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Christian Lindner ist Bundesfinanzminister.

© Christophe Gateau/dpa

40 Cent Tankrabatt wegen Putins Krieg?: Christian Lindner kündigt den Ampel-Konsens auf

Der Finanzminister sorgt mit seinem „Krisenrabatt Kraftstoff“ für Koalitionsärger - auch weil es Hinweise gibt, dass die Ölkonzerne die Lage ausnutzen.

Christian Lindner hat die Dinge gerade nicht richtig im Griff. Der FDP-Chef gibt nach außen den in sich ruhenden Finanzminister, aber die Ereignisse der vergangenen Tage zeugen von erhöhter Nervosität. Sein Agieren stellt den Koalitionsfrieden auf eine ernste Probe.

„Scholz macht mal wieder einen Deal mit Lindner und wir dürfen es schlucken“, lautet eine der erbosten Reaktionen bei führenden Grünen über die Idee, allen Autofahrern als Krisenrabatt beim Tanken einen festen Rabatt je Liter zu erlassen.

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Es ist nicht das erste Mal; einige fühlen sich vom Duo Scholz/Lindner am Nasenring durch die Manege geführt. Intern wächst der Druck, dass die Grünen-Vorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour, sowie Vizekanzler Robert Habeck mal kräftiger gegenhalten.

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Wie es zum Lindner-Plan eines Tankrabatts kam, zeigt, wie sehr die Koalition knapp 100 Tage nach Amtsbeginn wegen des Putin-Kriegs ins Schlingern geraten ist. Und erstmals verlässt Lindner damit auch die bisherigen Spielregeln, dass erst einmal intern eine gemeinsame Lösung gesucht wird, bevor so ein komplexes Vorhaben öffentlich angekündigt wird. Nun soll eine Arbeitsgruppe diese Woche eine Lösung für ein gemeinsames Entlastungspaket finden.

Wie Lindner von den Entwicklungen überholt wurde

In einem am Sonntag im Tagesspiegel erschienenen Interview sagte Lindner: „Die klare Zusage ist: Wir lassen die Menschen mit steigenden Belastungen nicht allein.“ Doch zur Frage nach einer Steuersenkung auf Benzin und Diesel sagte Lindner: „Wenn die Union eine so genannte Spritpreisbremse fordert, dann muss sie sagen, was sie im Haushalt kürzen will. Oder sie muss bekennen, dass sie dafür neue Schulden aufzunehmen bereit ist. Vor dieser Klarheit hätte ich Respekt, aber leider bleibt die Union die Antworten schuldig.“

Antworten blieb aber auch Lindner schuldig auf die Frage, ob er einen konkreten Plan habe. Es hörte sich so an, als warte er erst einmal ab. Keine Spritpreisbremse, meldeten also die Nachrichtenagenturen. Die von den Grünen ins Spiel gebrachte Idee eines Tempolimits, um Sprit zu sparen, schloss Lindner auch aus.

Nicht erst im Laufe des Tages spürte der Finanzminister offenbar, es müsse noch was kommen angesichts von Spritpreisen von 2,30 Euro je Liter. Und fühlte sich plötzlich missverstanden, wissend, dass auch in Reihen von SPD und Grünen der Druck wegen der gewaltigen Energiepreisschübe fast stündlich wuchs.

Mehr zum Ukraine-Krieg bei Tagesspiegel Plus:

Viel heftiger als die Benzinpreise werden die Bürger Ende des Jahres aber die Heizkosten treffen. Es könnten mehrere tausend Euro zusätzlich für einen Haushalt anfallen.

Scholz und Lindner zurren den Haushalt fest - Es wird klar: es braucht mehr

Am Sonntag liefen nun zugleich die finalen Beratungen über den Bundeshaushalt 2022, der an diesem Mittwoch beschlossen wird. Lindner hält dazu Rücksprache mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Neben knapp 100 Milliarden Euro neuen Schulden und 100 Milliarden Sondervermögen für die Bundeswehr wird noch ein Ergänzungshaushalt „Ukraine“ besprochen, der bis zu 30 Milliarden Euro umfassen soll.

Außer Kosten für geflüchtete Menschen aus der Ukraine sollen damit auch weitere Entlastungen bei den Energiekosten finanziert werden. Damit ist klar: Hier wird noch einmal nachgelegt, der Finanzminister kann sein Ziel, die Neuverschuldung 2022 bei knapp 100 Milliarden zu deckeln, nicht halten. Lindner lässt dann im Laufe des Sonntags ergänzende Zitate an die Deutsche Presse-Agentur (dpa) geben, auch um seine Absage an eine Spritpreisbremse abzumildern.

Der Finanzminister macht in diesen Tagen fleißig Pressearbeit, nicht alles ist mit SPD und Grünen abgestimmt.
Der Finanzminister macht in diesen Tagen fleißig Pressearbeit, nicht alles ist mit SPD und Grünen abgestimmt.

