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Im Gedenken an George Floyd kommt es immer wieder zu Demonstrationen vor dem Gerichtsgebäude in Minneapolis.

© Henry Pan/ZUMA Wire/dpa

Update

Abschlussplädoyers im Fall George Floyd: Und was passiert, wenn Derek Chauvin freigesprochen wird?

Minneapolis wartet auf das Urteil im Fall des Ex-Polizisten Chauvin, der den Afroamerikaner Floyd getötet hat. Die Abschlussplädoyers haben begonnen.

Minneapolis bereitet sich auf das Schlimmste vor. Geschäfte haben Bretter vor ihre Schaufenster genagelt, Schulen haben angekündigt, ab Mittwoch erst einmal auf Online-Unterricht umzuschalten, 3000 Nationalgardisten sind zur Verstärkung gerufen worden.

Alle fünf Polizeistationen der bevölkerungsreichsten Stadt im US-Bundesstaat Minnesota wurden durch hohe, zusätzlich mit Stacheldraht verstärkte Eisenzäune gesichert, genauso wie wichtige Verwaltungsgebäude.

Das Gerichtsgebäude des Hennepin County gleicht schon länger einer Festung. Hier haben am Montag die Abschlussplädoyers im Prozess um die Tötung des Afroamerikaners George Floyd gehalten. Nach diesen letzten Worten von Staatsanwaltschaft und Verteidigung sollten sich die Geschworenen zurückziehen, um Einigkeit in der Frage zu erreichen, welche Schuld der inzwischen entlassene Polizist Derek Chauvin an Floyds Tod vor knapp einem Jahr trägt.

Die Sorgen, was passiert, wenn Chauvin freigesprochen wird oder seine Strafe milde ausfällt, sind riesig. Nach dem Tod Floyds, dessen Qualen Millionen Menschen nachverfolgen konnten, weil eine Passantin den Vorfall gefilmt hatte, war es zu schweren Ausschreitungen in Minneapolis und anderen amerikanischen Großstädten gekommen.

Neun Minuten und 29 Sekunden Qual

Der 46 Jahre alte Floyd war am 25. Mai vergangenen Jahres in Minneapolis bei einer Festnahme ums Leben gekommen. Wie auf dem Video zu sehen ist, hatte der weiße Polizist Chauvin neun Minuten und 29 Sekunden (der Zeitraum wurde mehrfach nach oben korrigiert) auf Floyds Hals gekniet und auch nicht von ihm abgelassen, als der ihn anflehte und ausstieß, nicht mehr atmen zu können.

Floyds letzte Worte „I can’t breathe“ wurden zum Motto der größten Protestbewegung gegen Rassismus und Polizeigewalt seit Jahrzehnten. Seitdem wird immer wieder vor dem Gerichtsgebäude in Minneapolis demonstriert, in dem die Anhörung von Zeugen im Hauptverfahren vergangenen Donnerstag zu Ende gegangen war – nach gerademal drei Wochen.

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Der schwerwiegendste Anklagepunkt, für den Chauvin bis zu 40 Jahre hinter Gitter geschickt werden könnte, lautet Mord zweiten Grades ohne Vorsatz – was im deutschen Recht mit Totschlag vergleichbar ist. Dem 45-Jährigen wird auch Mord dritten Grades vorgeworfen, was mit bis zu 25 Jahren Haft geahndet werden kann. Der Ex-Polizist muss sich zudem wegen Totschlags zweiten Grades verantworten, worauf zehn Jahre Haft stehen.

Chauvin, der auf Kaution frei ist, hat auf nicht schuldig plädiert. Auf eine Aussage hat er verzichtet. Drei weiteren ehemaligen Polizisten, die an dem Einsatz beteiligt waren und Chauvin nicht stoppten, wird Beihilfe vorgeworfen. Ihr Prozess soll im August beginnen.

Die Geschworenen bleiben anonym – aus Sicherheitsgründen

Wie lange die zwölf Geschworenen im Fall Chauvin brauchen werden, um ein Urteil zu fällen, ist offen. Während der Beratungen dürfen sie nicht mehr nach Hause gehen. Sie sind so lange in einem Hotel in Minneapolis untergebracht, bis sie sich geeinigt haben – eine Verurteilung könnte ein einziger Geschworener verhindern. Aus Sicherheitsgründen bleibt die Jury bis auf Weiteres anonym.

