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Maulkorb für Abgeordnete? Nun rudern Union, SPD und FDP zurück.

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Update

Abstimmung verschoben: Fraktionen rudern beim Streit um Rederecht zurück

Die Empörung hatte überraschend schnelle Wirkung: Die großen Fraktionen verzichten vorerst auf die stärkere Kontrolle bei Wortmeldungen von Abgeordneten. Gesucht wird ein breiter Konsens.

Die umstrittene Neuregelung des Rederechts von Bundestagsabgeordneten ist vorerst vom Tisch. Nach massiven Protesten kündigten Union, FDP und SPD weitere Beratungen über eine Neuregelung an und verschoben die für nächste Woche geplante Abstimmung. „Die Entscheidung in dieser Angelegenheit ist bislang nicht gefallen und wird kurzfristig auch nicht erfolgen“, teilten die Fraktionsgeschäftsführer von Union und FDP, Peter Altmaier und Jörg van Essen, am Montag mit. Zunächst sollten sich nun die Vorsitzenden und Parlaments-Geschäftsführer aller Fraktionen damit befassen. Auch SPD-Parlamentsgeschäftsführer Thomas Oppermann erklärte, die Vorschläge seien „nicht ausgereift und werden so nicht kommen“.

Nach einem Bericht der „Süddeutschen Zeitung“ hatte der Geschäftsordnungsausschuss mit den Stimmen von Union, FDP und SPD empfohlen, dass künftig nur Parlamentarier im Plenum das Wort erhalten sollen, die von den Fraktionen dazu bestimmt wurden. Andere Abgeordnete solle der Bundestagspräsident dann nur noch ausnahmsweise und maximal drei Minuten lang reden lassen - und auch dies nur nach Rücksprache mit den Fraktionen. Hintergrund war eine Entscheidung von Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU), der in den Debatten zur Euro-Rettung „Abweichlern“ von CDU und FDP das Wort erteilt hatte, obwohl sie nicht von ihren Fraktionen vorgesehen worden waren.

Nun soll neu beraten werden. „Ziel der Gespräche ist eine Lösung, die dem freien Mandat des Abgeordneten und der Arbeitsfähigkeit des Parlaments in gleicher Weise Rechnung trägt“, erklärten Altmaier und van Essen. „Bis zum Ergebnis dieser Gespräche werden keine Änderungen der geltenden Geschäftsordnung beschlossen.“ Oppermann sagte, die Fraktionen hätten noch keine Gelegenheit gehabt, die Empfehlungen des Geschäftsordnungsausschusses zu beraten.

Blick in den Plenarsaal des Bundestages.
Blick in den Plenarsaal des Bundestages.

© dpa

Änderungen sollten möglichst im Konsens mit allen Fraktionen verabschiedet werden. „Deswegen wird es auch in der nächsten Woche keine Abstimmung im Bundestag geben. Die SPD wird sicherstellen, dass auch in Zukunft abweichende Meinungen im Bundestag zu Wort kommen können“, sagte Oppermann. Die FDP will nach Angaben von Fraktionschef Rainer Brüderle auf die Kritiker zugehen. Es werde am Schluss eine vernünftige Regelung stehen, um die Position von Abgeordneten mit abweichender Meinung in der Geschäftsordnung zu klären und zu sichern.

Die Grünen begrüßten die neue Entwicklung. Ihr Fraktionsgeschäftsführer Volker Beck erklärte: „Parlamentarismus und Redeverbote widersprechen sich. Das hat nun endlich auch die SPD verstanden.“ Nach Ansicht von Linke-Chef Klaus Ernst war die geplante Neuregelung kaum mit dem Grundsatz vereinbar, wonach Abgeordnete nur ihrem Gewissen verantwortlich sind.

Die Berichte am Wochenende hatten für helle Empörung bei vielen Abgeordneten gesorgt - auch in Reihen von Koalition und SPD. Mehrere Abgeordnete drohten mit einer Verfassungsklage. „Ich werde mir nicht das Recht nehmen lassen, das zu sagen, was mein Gewissen gebietet, und wenn hier eingegriffen wird, dann muss man als freigewählter Abgeordneter dagegen vorgehen“, sagte der CDU-Bundestagsabgeordnete Klaus-Peter Willsch am Montag im Deutschlandfunk. Notfalls bedeute das eine Verfassungsklage.

Der Grünen-Parlamentarier Hans-Christian Ströbele kann sich den Gang zum Bundesverfassungsgericht vorstellen. „Ich bin da guter Hoffnung, dass - wenn nicht die Fraktionsführungen von FDP, CDU, CSU und SPD jetzt zur Vernunft kommen - dass dann das Bundesverfassungsgericht hilft“, sagte Ströbele im ZDF-„Morgenmagazin“.

„Die Fraktionsgeschäftsführer betrachten das Parlament als Gegenstand ihrer eigenen Inszenierung, bei der sie selbst Intendant sein wollen“, sagte der als „Euro-Rebell“ bekanntgewordene Willsch. „Ich habe mich gefragt, was als nächstes kommen soll. Ob als nächstes das Publizierungsverbot oder der Hausarrest kommt.“ (dpa)

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