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Politik: 50 Jahre im Dienst der inneren Sicherheit: Realitätsverlust - von Berufs wegen

Anfang der 90er Jahre stand der Verfassungsschutz vor einem ernsten Problem. Konnte man in der Skinhead-Szene V-Leute anwerben und in welche Situation geriete das Amt, wenn diese in betrunkenem Zustand ein schweres Körperverletzungs- oder gar Tötungsdelikt begingen?

Anfang der 90er Jahre stand der Verfassungsschutz vor einem ernsten Problem. Konnte man in der Skinhead-Szene V-Leute anwerben und in welche Situation geriete das Amt, wenn diese in betrunkenem Zustand ein schweres Körperverletzungs- oder gar Tötungsdelikt begingen? Das Problem ist offenbar auch zehn Jahre später noch ungelöst. Warum sonst schreibt Wolfgang Cremer, Leiter der Abteilung Rechtsextremismus im Kölner Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV): "Viele Szene-Mitglieder sind im höchsten Maße emotionsgesteuert und kaum in der Lage, ihre Aggressionen zu kontrollieren. (...) Somit ist das Risiko, dass eine im Skinhead-Milieu platzierte Quelle des Verfassungsschutzes Gewalttaten begeht, deutlich höher als in anderen Beobachtungsbereichen. Verstärkt wird diese Gefahr noch durch den hohen Gruppendruck, der jeden trifft, der sich gegen ein gemeinsames Vorhaben der Clique ausspricht."

Diese bemerkenswert offenen Sätze finden sich in der Festschrift, die das BfV anlässlich seines 50-Jährigen Bestehens heraus gegeben hat. Neben den Abteilungsleitern des Bundesamtes enthält der dickleibige Band zudem Beiträge von verschiedenen Autoren aus dem Umfeld des deutschen Inlandsgeheimdienstes. Allerdings gehören die Ausführungen Cremers zu den wenigen informativen Passagen des Werkes. Wie bei Festschriften nicht selten, dominiert das Eigenlob, oft gepaart mit einer offenbar berufsbedingten Realitätsferne. Dies könnte dem Leser durchaus zu anhaltendem Schmunzeln verhelfen, wäre da nicht die unangenehme Erkenntnis, dass es sich auch hier um eine getreue Wiedergabe der Verfassungsschutzwahrnehmung handelte.

Etwa im Beitrag von Bernadotte Droste über die Protestbewegungen in der Bundesrepublik. Dass die Protestgruppen im Deutschland der 50er und 60er Jahre sämtlichst via DKP von der ehemaligen DDR gesteuert waren, versteht sich da nahezu von selbst. Gänzlich über das Ziel hinaus schießt Droste bei den Umweltinitiativen. So gerieten die lokalen Bürgerinitiativen gegen den Ausbau der Startbahn West des Frankfurter Flughafens bei Droste "erstmals" unter den Einfluss der "Revolutionären Zellen" und die Grossdemonstration gegen die WAA Wackersdorf im Dezember 1985 wurde von einer "diffusen Gemengelage aus Demokraten sowie Linksextremisten und -terroristen aller Schattierungen" getragen. Hier überschreitet der Realitätsverlust noch nachträglich die Grenzen der Diffamierung.

Hart am Rande des Zumutbaren manövriert auch der Totalitarismusforscher Uwe Backes mit seinem Vergleich der rechtsradikalen "Republikaner" (Rep) und der PDS. "Trotz ihres inhaltlich-antagonistischen Verhätnisses", so Backes, "weisen die ideologischen Orientierungsmuster beider Parteien strukturelle Ähnlichkeiten auf". Am Ende seiner Ausführungen läuft dies dann auf die Aussage hinaus: "Dem an nationale Gemeinschaftsgefühle appellierenden Rechtspopulismus der Rep entspricht ein Ostalgie und Sozialneid schürender Linkspopulismus der PDS. Die ideologische Diffusität wird bei beiden Parteien durch politische Mimikry erhöht. (...) Sie bewegen sich weithin in einer Grauzone mit fliessenden Übergängen zwischen Verfassungstreue und Verfassungsfeindschaft".

Über die Mehrzahl seiner Seiten zeichnet die BfV-Festschrift das Bild einer recht eigenwilligen Wahrnehmung gesellschaftlicher Konflikte. Die im Vorwort von Bundesinnenminister Otto Schily geforderte "offensiv geführte, geistig-politische Auseinandersetzung" bei der Bekämpfung des Extremismus wird so allerdings kaum erreicht.

Otto Diederichs

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