Richter Peter Cahill ermahnte sie am Montag, ihre Entscheidung nur aufgrund von „Fakten“ zu treffen. Der Angeklagte könne nur verurteilt werden, wenn es keinen Zweifel an seiner Schuld gebe. Mit Blick auf die Verteidigung erklärte er aber auch, es gehe hier nicht um den Charakter von George Floyd.

Anklage macht klar: Es geht nicht gegen die Polizei

Staatsanwalt Steve Schleicher, der als erster nach Richter Cahill sprach, begann mit den Worten: „Sein Name war George Perry Floyd Jr.“. Floyd sei „mit dem Gesicht nach unten auf dem Asphalt“ gestorben. Seine letzten Worte „I can‘t breathe“ habe er an Fremde gerichtet. Vor allem an Derek Chauvin, den er mit „Mr. Officer“ angesprochen habe.

Schleicher sagte, er verstehe, wenn man sich nur schwer vorstellen könne, dass ein Polizist so etwas tue. Aber Chauvin habe Floyd getötet, als er neun Minuten und 29 Minuten auf ihm gekniet habe. „Das war keine Polizeiarbeit. Das war Mord“, sagte Schleicher in seinem knapp zweistündigen Plädoyer. „Er hat das Polizeiabzeichen verraten und alles, wofür es stand.“

Die Polizei stehe nicht vor Gericht, betonte der Staatsanwalt, im Gegenteil: Dieser Prozess solle sie unterstützen. „Dieser Fall heißt ,Der Staat Minnesota vs. Derek Chauvin‘. Dieser Fall heißt nicht ,Der Staat Minnesota vs. die Polizei‘ ... Es gibt nichts Schlimmeres für gute Polizisten als schlechte Polizisten.“

Die Verteidigung argumentiert, das Vorgehen sei regelkonform

Emotional wurde es, als Schleicher die letzten Minuten in Floyds Leben schilderte. „George Floyd hat gebettelt, bis er nicht mehr sprechen konnte“, sagte der Staatsanwalt. Zu diesem Zeitpunkt sei lediglich „ein wenig Mitgefühl“ nötig gewesen – „und an diesem Tag wurde keines gezeigt“.

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Strafverteidiger Eric Nelson versuchte anschließend, die eindrucksvolle Darstellung der Ankläger zu schwächen. Falls nur ein Aspekt fehle, ein begründeter Zweifel bestehe, müsse das Urteil auf nicht schuldig lauten, forderte Nelson.

An die Geschworenen gerichtet sagte er, es gebe begründete Zweifel an Floyds Todesursache. Zudem könne kein Verbrechen vorliegen, weil Chauvins Handeln zwar hart, aber gerechtfertigt und regelkonform gewesen sei. Floyd habe sich der Verhaftung widersetzt, betonte der Anwalt, der versuchte, Chauvin als einen „angemessen“ handelnden Polizisten darzustellen.

Der Polizeichef von Minneapolis, Medaria Arradondo, hatte dieser Argumentation der Verteidigung allerdings bereits während seiner Anhörung im Prozess widersprochen und Chauvins Knie-Einsatz als unverhältnismäßig und vorschriftswidrig bezeichnet.

Angespannte Stimmung im Großraum Minneapolis

Die Verteidigung argumentierte zudem, dass Floyds Tod nicht primär auf Gewalteinwirkung zurückgehe, sondern vor allem auf dessen vorbelastete Gesundheit und Rückstände von Drogen in seinem Blut. Auch dies war von Experten der Staatsanwaltschaft klar zurückgewiesen geworden. So erklärte ein Lungenspezialist während der Zeugenanhörung, Floyd sei an einem Herzstillstand gestorben, der auf Sauerstoffmangel zurückgehe.

Nach der Verteidigung war noch einmal eingeplant, dass die Ankläger das Wort angreifen. Danach sollte die Jury sich zurückziehen – und das bange Warten beginnen.

Aufgeladen ist die Stimmung im Großraum von Minneapolis nicht nur wegen des Prozesses, sondern zudem, weil vor einer Woche erneut ein Afroamerikaner von der Polizei getötet wurde. Eine weiße Polizistin hatte bei einer Verkehrskontrolle im Vorort Brooklyn Center auf den 20-jährigen Daunte Wright geschossen und dabei nach eigenen Angaben versehentlich statt ihrer Elektroschockpistole (Taser) ihre Schusswaffe benutzt.

Proteste gab es zudem nach dem Tod des 13-jährigen Adam Toledo. Ein weißer Polizist hatte den schwarzen Jungen in der vergangenen Woche in Chicago erschossen. Danach kam es in mehreren Städten zu Demonstrationen, die vereinzelt auch gewalttätig wurden.

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