hat kürzlich die nahe Atlantikküste North Carolinas verwüstet. Viele Bürger leben noch in Notunterkünften. Sie will etwas gegen den Klimawandel tun und erneuerbare Energien fördern. Sie wendet sich an die kleinen Farmer und beklagt, dass die Förderprogramme viel zu oft auf die großen Agrarbetriebe zugeschnitten sind.

Trumps konzentriert sich auf eine fast ausschließlich negative Botschaft: Hillary ist eine Verbrecherin, Washington ist korrupt. Das wird ein Ende haben. "Sperrt sie ein!" Und: "Trocknet den Sumpf aus!" Und er verspricht den Kriegsveteranen, dass sie sich, wenn er Präsident wird, ihren Privatarzt frei wählen dürfen. North Carolina hat einen hohen Anteil von Militärangehörigen und Militärinstitutionen. Wie er das durchsetzen und bezahlen möchte, wie er überhaupt die USA und ihre Wirtschaft voranbringen möchte, erklärt er nicht.

Er dominiert die ländlichen Regionen, sie die Städte

Mehrfach behauptet er, es seien bestimmt mehr als 15.000 Menschen gekommen - und wenn die Medien etwas anderes berichten, dann sei das ein neuer Beleg für die "Lügenpresse". Der abgesperrte Teil des Felds ist höchstens zu zwei Drittel gefüllt; die Menschen stehen eher locker als dicht gedrängt. 10.000 erscheint ein realistischere Schätzung. In jedem Fall sind es weit mehr als bei Clinton. Aber auch höchstens ebenso viele oder etwas weniger als tags zuvor bei Obama in Chapel Hill.

Die Wählerschaft North Carolinas ist nach Wohnorten gespalten. Die Demokraten dominieren die großen Städte, die Republikaner die Landgemeinden. Obama hat den Staat 2008 mit nur 14.000 Stimmen gewonnen. Und 2012 mit hohem Abstand wieder verloren. 2016 kann der Ausgang hier womöglich die Präsidentschaft entscheiden - aber auch, welche der beiden Parteien die Mehrheit im Senat, der zweiten Kongresskammer, haben wird.

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