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Unter Beobachtung. Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (CDU) berichtet, dass die amerikanischen und britischen Geheimdienste schriftlich zugesichert hätten, sich in Deutschland entsprechend des deutschen Rechts zu verhalten. Ist das dann noch Spionage, oder ist es nur eine freundliche Beobachtung? Foto: Hans-Jürgen Wiedl/picture-alliance/dpa

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Politik: 500 Millionen Luftballons?

Lange galt es als belegt, dass Amerikaner und Briten massenhaft Bundesbürger ausspähen Kanzleramtsminister Pofalla sieht den Vorwurf entkräftet – und erkennt keine Grundrechtsverletzung.

Von Robert Birnbaum

Berlin - Man sollte denken, dass Thomas Oppermann als Fraktionsgeschäftsführer der SPD und Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKGr) gut ausgelastet ist. Doch am Montag fügt Oppermann seinen vielen Rollen eine neue hinzu: den Zauberkünstler. Wochenlang haben die Enthüllungen des früheren US-Geheimdienstlers Edward Snowden den Verdacht befördert, dass dessen alter Arbeitgeber NSA die Deutschen vielmillionenfach flächendeckend ausforscht. Die SPD hat sich im Wahlkampf dankbar auf das Thema gestürzt und die Bundesregierung vor sich hergetrieben. Doch der Luftballon ist geplatzt. Es bedarf jetzt ein paar kleiner Zaubertricks, will man das Publikum im Glauben halten, die bunte Hülle sei noch da.

Tatsächlich war die Luft schon fast raus, als sich das Parlamentarische Kontrollgremium am Montag unter reger Kamerabegleitung zur eigentlich geheimen Sitzung traf. 500 Millionen Datensätze aus Deutschland allein im Dezember 2012, die in Snowdens Unterlagen auftauchen, galten lange als Beleg der Massenüberwachung. Doch was als sehr plausible Vermutung seit einer Woche im Raum steht, darauf legt sich Kanzleramtsminister Ronald Pofalla jetzt fest: „Diese Daten stammen aus der Auslandsaufklärung des BND.“ Es sind also Daten, die die deutschen Geheimdienstler durch die Fernmeldeüberwachung etwa in Afghanistan gewinnen. Angela Merkels Geheimdienstaufseher hat sich überdies von der NSA ebenso wie vom britischen Geheimdienst schriftlich versichern lassen, dass diese sich bei ihrer Arbeit „in Deutschland an deutsches Recht halten“. Woraus der CDU-Politiker ableitet: „Es gibt in Deutschland keine millionenfache Grundrechtsverletzung.“

Das sind derart glasklare Aussagen, dass Pofalla seiner Sache schon recht sicher sein muss – egal was Snowden noch enthüllen könnte. Trotzdem bieten zum Beispiel die schriftlichen Zusicherungen der Amerikaner und Briten durchaus Spielraum für misstrauische Auslegungen. „Die NSA unternimmt nichts, um deutsche Interessen zu schädigen“ ist zum Beispiel so ein Satz, der viel bedeuten kann oder wenig – was genau sind denn in US-Sicht „deutsche Interessen“?

Andererseits – was sind solche Details gemessen an dem Riesenvorwurf, der da einst im Raum stand und der den SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück zu dem Vorwurf verführte, die Kanzlerin verletze ihren Amtseid? Den Riesenvorwurf mag Oppermann nicht mehr erheben. Aber einfach eingestehen, dass man sich geirrt hat – das geht im Wahlkampf auch nicht. Das ist also der Punkt, an dem die Kunst der Illusion gefragt ist.

Oppermann versucht es mit einem Doppeltrick. Erstens, sagt der SPD- Mann, sei die Sache mit den BND-Datensätzen nach wie vor nur „eine Theorie“. Der BND habe die 500-Millionen-Zahl auch gar nicht bestätigen können. Denn die Geheimdienstler erhöben zwar haufenweise Daten in Afghanistan und aus der Horchstation in Bad Aibling in Bayern heraus. Indes: „Diese Datensätze werden nicht gezählt und nicht gemessen.“ Und aufgrund dieser bürokratischen Nachlässigkeit seien die Vorwürfe eben für ihn nicht „komplett“ widerlegt.

Trick Nummer Zwei ist noch ein bisschen kühner: „Es gibt keine Vereinbarung, die den Amerikanern verbietet, Deutsche auszuforschen“, sagt Oppermann. Vulgo könne niemand ausschließen, dass sie es doch täten. Der Luftballon, mit anderen Worten, sei zwar von der Bühne verschwunden, schwebe aber vielleicht trotzdem noch irgendwo rum.

Dabei gibt es sogar ein Abkommen, in dem steht, dass die US-Dienste sich zumindest bei der Kooperation mit deutschen Diensten an deutsches Recht zu halten haben. Initiiert hat es Oppermanns jetziger Chef Frank-Walter Steinmeier als Kanzleramtsminister im Jahr 2001, geschlossen haben es BND und NSA im Juli 2002. Steinmeier hat übrigens am Montag angeboten, sich dazu sofort befragen zu lassen, was die Koalition ablehnte, was wiederum Steinmeier mit dem zornigen Vorwurf beantwortete, man wolle ihn offenbar lieber weiter diffamieren. Aber Pofalla findet für den Vor-Vorgänger gar keinen Tadel, sondern ganz im Gegenteil nur Lob. Der Vertrag von 2002, der auch die gemeinsame Entwicklung von Abhörprogrammen umfasse, sei völlig in Ordnung: „Ich hätte die Entscheidung genauso getroffen.“

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