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60 Jahre nach Kriegsende: Parteien bei NS-Justizopfern uneins

Die Rehabilitierung von "Kriegsverrätern“ ist auch nach einer Experten-Anhörung offen. Die Grünen sind skeptisch, dass die Initiative erfolgreich sein wird.

Nach der Anhörung des Bundestagsrechtsausschusses bleibt offen, ob mehr als 60 Jahre nach Kriegsende auch die letzten Opfer der NS-Militärjustiz rehabilitiert werden, die sogenannten Kriegsverräter. Vier der sieben Sachverständigen – Historiker, Juristen und der 86-jährige, 1942 als Deserteur verurteilte Ludwig Baumann – sprachen sich für die Rehabilitierung aus. Der Abgeordnete Jan Korte (Linke), dessen Fraktion die Aufhebung der Urteile beantragt, zeigte sich in einem dpa-Gespräch am Dienstag zuversichtlich für den Erfolg der Initiative. Die Grünen sind skeptisch.

Als "Kriegsverräter“ wurden vor allem in den letzten Kriegsjahren viele meist einfache Soldaten verurteilt. Dabei genügte es der NS-Justiz für ein Todesurteile schon, wenn sie sich privat kritisch über das Regime geäußert, ausländische Sender gehört oder auch nur in Frankreich mit einem emigrierten deutschen Kommunisten gesprochen hatten. Auch die Rettung von Juden galt als "Kriegsverrat“. Die Urteile gegen Deserteure und Homosexuelle hob der Bundestag 2002 auf; für "Kriegsverräter“ steht dies noch aus.

Bei der Anhörung ging es, wie schon im Fall der Deserteure, um die Ethik der als "Kriegsverräter“ Verurteilten, um ihre Motive und die Folgen ihres Handelns. Sowohl der Mainzer Zeithistoriker Sönke Neitzel wie auch sein Kollege Rolf-Dieter Müller, wissenschaftlicher Direktor des Militärgeschichtlichen Forschungsamts der Bundeswehr (MGFA), verwiesen auf Beispiele von „klassischem Geheimnisverrat“ (Neitzel), deren Aufhebung im Einzelfall „einem Skandal gleichkäme“ (Müller). Der Freiburger Historiker Wolfram Wette, der die 33 erhaltenen Urteile des Reichskriegsgerichts gegen "Kriegsverräter“ aufgearbeitet hat, entgegnete, natürlich habe es Fälle von "Begünstigung“ der Kriegsgegner gegeben, dies sei aber nicht Gegenstand dieser Prozesse gewesen. Offensichtlich wirke bis heute die überkommene "national kodierte Stigmatisierung von Verrat beim Militär“. Deshalb habe man selbst den Offizierswiderstand – etwa des 20. Juli – erst in den 80er Jahren anerkannt.

Die Grünen, die sich seit Jahren für die Opfer von NS-Justizunrecht einsetzen, ahnen für die "Kriegsverräter“ allerdings "nichts Gutes“. Der Widerstand von Union und FDP sei unverändert, die mit der Union regierende SPD werde sich wohl "aus der Affäre ziehen“, sagte der Rechtspolitiker Wolfgang Wieland dem Tagesspiegel. Seine Fraktion sieht nach der Anhörung allerdings einen möglichen Ausweg. Die SPD hatte die Vermutung geäußert, dass die "Kriegsverräter“ womöglich durch frühere Gesetzesänderungen bereits rehabilitiert sein könnten. Das werde man nun vom Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags prüfen lassen.

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