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Die Tochter eines Mordopfers, Gamze Kubasik, steht im Gerichtssaal im Oberlandesgericht in München.

© dpa

51. Tag im NSU-Prozess: Angstzustände und Schlafstörungen

Am 4. April 2006 erschossen die Neonazis Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in Dortmund den Deutschtürken Mehmet Kubasik. Am Dienstag sagten seine Tochter und seine Frau im NSU-Prozess aus. In der Serie der bislang 51 Verhandlungstage ist dieser einer der schlimmsten.

Von Frank Jansen

Sie leiden noch heute unter Angstzuständen und Schlafstörungen. Und es ist nicht zu erwarten, dass die Qual ein Ende nimmt. Gamze Kubasik und ihre Mutter Elif werden den Mord an Mehmet Kubasik, dem geliebten Vater und Ehemann, wohl nie verkraften. „Ich habe es sehr oft mit Therapien versucht, aber das war nichts für mich, es fiel mir schwer, mit einem Fremden über mein Problem zu sprechen“, sagt Gamze Kubasik vor dem 6. Strafsenat des Oberlandesgerichts München. Ihre Mutter hingegen hat sich in Therapie begeben, aber es hat offenbar wenig geholfen. „Ich konnte es einfach nicht wahrhaben, dass mein Mann getötet worden ist“, sagt Elif Kubasik. Am Dienstag haben die beiden Frauen im NSU-Prozess als Zeuginnen ausgesagt, erst die Tochter, dann die Mutter. In der Serie der bislang 51 Verhandlungstage seit Beginn des Prozesses vor einem halben Jahr ist dieser einer der schlimmsten.

Am 4. April 2006 hatten die Neonazis Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in Dortmund den Deutschtürken Mehmet Kubasik in seinem Kiosk in Dortmund erschossen. Es war der achte Mord des NSU an einem Migranten, wie allen zehn Tötungsverbrechen feuerten die Mörder dem Opfer gezielt in den Kopf. Gamze Kubasik kam an jenem Tag ahnungslos zum Kiosk, in dem sie mitarbeitete. „Ich habe viele Polizisten gesehen“, sagt sie, „aber ich habe mir nichts dabei gedacht“. Ein Beamter hinderte sie daran, den Kiosk zu betreten und führte sie zu einem Streifenwagen. Sie musste sich hineinsetzen, aber sie wollte zu ihrem Vater, „ich habe die ganze Zeit die Tür aufgemacht“. Schließlich habe ihr im Wagen ein älterer Polizist gesagt, „Frau Kubasik, Ihr Vater ist tot“. Sie begriff es erst nicht, „es kam mir so vor, als wäre das alles gerade ein Traum“.

Der Schrecken nahm kein Ende

Die Mutter kam auch zum Tatort. „Ich habe geschrien“, sagt Elif Kubasik. Als ein Rettungssanitäter sagte, ihrem Mann sei in den Kopf geschossen worden, war auch sie nicht in der Lage, es zu erfassen. „Ich war in einem Schockzustand“, sagt Elif Kubasik. Und der Schrecken nahm kein Ende.

Kurz nach dem Mord durchsuchte die Polizei mit Spürhunden die Wohnung der Kubasiks nach Drogen. Die Beamten fanden nichts, doch der Verdacht, der Ermordete sei ein Dealer gewesen, verbreitete sich wie ein Lauffeuer. „Die Leute haben hinter mir getuschelt, mein Vater wurde erschossen, der hat wohl Drogen an Kinder und Jugendliche verkauft“, sagt Gamze Kubasik und kann nur mit Mühe die Fassung wahren.

Die Polizei beharrte wie bei den Morden an den anderen Migranten hartnäckig auf dem Verdacht, das Opfer könnte seinen Tod selbst verschuldet haben. „Ich wurde bei den Vernehmungen öfter gefragt, ob ich mitbekommen habe, dass mein Vater Drogen verkauft habe“, sagt Gamze Kubasik. „Oder dass er mit der PKK verwickelt war“, der militanten kurdischen Separatistenorganisation. „Oder mit der türkische Mafia“, sagt die 28 Jahre alte Frau. Und sie sei gefragt worden, „ob mein Vater Beziehungen zu anderen Frauen hat“.

Gamze Kubasik hielt es nicht aus. Sie habe eine Ausbildung nicht angetreten, sagt sie, „ich habe beschlossen, dass ich das Haus nicht verlasse, ich bin ein Jahr nicht rausgegangen“. Die Polizei kam zu ihr. Bei einer Befragung in der Wohnung habe ihre Mutter gesagt, „ich weiß, wer ihn umgebracht hat, das waren die Nazis“. Da habe der Beamte gesagt, „dass man das ausschließen kann, dass man dafür keine Beweise hat“.

Der Mutter setzen Trauer und Stress zu

Die 49-jährige Mutter redet hastig, ein Dolmetscher übersetzt. „Am Tag nach der Ermordung kamen Polizisten und haben Fingerabdrücke genommen, von meinen Kindern genaus“, sagt Elif Kubasik. Außer Gamze mussten auch die zwei kleinen Söhne ran. Der Mutter setzten Trauer und Stress so stark zu, dass sie an Neurodermitis erkrankte. Und dann flog 2008 noch ein Stein durch ein Fenster der Wohnung. Der Täter blieb unbekannt.

Es nützte den Kubasiks auch nichts, dass sie gemeinsam mit der Familie des auch im April 2006 in Kassel erschossenen Halit Yozgat versuchten, mit einer kleinen Demonstration auf ihr Schicksal und den vermuteten rechtsextremen Hintergrund der Morde aufmerksam zu machen. Elif Kubasik deutet an, auch unter den falschen Spekulationen in den Medien gelitten zu haben. Und als wollte sie ihr Leid in einer Art Schlusswort zusammenfassen, sagt sie, „es mag komisch klingen, aber in einem Land der Demokratie müssen wir uns mit solchen Dingen abgeben“. Aber eine Hoffnung hat sie: „Dass der Staat die Täter bestraft“.

Beate Zschäpe blickt mit verschränkten Armen auf die Frau. Der Mitangeklagte Ralf Wohlleben schaut in die Luft. André E. tippt in seinem Laptop herum. Die geständigen Holger G. und Carsten S. wirken erstarrt.

Wohllebens Verteidiger Olaf Klemke erregt im Saal Unmut mit der Frage an Gamze Kubasik, welcher Nationalität die Leute waren, die getuschelt hatten, Mehmet Kubasik habe Drogen an Kinder und Jugendliche verkauft. Die Frau reagiert gereizt, „Deutsche genauso wie Ausländer“. Als Klemke noch wissen will, ob die Ausländer unterschiedlicher Nationalität waren, interveniert der Vorsitzende Richter Manfred Götzl und lässt die Frage nicht zu.

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