© Reuters

Laut dpa sagt der Finanzminister nun, die Regierung arbeite an „Maßnahmen“ und er gehe davon aus, dass „in Kürze“ weitere Beschlüsse gefasst werden. Die hohen Preise seien eine Belastung für Menschen und Betriebe, der Staat dürfe die Menschen damit nicht alleine lassen. Am Sonntagabend kommt dann eine Eilmeldung der „Bild“-Zeitung: Lindners skizziert erstmals seine Idee eines „Tankrabatts“, weil er ja der Mehrwertsteuersenkung eine klare Absage erteilt hatte. Plötzlich war aber das Geld da, das er zuvor nicht sah, Verwunderung auch bei der Union. Es ist ein Vorstoß, den Scholz grob kennt – der mit den Grünen aber nicht abgesprochen ist.

Reaktion der Grünen: "Unsinn", "Wahnsinn", "Schwachsinn"

Noch am Sonntagabend kritisiert Vizekanzler Habeck den Vorschlag vor einem Millionenpublikum im ARD- Talk „Anne Will“: „Das kann man noch ein bisschen besser machen“, sagt der Vizekanzler. Seine Kritik löst die Starre bei den Grünen-Abgeordneten.

Öffentlich fallen sie über Lindners Plan her, im Hintergrund hört man derbe Begriffe: „Unsinn“, „Wahnsinn“, „Schwachsinn“.

Am Montag ist Kanzler Scholz beim türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in Ankara zu Gast. Ihm ist zwar Lindners Idee bekannt – aber er soll das Ventilieren des Plans über die „Bild“ alles andere als fair finden. So was mag er er gar nicht, aber öffentlich rüffeln will er Lindner auch nicht. Von Anfang an ist er bemüht, vor allem die FDP in der Koalition bei Laune zu halten. Aber wieder wissen die Grünen nichts.

So ein Vorpreschen ist ein beliebtes Spiel, um Druck in einer Regierung aufzubauen, in der Ampel ist es bisher eine Ausnahme. Doch erste Umfragen sehen eine satte Mehrheit der Bürger für Lindners Plan.

Während der Kanzler mit Erdogan Optionen für einen Waffenstillstand zwischen Russland und der Ukraine prüft, legt der Finanzminister in einem spontanen Interview mit der „Rheinischen Post“ nach: „Mit dem Krisenrabatt sollten wir auf der Basis der jetzigen Preise bei unter zwei Euro je Liter Diesel und Benzin liegen“, sagt Lindner. Nun spricht er sogar von 40 Cent je Liter. „Die Ausgestaltung ist offen. Aber man kann pro 10 Cent und Monat 550 Millionen Euro rechnen. 40 Cent für drei Monate zum Beispiel wären also 6,6 Milliarden Euro“, rechnet Lindner öffentlich vor.

Lindner räumt ein: Ein Debattenbeitrag, kein Regierungsbeschluss

Er macht selbst deutlich, das sei kein in der Regierung abgestimmter Plan: „Noch ist es nur ein Debattenbeitrag und kein Regierungsbeschluss. Sie dürfen aber davon ausgehen, dass Herr Scholz meine Überlegungen nie erst aus der Zeitung erfährt.“

[Krach in der Ampel: Das heimliche Duo Scholz - Lindner brüskiert die Grünen. Lesen Sie die ganze Geschichte bei Tagesspiegel Plus]

Man darf dabei auch nicht vergessen: Am 27. März ist Landtagswahl im Saarland, im Mai in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen - die FDP steht in Umfragen gerade nicht besonders gut da.

Lindner lehnt ein Tempolimit von 130 km/h als Gegenleistung an die Grünen wieder ab – und räumt indirekt ein, dass sein Vorschlag sozial nicht gerecht sei: „Ja, es müssen auch weitere Maßnahmen dazu kommen, die nicht pauschal wirken wie der Krisenrabatt Kraftstoffe, sondern die sozial Schwächere gezielt erreichen.“

Aber was auch klar sei, bei seinem Tankrabatt müsste mitnichten nicht jede Tankquittung individuell abgerechnet werden. „Der Staat agiert mit einem Betrieb der Mineralölwirtschaft auf der Basis der Gesamtmenge des verkauften Sprits. Das ist unbürokratisch.“

Der Tankrabatt holt Scholz auch beim Treffen mit dem König ein

Am Dienstag muss sich Scholz sogar am Randes seines Besuchs beim jordanischen Königs Abdullah zu Lindners Vorstoß äußern.

