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60 Jahre Nato: Krieg und Frieden

Gegenseitiger Beistand zur kollektiven Selbstverteidigung – das ist auch 60 Jahre nach Nato-Gründung der Kern der Allianz.

Die Unterzeichnung des Nordatlantikvertrags vor 60 Jahren in Washington war die Reaktion der westlichen Demokratien auf eine tiefe Enttäuschung. Nach dem Inferno des Zweiten Weltkriegs einte die Menschen in Europa und Amerika die Devise „Nie wieder Krieg“. Ihre Hoffnung war auf den Frieden, den Wiederaufbau und – endlich wieder – auf das private Glück gerichtet, das sie so lange entbehrt hatten. Die GIs kehrten aus Europa und Asien in die USA zurück. Millionen von Soldaten zogen die Uniform aus. Die Siegermächte im Westen demobilisierten ihre Armee radikal: Die US-Armee schrumpfte nach dem Ende der Kämpfe 1945 von 3,1 Millionen Soldaten innerhalb eines Jahres auf 390 000.

Östlich der Elbe jedoch verringerte die Rote Armee ihre Kriegsstärke lediglich von vier auf 3,5 Millionen. Während im Westen der Marshallplan die zivile Wirtschaft ankurbelte, produzierte die sowjetische Industrie hinter dem Ural weiter Flugzeuge, Geschütze und Panzer. Die Sowjetunion, so stellte sich schnell heraus, setzte ihre im Krieg begonnene Expansionspolitik auch nach dem 8. Mai 1945 fort: Drei Jahre später waren nicht nur die östlichen Teile Polens, die baltischen Staaten und weite Teile der Tschechoslowakei und Rumäniens unter sowjetischer Herrschaft. Moskau kontrollierte auch die östlichen Staaten von Polen bis Albanien mit über 90 Millionen Menschen.

Die Blockade West-Berlins führte den kriegsmüden Westeuropäern sehr schnell vor Augen, dass die Demokratien Europas die neue Weltmacht USA brauchten, um sich politisch gegen die expansive Hegemonialmacht im Osten zu behaupten. Mit dem Nordatlantikpakt, der am 4. April 1949 in Washington unterzeichnet wurde, holten sie die Amerikaner ins Boot. Im Artikel 5, dem Kernstück des Nato-Vertrags, stellten die zunächst zwölf Bündnisstaaten fest, dass ein bewaffneter Angriff gegen einen von ihnen „als ein Angriff gegen sie alle angesehen werden wird.“ Sie verpflichteten sich zum gegenseitigen Beistand und zur „kollektiven Selbstverteidigung“.

Die ersten Jahre der Nato waren geprägt vom Kalten Krieg, von der Furcht der Westeuropäer, die Sowjetunion könnte versuchen, ihren Macht- und Einflussbereich gewaltsam nach Westen zu verschieben, vom „Gleichgewicht des Schreckens“. Erst die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit (KSZE) im Juli 1973 und der Beginn von Abrüstungsverhandlungen ließ Hoffnung keimen. Es dauerte aber noch fast zwei Jahrzehnte, bis der Nato nach dem Fall der Mauer, dem Zusammenbruch der kommunistischen Regime und der Implosion des Warschauer Pakts fast über Nacht der alte Gegner abhanden kam.

Doch kaum hatten die Nato-Staaten die „Friedensdividende“ eingestrichen – massive Truppenreduzierungen und Kürzungen der Verteidigungshaushalte – da zeigte sich, dass der glücklich beendete Kalte Krieg lauter kleine heiße Kriege im Gefolge hatte: Der Vielvölkerstaat Jugoslawien zerbrach in einem Chaos gewaltsamer ethnischer Konflikte. In Bosnien überwacht die Nato seither die Umsetzung der Friedensvereinbarungen. Im Kosovokonflikt hat sie zum ersten Mal mit militärischer Gewalt eingegriffen, um Vertreibung und Massaker zu beenden.

Die mörderischen Anschläge vom 11. September 2001 in New York und Washington haben dem Bündnis schließlich vor Augen geführt, dass es durch den weltweit operierenden Terrorismus und die sogenannten asymmetrischen Kriege mit ganz neuen Herausforderungen konfrontiert ist. In Afghanistan versucht die Nato mit Tausenden von Soldaten der Isaf-Schutztruppe Sicherheit für den Aufbau des Landes zu gewährleisten – unter immer größeren Schwierigkeiten.

Doch nicht nur die Welt hat sich dramatisch verändert. Auch das Bündnis selbst ist nicht mehr das gleiche wie bei seiner Gründung. Seit fast 20 Jahren steckt die Nato, die seit Mittwoch dieser Woche 28 Mitgliedstaaten hat, in einem tiefgehenden militärischen Umformungsprozess. Denn für die neuen Herausforderungen – Terrorbekämpfung, Friedenssicherung auf dem Balkan, in Afghanistan oder in Afrika – war die Nato schlecht gerüstet. Aus der großen Verteidigungsstreitmacht mit Zehntausenden von Panzern und Tausenden von Nuklearraketen, die im Kalten Krieg die Demokratien Westeuropas vor einem Angriffskrieg aus dem Osten schützte, mussten innerhalb von wenigen Jahren kleine, bewegliche und technisch hochmoderne Streitkräfte gebildet werden, die auch über große Entfernungen schnell einsetzbar sind. Die für die Landesverteidigung im traditionellen Sinne geeigneten Landstreitkräfte sind in Europa auf ein Minimum geschrumpft. Doch immer noch fehlen der Atlantischen Allianz die nötigen Lufttransportmittel, schnell verlegbare Truppen, Hubschrauber, moderne Kommunikationsmittel und die Fähigkeit zur umfassenden militärischen Aufklärung. Der Transformationsprozess ist noch längst nicht abgeschlossen.Foto: Mauritius Images/Montage: Fabian Bartel

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