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Absturz der Germanwings-Maschine: So bildet die Lufthansa ihre Piloten aus

Angehende Piloten werden intensiv auf ihre Eignung für den Beruf getestet. Auch Andreas Lubitz durchlief diese Prüfungen. Diese Anforderungen stellt die Lufthansa an ihre Bewerber.

Gut eine Woche nach der Katastrophe um Flug 4U9525 werden immer neue Details über den Ausbildungsweg und die gesundheitlichen Probleme des Kopiloten Andreas Lubitz bekannt, der die Maschine nach Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft zum Absturz gebracht hatte. Und immer wieder stellt sich die Frage, ob die Katastrophe hätte vorhergesehen werden können und ob Ärzte und Unternehmen angesichts der gesundheitlichen Probleme des Flugschülers und späteren Kopiloten hätten anders reagieren können und müssen.

Wann hatte die Lufthansa Kenntnis von den gesundheitlichen Problemen von Lubitz?

2009 hatte Lubitz seine Pilotenausbildung für elf Monate unterbrochen. Damals informierte er die Verkehrsfliegerschule der Lufthansa in Bremen über eine „abgeklungene schwere depressive Episode“. Vor der Fortsetzung seiner Ausbildung wurde seine Tauglichkeit vom Medizinischen Dienst der Lufthansa bestätigt, wie ein Lufthansa-Sprecher am Mittwoch sagte. Damit habe es keinen Anlass gegeben, Lubitz die Ausbildung zu versagen. Laut „Spiegel-Online“ soll er damals im Auftrag der Lufthansa psychiatrisch begutachtet worden sein.

Eine weitere medizinische Untersuchung erfolgte vor der Einstellung bei Germanwings durch den Medizinischen Dienst der Lufthansa. Dabei sei ein SIC-Vermerk in seine Akte aufgenommen worden, sagte der Sprecher weiter. Das Kürzel steht für Specific Regular Medical Examinations (spezielle reguläre medizinische Untersuchungen) und besagt, dass der Fliegerarzt bei der jährlichen Routinekontrolle zum Erhalt des Flugtauglichkeitszeugnisses zusätzlich auf bestimmte Erkrankungen achten muss. Um welche Leiden es sich dabei handelt, unterliegt der ärztlichen Schweigepflicht. Ob Germanwings von der Fliegerschule in Bremen über Lubitz’ Krankheitsgeschichte in Kenntnis gesetzt worden war, blieb am Mittwoch offen.

Welche Anforderungen werden an Piloten-Bewerber gestellt?

Interessenten mit Hochschulreife, die sich bei der Pilotenschule Lufthansa Flight Training bewerben, dürfen nicht mehr als drei Punkte und keinen Eintrag wegen Alkohol- oder Drogenkonsums in der Flensburger Verkehrssünderkartei haben. Sie müssen zunächst eine Berufsgrunduntersuchung beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt bestehen. Einen Tag lang werden sie auf Fachwissen und Fähigkeiten in verschiedensten Themenbereichen getestet, heißt es auf der Karrierewebsite der Lufthansa. Konzentrationsvermögen, Wahrnehmungsgeschwindigkeit, Orientierungsvermögen, sensomotorische Konzentration, die Fähigkeit zur Mehrfacharbeit in komplexen Situationen sowie relevante Persönlichkeitsmerkmale spielen eine Rolle. Gute Leistungen in Mathematik, Physik und Englisch gelten als Voraussetzung.

Wer diese Hürde genommen hat, muss anschließend die zweitägige Firmenqualifikation bestehen. Hier geht es um Kooperationsverhalten, Koordinations- und Steuerungsfähigkeiten, Selbstreflexion, Belastbarkeit, Zuverlässigkeit und Disziplin des Kandidaten sowie dessen Engagement und Motivation. Ist auch dieser Test bestanden, müssen die Bewerber das erste Mal zum Medizinischen Dienst der Lufthansa, um sich die Flugtauglichkeit bescheinigen zu lassen. Vorausgesetzt werde „eine normale körperliche Fitness“. Ablehnungen im Rahmen der medizinischen Untersuchung haben in den meisten Fällen mit Augenerkrankungen und Farbsehschwächen oder Falschangaben bei der Größe zu tun.

