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Politik: Abgerechnet wird zum Schluss

Hilfsorganisationen verteilen eine Rekordsumme – um Geld für das Nötigste zu bekommen, reicht der Ausweis

Von Stephanie Nannen

und Jost Müller-Neuhof

Die Deutschen geben, was sie können. Die Flut geht den Bürgern an die Herzen – und an das Portmonee. Allein beim Deutschen Roten Kreuz (DRK) melden sich täglich 250 000 Spender, große Firmen überschlagen sich mit Millionen-Gaben. „Es gibt bald niemanden, der nicht irgendwo etwas eingezahlt hat“, sagt DRK-Sprecher Lübbo Roewer. Burkhard Wilke vom Deutschen Zentralinstitut für soziale Fragen (DZI) in Berlin, das Spenden erforscht und Spendensiegel verteilt, erwartet am Ende 130 Millionen Euro für die Flutopfer – und damit „die größte Spendenaktion in der deutschen Geschichte“.

Mit dem Geldstrom wächst die Angst, dass er versickern könnte, ohne die Betroffenen zu erreichen. Tatsächlich waren in den letzten Tagen in Hamburg kriminelle Sammler unterwegs, die unter mildtätigem Vorwand das Geld für sich selbst einstrichen. „Dies sind Marginalien“, betont DZI-Geschäftsführer Wilke. Ähnlich gering schätzt er den Anteil jener Organisationen, die zwar guten Willens sind, „es aber einfach nicht können“ und etwa Geldspenden falsch weiterleiten oder unsinnige Sachspenden teuer verwalten. Ansonsten kämen die Spenden an – abzüglich Kosten etwa für Personal oder Material von fünf bis 15 Prozent.

Von jedem Euro, den das Rote Kreuz erhält, gelangen nach eigenen Angaben 90 Cent zu den Flutopfern. Donnerstagabend, glauben die Rotkreuzler, werde der Spenden-Pegel von 40 Millionen überschritten. Caritas und Diakonie Katastrophenhilfe haben die Rekordsummen von 14,5 Millionen Euro und 16,5 Millionen vereinnahmt. Sechs Millionen Soforthilfe hat das DRK bereits ausgezahlt. Mehr oder weniger auf Treu und Glauben: Die Geschädigten legen ihren Ausweis vor und bekommen, je nach Größe der Familie, bis zu 1000 Euro für das Nötigste. Absprachen mit anderen Helfern gibt es nicht, aber jeder Einzelne wird registriert.

Die Frage nach möglichen Ungerechtigkeiten lässt die Hilfsorganisationen merklich behutsam werden. In dieser nationalen Angelegenheit will niemand einen Fehler machen. So geht es auch Caritas international, die abwägt und plant, wie sie der Datenflut Herr werden kann. „Helfen ist schwierig“, sagt Matthias Schüth, Leiter der Öffentlichkeitsarbeit, „das geht nicht von heute auf morgen.“ Er schätzt, dass der Wiederaufbau der Städte weit mehr als ein Jahr dauern wird.

Anders als die knapp bemessene Soforthilfe wird die Zuteilung der Aufbauhilfe bürokratisch. Es geht um zu viel Geld, als dass nach dem Gießkannen-Prinzip verfahren werden könnte. Vor Ort sollen mit Kommunen und Betroffenen Krisenstäbe gebildet werden, die Daten sammeln, Sachverständige einsetzen und Schäden bewerten. Damit beuge man der Gefahr vor, dass Bedürftige leer ausgingen, nur weil sie am Ende der Bearbeitungskette stünden, sagt Schüth. Die Daten sollen Auskunft über Einkommen, Beruf, Verdienst, von der Flut verschont gebliebenes Eigentum liefern. „Wir müssen vor allem denen helfen, die sich nicht selbst helfen können.“ Das kann dazu führen, dass wohlhabende Bürger kaum Geld bekommen. Gerecht? „Sozial gerecht“, meint Schüth.

Die Diakonie-Katastrophenhilfe konzentriert sich noch auf die Nothilfe und erste Instandsetzungsarbeiten. 3,1 Millionen Euro sollen über das Schlimmste hinweghelfen. „Wir müssen uns dabei auf die Richtigkeit der Angaben verlassen, die die Betroffenen machen. Ganz gerecht ist das nie“, sagt Gesine Wolfinger von der Diakonie in Stuttgart.

Bevor in ein paar Wochen die Hilfe zum Wiederaufbau verteilt wird, soll das Prozedere deshalb transparenter werden, wie es DZI-Leiter Wilke schon seit Tagen fordert. Am Montag setzen sich die Hilfsorganisationen im Innenministerium in Berlin an einen Tisch und wollen Maßstäbe erarbeiten. Doppel- oder Überzahlungen soll es nicht geben. Wilke hält eine gründliche Information über die Vergabe für unabdingbar. Auch die Länder sollten beteiligt werden. „Hier baut der Wahlkampf gewisse Hürden auf“, sagt Wilke. „Das sollte überwunden werden.“

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