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Emmanuel Macron begrüßt Wladimir Putin (Archivbild von 2017)

© AFP/Stephane de Sakutin

70 Jahre Europarat: Die Suche nach der Kompromissformel mit Russland

Der Europarat feiert in Helsinki sein 70-jähriges Bestehen und steht zugleich vor einer existentiellen Frage: Wie soll er mit Russland umgehen? Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Appenzeller

Mehr Symbolik geht nicht. Ausgerechnet in der finnischen Hauptstadt wird am Donnerstag und Freitag über das Schicksal einer Institution entschieden, die seit 70 Jahren das parlamentarische Miteinander fast aller Staaten Europas geprägt hat. Nein, es geht nicht um die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, die KSZE, es geht nicht um den Helsinki-Prozess, mit dem 1975 ein neues Zeitalter auf dem alten Kontinent begann. In Helsinki steht jetzt die Zukunft des Europarates zur Disposition. Dessen 70-jährigen Bestehens soll feierlich gedacht werden.

Aber vielleicht gerät die Veranstaltung auch zur letzten Messe, weil der Auszug oder der Ausschluss Russlands das Ende einer alle Systemgrenzen überschreitenden Organisation einleiten könnte. Russland ist eines von 47 Mitgliedern des Europarates. Nach der Besetzung der Krim durch russische Truppen 2014 wurde den russischen Abgeordneten zur Strafe das Stimmrecht entzogen. Seit 2016 kamen die 18 russischen Parlamentarier nicht mehr zu den Sitzungen nach Straßburg, seit 2017 zahlt Moskau keine Beiträge mehr. Nach zwei Jahren droht die Kündigung, wie das bei allen Vereinen so ist, in denen die Mitglieder ihrer Beitragspflicht nicht nachkommen.

Natürlich geht es Russland nicht ums Geld. Es geht um Respekt. Nichts hat Wladimir Putin wohl mehr zur Demonstration russischen Großmachtanspruchs provoziert als Barack Obamas Bemerkung aus dem Frühjahr 2014, bei Russland handele es sich um eine Regionalmacht, die ihre Nachbarn bedrohe. Das Land sieht sich selbst als zu groß und stark, um sich wie die kleineren Staaten im Europarat an die Regeln halten zu müssen. Und zu denen gehört, dass gewaltsame Veränderungen der Grenzen nicht toleriert werden. Was Russland aber mit der Krim machte, war genau dies: Es okkupierte ukrainisches Territorium.

Wo liegt die diplomatische Kompromissformel?

Der Europarat steht nun vor einer existentiellen Frage: Entweder er bleibt bei seinen Regeln, und verliert damit das bevölkerungsreichste Mitgliedsland. Oder der Rat verzichtet auf die rigorose Sanktion des Ausschlusses – aber was dann? Tolerieren kann er den Rechtsbruch schlecht. Wo liegt die diplomatische Kompromissformel, die beide Seiten das Gesicht wahren lässt? Etwas überraschend hat Russland am Donnerstag signalisiert, es sei daran interessiert, den Europarat als eine der einflussreichsten und repräsentativsten internationalen Organisationen des europäischen Kontinentes zu erhalten und zu stärken.

An den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg, der vom Europarat eingerichtet wurde und der auch Russland immer wieder kritisiert, dürfte Außenminister Sergej Lawrow dabei kaum gedacht haben. Eher geht es wohl um die Bewahrung einer Gesprächsebene, auf der man sich, ähnlich wie im Rahmen der Vereinten Nationen oder der OSZE, immer wieder ohne große Vorbereitung und Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit treffen kann. Russland könnte einfach seine ausstehenden Beiträge zur Aufrechterhaltung der Organisation zahlen. Damit entfiele bereits der formale Grund für den Ausschluss. Der Rest wird sich finden, das ist Diplomatie.

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