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Politik: Abschied vom ABM-Vertrag

Die unmittelbar bevorstehende Kündigung der ABM-Rüstungskontrollverträge durch die US-Regierung beendet auch eine lange schwelende Debatte im Kabinett von Präsident George W. Bush zu diesem Thema.

Die unmittelbar bevorstehende Kündigung der ABM-Rüstungskontrollverträge durch die US-Regierung beendet auch eine lange schwelende Debatte im Kabinett von Präsident George W. Bush zu diesem Thema. Bis zuletzt war unter Kabinettsmitgliedern heftig umstritten, ob man sich die möglicherweise vielfältigen Folgen des Rückzugs aus den historischen Abkommen von 1972 leisten könne. Interne Kritiker der Entscheidung ihres Präsidenten, die am vorigen Freitag den russischen Staatschef Wladimir Putin in einem Telefongespräch auf die Kündigungs-Depesche vorbereitet hatten, sehen nun nicht nur die Gefahr einer deutlichen Verschlechterung der Beziehungen zu Moskau, sondern auch eine Belastungsprobe mit den Nato-Verbündeten sowie neue Aufrüstungsbestrebungen Chinas. Vor allem Aussenminister Colin Powell habe zuletzt immer wieder gegen einen Rückzug aus dem Vertragswerk gekämpft, heißt es, und - allerdings vergeblich - für einen ergänzenden Paragrafen plädiert, der Raketentests dann doch hätte ermöglichen können.

Zuvor hatte sich jedoch auch in monatelangen Verhandlungen zwischen den USA und Moskau, an denen Powell intensiv beteiligt war, keinerlei Kompromiss in der ABM-Frage abgezeichnet. Präsident Bush, der das Vertragswerk bei öffentlichen Auftritten zuletzt immer wieder als "Relikt des Kalten Krieges" belächelt hat, geriet in den letzten Wochen angesichts der ehrgeizigen Testpläne des Pentagon für den umstrittenen Nationalen Raketen-Abwehrschirm immer mehr unter Zugzwang. In rund sechs Monaten soll in Alaska bereits, nachdem das Gelände schon entsprechend vorbereitet worden ist, mit dem Bau von fünf Raketen-Silos begonnen werden, die Bestandteil des neuen Weltraum-Abfangkonzeptes sein sollen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätten die USA dann formell gegen die ABM-Verträge verstoßen, die den Bau eines nationalen Raketen-Abwehrsystems nicht erlauben.

Nun greift man in Washington auf die sechsmonatige Kündigungsfrist des Vertragswerks zurück und hofft, dass die Reaktionen in Moskau deshalb moderat ausfallen, weil man den Partner des Abkommens ja intensiv auf einen solchen Schritt vorbereitet habe. Wie zu erfahren war, hatte Putin zuletzt Bush auch signalisiert, dass man zu einer Modifizierung des Abkommens und zu einer Tolerierung umfangreicher Raketentests bereit sei, wenn das Weiße Haus im Gegenzug ausführlich über jeden Schritt des neuen Abwehrsystems informiere und auch ein Mitspracherecht bei der Frage erlaube, welche Waffen letztlich zum Abfangen feindlicher Raketen eingesetzt werden würden. Dieses Ansinnen stieß allerdings bei den "Falken" im Bush-Kabinett, darunter Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und Sicherheitsberaterin Condoleeza Rice, auf schroffe Ablehnung. Deshalb gab es auch beim jüngsten Treffen zwischen Bush und Putin keinerlei Annäherung in dieser Frage.

Erste Reaktionen am Mittwoch zeigten, dass es auch in den USA massive Bedenken gegen die Kündigung gibt. Der Chef des Senatsausschusses für auswärtige Angelegenheiten, der Demokrat Joseph Biden, hält die Bush-Entscheidung für einen "schweren Fehler". Senats-Mehrheitssprecher Tom Daschle, der grundsätzlich ein Raketen-Abwehrsystem nicht ablehnt, sieht in dem Schritt "einen Schlag ins Gesicht auch jener Menschen, die sich Jahre und Jahrzehnte für eine Rüstungskontrolle eingesetzt haben."

Die russische Regierung sieht der für diesen Donnerstag von den USA erwarteten Kündigung der ABM-Verträge zur Begrenzung von Raketenabwehr-Systemen gelassen entgegen. Russland "dramatisiert die Situation nicht und verfolgt die Entwicklung der Ereignisse aufmerksam", sagte ein Vertreter des Außenministeriums in Moskau.

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