Bei der Übernahme durch eine Airline des Lufthansa-Konzerns findet eine erneute Flugtauglichkeitsuntersuchung durch den Medizinischen Dienst der Lufthansa statt. Danach steht es den Piloten frei, sich auch einen Fliegerarzt außerhalb des Konzerns für die jährlich vorgeschriebene Nachuntersuchung zu suchen. Allerdings ist das offenbar eher weniger der Fall, viele Lufthansa-Piloten (und auch andere) nutzen die beiden Medizinischen Zentren der Airline in Frankfurt am Main und Hamburg. Ob Lubitz seinen ersten jährlichen Wiederholungstest dort oder bei einem Fliegerarzt machte, wollte die Lufthansa am Mittwoch nicht sagen.

Was umfasst die Ausbildung zum Piloten?

Die gut zwei Jahre dauernde Ausbildung beginnt mit einem sechsmonatigen Theoriekurs an der Lufthansa-Fliegerschule in Bremen. Danach absolvieren die Kandidaten ihre viermonatige fliegerische Grundausbildung auf einmotorigen Propellermaschinen im US-Bundesstaat Arizona. Danach heißt es für ein halbes Jahr erneut, die Schulbank in Bremen zu drücken, bevor die Nachwuchspiloten dann Jet-Erfahrung auf einem Citation-Businessjet, einem Geschäftsreiseflugzeug, das die Lufthansa zum Pilotentraining einsetzt, erwerben. Zum Abschluss lernen sie vier Monate lang in Frankfurt am Main den Flugbetrieb zunächst vom Boden aus kennen, bevor das dreimonatige sogenannte Typerating beginnt, die Schulung für den konkreten Flugzeugtyp, auf dem sie zuerst eingesetzt werden sollen.

Nicht immer ist für die Jungpiloten sofort ein Arbeitsplatz vorhanden, oft müssen sie sich vorerst mit anderen Jobs durchschlagen, manche, wie Lubitz, arbeiten zunächst als Flugbegleiter. Da derzeit genügend Piloten vorhanden sind, starten in diesem Jahr bei der Lufthansa überhaupt keine neuen Lehrgänge und es wird nur eine stark begrenzte Zahl von Eignungstests geboten.

Die Nachwuchspiloten müssen sich übrigens mit einem Eigenbeitrag von 70.000 Euro an den Ausbildungskosten beteiligen. Diese Summe müssen sie aber erst nach Übernahme in ein Angestelltenverhältnis zurückzahlen.

Wie steht der Lufthansa-Konzern jetzt da?

Börsianer halten offenbar weiter zur Lufthansa. Am Tag des Absturzes der Germanwings-Maschine ist der Aktienkurs zunächst deutlich abgerutscht, seitdem bewegt er sich seitwärts bei gut 13 Euro. Aber mit Kommentaren zur aktuellen Lage des Unternehmens nach der Katastrophe halten sich Börsianer zurück. Auch Analysten äußern sich vorsichtig, namentlich schon gar nicht. „Vor der Hauptversammlung wird das Unternehmen nichts zu wirtschaftlichen und strategischen Auswirkungen des Unglücks sagen“, glaubt einer der Beobachter. Am 29. April hat die Lufthansa ihre Aktionäre ins Congress Center nach Hamburg geladen.

An der ohnehin schwierigen Lage der Lufthansa hat sich durch die tragischen Ereignisse nichts geändert. Nach deutscher Rechnungslegung gab es 2014 einen Verlust von mehr als 700 Millionen Euro, die Dividende fällt aus. Die Nettoschulden haben sich auf 3,4 Milliarden Euro verdoppelt, die Pensionslasten sind rasant gestiegen, die Eigenkapitalquote ist auf 13,2 Prozent abgesackt. „Die Notwendigkeit für eine geänderte Strategie bleibt“, sagt ein Analyst. Die Airline kämpft im Vergleich zu Wettbewerbern mit zu hohen Kosten, die staatlichen Airlines vom Golf, aber auch Turkish Airlines sorgen mit ihren Expansion nicht nur auf den Strecken nach Asien für massiven Druck.

