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Das Flüchtlingsschiff "Aquarius" bei ihrer Einfahrt in den Hafen von Valencia im Juni.

© imago/Le Pictorium

Abkommen mit Deutschland: Warum Flüchtlinge in Spanien willkommen sind

Deutschland kann jetzt Flüchtlinge zurück nach Spanien schicken - ohne dass es dort große Empörung gibt. Denn in der Flüchtlingspolitik verhält sich Spanien ganz anders als etwa Italien. Eine Analyse.

Im vergangenen Mai veröffentlichte das US-Forschungsinstitut Pew Research Center eine Studie zur Identität und Integration in 15 westeuropäischen Ländern, die nebenbei einen erstaunlichen Unterschied zwischen den beiden Mittelmeer-Anrainern Italien und Spanien zutage förderte. Es zeigte sich, dass Einwanderer in Italien weniger willkommen sind als in Spanien. Im Durchschnitt befürworteten 52 Prozent der Italiener der Studie zufolge eine Verringerung der Einwanderung. In Spanien waren es nur 39 Prozent.

Dieser Unterschied hat Folgen: Während in Italien eine Regierung aus Rechts- und Linkspopulisten Europa mit ihrer Flüchtlingspolitik unter Zugzwang setzt und allein auf die Abwehr von Flüchtlingen setzt, versucht sich die spanische Minderheitsregierung des Sozialisten Pedro Sanchez immerhin in einem Spagat aus Abschottung und Solidarität. Und auch jetzt, da Spanien sich in einem Abkommen verpflichtet, Menschen wiederaufzunehmen, die schon an der deutschen Grenze stehen, in Spanien jedoch ihren Asylantrag gestellt hatten, hat dies in der Öffentlichkeit dort kaum negative Resonanz.

Dass Spanien in der Flüchtlingspolitik anders tickt als Italien, konnte die Öffentlichkeit symbolhaft schon während der Odyssee des Flüchtlingsschiffs „Aquarius“ im Juni verfolgen. Das Schiff, das von Italien und Malta zurückgewiesen wurde, landete schließlich im spanischen Hafen Valencia. In der spanischen Öffentlichkeit wurde die Aufnahme des Schiffes seinerzeit einhellig begrüßt. Die Reaktion erinnert an die „Refugees welcome“-Banner, die auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise 2015 und 2016 an zahlreichen öffentlichen Plätzen in Spanien zu sehen waren.

"Das Boot ist voll"-Parolen verfangen in Spanien nicht

Weil Italien sich zunehmend gegen Flüchtlinge abschottet, kommen nun immer mehr Migranten über Tunesien und Marokko nach Spanien. Von einer aufkommenden Fremdenfeindlichkeit ist dennoch auf der iberischen Halbinsel nichts zu spüren. „Das Boot ist voll“-Parolen verfangen in Spanien nicht. Diese Erfahrung macht derzeit auch der neue Chef der konservativen Volkspartei, Pablo Casado. Der 37-Jährige, der zunächst die Einwanderung von „Millionen Afrikanern“ an die Wand malte, rüstet inzwischen rhetorisch schon wieder ab.

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Schließlich sprechen ja auch die Zahlen der europäischen Statistikbehörde Eurostat eine nüchterne Sprache. Für die Jahre 2013 bis 2016 verzeichnet die Statistik für Spanien unterm Strich gerade einmal eine Einwanderung von rund 30 000 Menschen aus Nicht-EU-Staaten. In Italien waren es immerhin knapp 700.000 Personen. Doch die jüngere Entwicklung ist nur ein Teil der Geschichte: In den Boomjahren zwischen 1998 und 2007 kamen Millionen Menschen nach Spanien – aus katholisch geprägten Weltgegenden wie Lateinamerika, aber auch aus Nordafrika. Ihre Integration ging verhältnismäßig problemlos vonstatten. Rassistische Ausschreitungen wie im Jahr 2000, ausgelöst von der Ermordung einer Spanierin durch einen Marokkaner, blieben die Ausnahme.

Allerdings zeigt Spanien in der Migrationspolitik durchaus auch Härte. Es war kein Zufall, dass der EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos bei seinem Besuch in Madrid am Freitag die Bedeutung der Transitländer Tunesien und Marokko hervorhob. Vor allem Marokko übernimmt für Spanien seit mehr als einem Jahrzehnt die Aufgabe, Migranten von der Überfahrt über das Mittelmeer abzuhalten. Daran möchte auch der sozialistische Regierungschef Sanchez im Prinzip nichts ändern – auch wenn er die messerscharfen Klingen an den Grenzzäunen der beiden Exklaven Ceuta und Melilla entfernen lassen will.

Es ist also eine Mischung aus Aufnahmebereitschaft wie im Fall der „Aquarius“ und unvermeidlicher Grenzsicherung, die den Erfolg der spanischen Migrationspolitik ausmacht. Während Italiens rechtspopulistischer Innenminister Matteo Salvini lautstark tönt und sich ansonsten Lösungen in der europäischen Asylpolitik verweigert, darf die Europäische Union vom Madrider Regierungschef Sanchez zu Recht mehr erwarten. Beim EU-Gipfel im vergangenen Juni wurde über gemeinsam betriebene Asylzentren auf europäischem Boden diskutiert. Sie könnten dazu dienen, ein Weiterziehen von Migranten nach Deutschland zu verhindern und Rückführungen abgelehnter Asylbewerber zu beschleunigen. Spanien gilt in der gegenwärtigen Diskussion als ein möglicher Standort eines solchen Asylzentrums.

Wegen der Franco-Diktatur ist Rechtspopulismus tabu

Für eine aktivere Rolle Spaniens in der europäischen Asylpolitik spricht nicht zuletzt die Tatsache, dass sich das iberische Land bis jetzt immun gegen den fremdenfeindlichen Populismus gezeigt hat, der schon seit Längerem in Italien und Frankreich Fuß gefasst hat – und seit einigen Jahren auch in Deutschland. Die Erfahrung mit der fast 40-jährigen Franco-Diktatur hat die Spanier abgeschreckt gegen Parteien am rechten Rand.

Hinzu kommt: Wenn in Spanien in der Öffentlichkeit von „den anderen“ die Rede ist, dann sind damit Katalanen, Basken oder Andalusier gemeint. Die öffentliche Dauerdiskussion über die Verfasstheit des spanischen Staats lässt wenig Raum für einen nach außen gerichteten Fremdenhass. Und wenn die Spanier ihren Verdruss mit dem etablierten System zeigen wollen, dann wählen sie unverdächtige Parteien wie Podemos oder Ciudadanos.

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