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Reicht es? Kanzlerin Angela Merkel unterhält sich mit Unions-Fraktionschef Volker Kauder (l.) und dem parlamentarischen Geschäftsführer Peter Altmaier.

© dpa

Abstimmung zum Rettungsschirm: Mehrheit ist nicht gleich Mehrheit

Für die Reform des Eurorettungsschirms muss eine Kanzlermehrheit her, findet die Opposition. Unterdessen baut die Union für den Fall vor, dass Abgeordnete aus den eigenen Reihen den Rettungsfonds ablehnen. Was ist eine echte Mehrheit?

Von Robert Birnbaum

In Mathematik, sagt Peter Altmaier, sei er nie richtig gut gewesen. Das Rechnen beherrscht der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion allerdings schon, politische Kalkulation inklusive. Altmaier kann höhere Zahlenkünste im Moment brauchen. Am Montagabend haben die Fraktionen von Union und FDP darüber abgestimmt, den Gesetzentwurf für den erweiterten Euro-Rettungsfonds EFSF ins parlamentarische Verfahren einzubringen. Bei CDU und CSU stimmten zwölf Abgeordnete mit Nein, sieben weitere enthielten sich. Bei der FDP lehnten zwei ab und vier enthielten sich. 25 Abweichler – das ist politisch ein Problem.

Dass ein Fraktionsgeschäftsführer tags darauf Zuversicht verbreitet, bei der Schlussabstimmung Ende September werde Schwarz-Gelb trotzdem eine klare Mehrheit haben – nun, dafür wird er bezahlt. Aber die Behauptung, er sei „erleichtert und sehr guter Dinge“, ist im Tarifgehalt nicht inbegriffen. Altmaier muss also Gründe haben für die demonstrative Fröhlichkeit. Mindestens einer davon ist allerdings kein richtig guter.

Ein guter Grund für Zuversicht ist die Lebenserfahrung, dass auch im Parlament nichts so heiß gegessen wie gekocht wird. „Das alles ist ganz im normalen und üblichen Bereich“, sagt Altmaier. Schon bei früheren Gesetzen, von Bundeswehrmandaten bis Euro-Rettung, haben schwarz-gelbe Parlamentarier nicht zugestimmt, solange das folgenlos blieb. Bei der entscheidenden Abstimmung ist die Zahl der Nein-Sager immer auf eine gute Handvoll geschrumpft. Die kann Angela Merkel verschmerzen – ihre schwarz-gelbe Koalition stellt 330 der 620 Bundestagsabgeordneten, 40 Sitze mehr als die gesamte Opposition.

In dieser satten Mehrheit liegt der zweite Grund für Altmaiers ostentativen Frohsinn. Seit Wochen fordert alle Welt, dass die Regierung bei den Euro-Abstimmungen eine eigene Mehrheit haben müsse. Altmaier stimmt dem durchaus zu: „Am Ende muss es eine eigene Mehrheit sein.“ Er hat nur eine ganz eigene Idee davon, welche Mehrheit.

Bisher war alle Welt stillschweigend davon ausgegangen, dass als symbolische Messlatte nur die Kanzlermehrheit infrage käme – symbolisch deshalb, weil das EFSF-Paket ohnehin die Mehrheit sicher hat, denn SPD und Grüne wollen es mittragen. Die Kanzlermehrheit liegt bei 311 Stimmen. Sie wäre glatt verfehlt, wenn die Koalition am 29. September so abstimmen würde wie jetzt.

Altmaiers Lesart einer „eigenen Mehrheit“ sieht aber anders aus. Kein Gesetz benötige die Kanzlermehrheit, also die Mehrheit aller Mandate im Parlament – immer reiche die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Warum also, argumentiert der CDU-Mann, sollten an das einfache Gesetz zur Ausweitung des Euro-Rettungsfonds höhere Anforderungen gestellt werden?

Was die Opposition zu Altmaiers Interpretation einer "eigenen" Mehrheit sagt, lesen Sie auf Seite zwei.

Wenn sich diese Interpretation durchsetzte, wäre die Unionsspitze fein raus. Selbst mit 14 Nein-Sagern wäre das Ergebnis noch eine schwarz-gelbe Mehrheit – 305 gegen höchstens 304 Stimmen der gesammelten Opposition. Denn bei der einfachen Mehrheit werden Enthaltungen nicht mitgezählt. Der Bundestag kann ein Gesetz mit zwei Stimmen gegen eine beschließen, wenn alle anderen nicht im Saal sind oder sich enthalten.

Bei der SPD finden sie die Altmaier’sche Lesart naturgemäß wenig komisch. „In einer Kanzlerdemokratie muss in allen grundsätzlichen Fragen die Kanzlermehrheit stehen“, schimpft SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann. Das bewegt sich zwar staatsrechtlich auf sehr unsicherem Grund – eine „Kanzlerdemokratie“ ist die Bundesrepublik eher nicht. Aber Oppermanns Verdacht, dass der Kollege von der CDU schon mal für den Fall vorbaut, dass es anders nicht klappt – der ist schwer von der Hand zu weisen. „Offensichtlich traut sich die Koalition selbst nicht mehr zu, die eigenen Reihen zu überzeugen, und stellt sich auf schwindende Mehrheiten ein“, stichelt der Sozialdemokrat.

Tatsächlich könnte Angela Merkel am Ende gar nichts anderes übrig bleiben, als die „eigene Mehrheit“ mit der „einfachen“ zu übersetzen. Die Zahl der Nein-Sager wird vielleicht nicht mehr steigen – Altmaier weiß von Abgeordneten zu berichten, die ihm versichert haben, dass sie jetzt ablehnen, in letzter Konsequenz aber nicht beim Nein bleiben werden. Doch die Gefahr ist groß, dass immer mehr Parlamentarier den Weg der immer neuen Rettungsmilliarden nicht mehr mitgehen und sich enthalten. Dass Griechenland seine Auflagen womöglich nicht erfüllen kann und, schlimmer noch, Silvio Berlusconis Italien von schmerzlichen Reformen plötzlich nichts mehr wissen will, stellt das gesamte Rettungswerk infrage. Merkel hat deshalb schon im CDU-Präsidium am Montag darauf gepocht, dass es Solidarität nur im Gegenzug für Solidität geben könne. Die Kanzlerin und ihr Finanzminister Wolfgang Schäuble haben überdies vor der Fraktion gefordert, dass sich Europa jetzt schnell neue Institutionen geben müsse, die gegen Schuldensünder effektiv vorgehen könnten.

Beide haben dafür großen Beifall bekommen. Doch Merkels Problem ist weniger Europas Zukunft als seine Gegenwart. In der CSU-Landesgruppe hat am Montag Michael Glos dafür plädiert, Griechenland aus dem Euro-Raum zu werfen. Er könne sich inzwischen anderes nicht mehr vorstellen, hat der frühere Wirtschaftsminister gesagt. Gegen seine Kanzlerin stimmen will er nicht. Er ist der Fraktionssitzung einfach ferngeblieben.

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