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Politik: A Dieu, Ben Wisch!

Der SPD-Politiker Horst Ehmke, Chef des Kanzleramtes unter Willy Brandt, zum Tod von Hans-Jürgen Wischnewski

Eigentlich wollte er zur Erholung fahren, aber dann kamen Besuche, und mit denen ging er erst einmal zum Karneval. Er holte sich eine Infektion und ist nun tot. „Ben Wisch“, Ostpreuße und Wahlkölner, starb, wie er gelebt hatte: aus dem Vollen. Über seine Geschichten könnte man Bücher schreiben. Der Krieg und wie Oberleutnant Wischnewski ihn für seine Soldaten – und Kriegsgefangenen – bei Kriegsende abwickelte. Seine Wanderung durch Bayern, von Bauernhof zu Bauernhof. Meine Frau, die diesen „prächtigen Sozi“ ins Herz geschlossen hatte, fragte ihn einmal, warum er immer weitergezogen sei. Er antwortete: „Immer wenn die Bäuerin mit dem schwarzen Anzug ihres gefallenen oder vermissten Mannes gekommen ist, um zu sehen, ob er mir passt, bin ich abgehauen.“

Wischnewski landete in Köln als Sozialdemokrat und IGMetall-Sekretär, aber nicht als irgendeiner. Er arbeitete sich in die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Probleme seiner Stadt und unseres Landes ein. Er wurde Arbeitnehmervertreter bei Klöckner-Humboldt-Deutz. Er gab nüchternen Rat, schlichtete Konflikte, baute Brücken. Auch in der SPD war er ein prinzipientreuer Pragmatiker.

Im Rahmen der Hilfe von Jusos und Gewerkschaftsjugend für die algerische Befreiungsbewegung kam Wischnewski in engen Kontakt mit der arabischen Welt, von der französischen Regierung misstrauisch beäugt und von vielen Fallstricken umgeben. So landete einmal zu seinem Erstaunen eine siebenstellige Summe auf seinem Konto. Seine algerischen Freunde hatten sie dort aus Sicherheitsgründen „geparkt“.

Für seine arabischen und dann auch seine israelischen Freunde hat er sich sein Leben lang eingesetzt, als Abgeordneter, als Minister, vor allem aber als Vorsitzender der Nahost-Kommission der Sozialistischen Internationale unter Willy Brandt. Dort setzten sich Araber und Israelis zum ersten Mal an einen Tisch. Als Staatsminister und Berater von Bundeskanzler Helmut Schmidt lieferte er – „mit Leidenschaft und Augenmaß“, so der Titel seiner Erinnerungen, – sein Meisterstück: Die Befreiung der Geiseln aus der „Landshut“ in Mogadischu.

Wischnewskis politische Begabung hat sich vor allem im außenpolitischen Bereich bewährt, war aber nicht auf diesen beschränkt. Als wir nach der Wahl Willy Brandts zum Bundeskanzler eng zusammenarbeiteten – er war Bundesgeschäftsführer der SPD, ich Kanzleramtschef – lernte ich schnell, sein politisches Kaliber richtig einzuschätzen, seinen Realitätssinn, seinen gesunden Menschenverstand, seine Urteilskraft und seine Zuverlässigkeit.Und die politische Person war von der Privatperson kaum zu trennen. So war Briefmarkensammeln für ihn nicht nur ein privates Hobby, sondern auch politisch-geschichtlicher Unterricht.

Umgekehrt brachte er in sein politisches Engagement immer die ganze Person ein.Östliche Vitalität und rheinischer Frohsinn – wir teilten beides – waren bei ihm eine Mischung eingegangen, die ihn nicht nur zu einem guten Kumpan bei kräftigem Essen und Trinken machte, sondern auch zu einem guten politischen Weggefährten in allen Lebenslagen. Er mochte die Menschen, für die und mit denen er arbeitete. Er lebte aus dem Vollen, von seiner rheinischen Frau Gika fröhlich und getreulich umsorgt. Der Verlust seiner Frau leitete Ben Wischs letzten, von gesundheitlichen Problemen getrübten Lebensabschnitt ein. Aber er blieb – selbst als er den Rollstuhl brauchte – aktiv, er reiste mehrfach nach Libyen und gab politischen Rat, wenn er darum gefragt wurde.

Nach menschlichem Ermessen muss ihm der Himmel offen stehen.

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