Er betont, es sei ja noch nichts entschieden. Man werde in der Regierung über finanzielle Unterstützungsmaßnahmen sprechen, „wo sie hilfreich und notwendig“ seien. Deutlicher wird SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich: „Ich hätte mir gewünscht, dass der Bundesfinanzminister mit uns gemeinsam einen abgestimmten Vorschlag auf die Strecke bringt.“

Es stelle sich die Frage an den Finanzminister, ob nicht Spekulationen am Markt der Hauptpreistreiber seien. Die SPD stehe für sozialen Zusammenhalt und wolle bei der Entlastung nach sozialer Balance entscheiden. Man müsse noch diskutieren, „ob wir alle gleich an den Entlastungen beteiligen“ - Mützenich kleidet den Ärger in diplomatische Worte.

In den vergangenen drei Tagen sind die Spritpreise nicht mehr gestiegen.
In den vergangenen drei Tagen sind die Spritpreise nicht mehr gestiegen.

© Oliver Berg/dpa

Schon vor Lindner gab es Minister, die im ganz kleinen Kreis sich brillant anhörende Konzepte ausdachten und damit krachend scheiterten. Man denke an Peter Altmaier (CDU) und seine abends am Computer zusammengetippte Strompreisbremse.

Wird Lindner zum Schuldenkönig?

Lindner wollte eigentlich partout nicht mehr als die ursprünglich noch von seinem Vorgänger Scholz als Finanzminister vorgeschlagenen 99,7 Milliarden Euro an neuen Schulden machen. Auch deshalb stemmte er sich jetzt so lange gegen weitere Maßnahmen. Nun aber, da die Grenze für 2022 ohnehin nicht mehr zu halten ist, scheint er mit einer für einen FDP-Chef überraschenden gewaltigen staatlichen Gießkannen-Subvention kein Problem mehr zu haben.

Veronika Grimm, Mitglied im Sachverständigenrat der Bundesregierung zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, sagt zu Lindners Vorschlag klipp und klar: „Tankrabatte sind Unsinn. Sie entlasten Gutverdienende stärker, aber wir wollen untere und mittlere Einkommen entlasten“. Zudem vergünstigten sie fossile Energieträger, das konterkariere den Klimaschutz.

Bereichern sich Konzerne wie Rosneft an Rekordpreisen in Deutschland?

Die Parlamentarische Wirtschafts-Staatssekretärin Franziska Brantner (Grüne) mahnt: „Neben gezielten Entlastungen sollten wir stärker schauen, wer sich da gerade eine goldene Nase verdient. Das sind Raffinerien, die zum Teil überwiegend im Besitz russischer Konzerne sind.“ Die größte davon steht in Schwedt, mehrheitlich im Besitz des russischen Rosneft-Konzerns. Aufsichtsratsvorsitzender ist ein alter Bekannter: Gerhard Schröder. Übrigens ist der Ölpreis inzwischen auch wieder deutlich gesunken.

Brantner und andere wie DIW-Chef Marcel Fratzscher weisen auf eine bemerkenswerte Statistik hin: Demnach ist seit Kriegsbeginn am 24. Februar der Überschuss der Anbieter von rund 38 Cent auf 84,5 Cent je Liter Diesel gewachsen (bei einem Dieselpreis von 2,30 Euro - 1,46 Euro seien die Kosten für Öl und Steuern).

"Der wichtigste Grund für den starken Anstieg der Spritpreise sind die viel höheren Gewinnmargen der Mineralölkonzerne. Die Politik sollte nicht mit einer Spritpreisbremse oder Steuersenkungen den Konzernen noch höhere Gewinne bescheren, sondern das Marktversagen bereinigen", betont Fratzscher.

Olaf Scholz mit dem jordanischen König. Am Rande geht es auch um Lindner.
Olaf Scholz mit dem jordanischen König. Am Rande geht es auch um Lindner.

© REUTERS

Der Finanzminister hat schon bei den Corona-Lockerungen und dem 100-Milliarden-Sondervermögen gemeinsame Sache mit dem Bundeskanzler gemacht. Die Grünen empfinden dieses heimliche Führungstandem der Koalition als Belastung. Sie wollen statt Lindners Rabatt ein Energiegeld mit Zahlungen an Haushalte, gekoppelt an das Einkommen – und eine Erhöhung der Grundsicherung um mindestens 20 Euro pro Monat; unter Einberechnung der Inflation wären auch 35 bis 40 Euro vertretbar.

"Können uns nicht immer auf die Zunge beißen, sonst ist sie ab"

Das von Scholz mühsam aufgebaute Schweige- und Harmoniegelübde seiner Regierung bekommt nun erste Risse. Man könne sich nicht dauerhaft auf die Zunge beißen, sonst wäre sie irgendwann ab, heißt es bei den Grünen.

Nun soll eine Arbeitsgruppe der Koalitionsfraktionen eine Lösung verhandeln – und noch diese Woche einen gemeinsamen Vorschlag vorlegen. Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann macht schon mal klar, dass auch sie Lindners Idee für unausgegoren hält: Jeder Vorschlag müsse nachhaltig, sozial und ökologisch sein. „Mich überzeugt bisher nicht, dass das der Vorschlag zum Tankrabatt tut.“

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