Lufthansa-Chef Carsten Spohr will mit einer zweigleisigen Strategie dagegenhalten: Zum einen setzt er auf eine weitere Modernisierung der Lufthansa-Flotte - bis 2025 werden 272 neue Flugzeuge zum Listenpreis von 38 Milliarden Euro gekauft - dem Anflug auch touristischer Ziele etwa im indischen Ozean und einen Top-Service, der vor allem gut zahlende Geschäftsreisende überzeugen soll. Lufthansa soll zur ersten Fünf-Sterne-Airline im Westen werden. Bislang tragen nur wenige asiatische Gesellschaften dieses Siegel. 

Zum anderen will der Lufthansa-Chef in Europa, mittelfristig auch auf der Langstrecke die günstigen Angebote aus- und mit Eurowings eine eigene Billig-Airline aufbauen - ohne dass am hohen Sicherheitsstandard der Lufthansa gerüttelt wird. Mit Germanwings wird dieses Konzept bereits seit Anfang 2014 umgesetzt. Sie wickelt den gesamten innerdeutschen und innereuropäischen Verkehr von allen deutschen Flughäfen ab, abgesehen von Frankfurt und München. Zu Kosten die 20 Prozent unter denen von Lufthansa liegen. Im Herbst wird Germanwings schon wieder Geschichte sein: Dann geht die Gesellschaft in Eurowings auf, unter der das Billig-Segment für die Mittel- und Langstrecke gebündelt wird. Zu Kosten, die noch einmal 20 Prozent tiefer liegen sollen. Erste Fernziele ab Herbst sind Dubai und die Dominikanische Republik mit Preisen pro Strecke ab 99,99 Euro. 

Eines der größten Probleme muss Spohr intern lösen: Den Konflikt mit den rund 5.400 Piloten um deren üppige Übergangsversorgung, hinter dem sich auch der Streit um die Billigstrategie verbirgt. Seit April 2014 haben die Piloten mehr als ein Dutzend Mal gestreikt, zuletzt vier Tage vor dem Absturz der Germanwings-Maschine,  und für Einbußen von mittlerweile wohl mehr als 300 Millionen Euro gesorgt. Die Katastrophe hat den Konflikt in den Hintergrund gerückt. Dies hat auch die Pilotenvereinigung Cockpit sehr deutlich gemacht. Aber irgendwann werden beide Seiten wieder miteinander reden müssen. 

Möglicherweise birgt die Katastrophe dafür eine Chance. „Vielleicht rücken beide Seiten wieder näher zusammen und finden neue Wege“, sagt ein Branchenkenner. Schließlich verweisen nahezu alle Lufthanseaten in diesen Tagen auf das Bild einer großen, harmonischen Familie, das das Unternehmen über Jahrzehnte geprägt hat, von dem zuletzt bis vor dem Absturz aber wenig zu spüren war.

Schadet die Katastrophe der Airline?

Trotz des massiven Imageschadens für eine der weltweit sichersten Airlines scheinen sich Stornierungen bei Germanwings sehr in Grenzen zu halten, bei Lufthansa selbst ist das angeblich gar kein Thema. Auch im Buchungsverhalten gebe es keine Veränderungen. Das Vertrauen in die Lufthansa scheint immer noch groß. Am 13. April wird man Genaueres wissen, dann veröffentlicht Lufthansa Daten zur Verkehrsentwicklung im März.

Wenigstens, sagen Analysten – so schwer auch ihnen diese Anmerkung angesichts des menschlichen Leids fällt – halten sich die finanziellen Belastungen für die Lufthansa in Grenzen, weil sie gut versichert sei. Aber auch hier sei ein abschließendes Urteil nicht möglich. Sollte sich am Ende doch herausstellen, dass es Versäumnisse bei Ausbildung und Anstellung des mutmaßlichen Absturz-Verursachers gegeben hat, könnten die Versicherungen Probleme machen. Zudem sind auch US-Staatsbürger unter den Opfern. Da könnten zusätzliche Ansprüche angemeldet werden.

Der Luftverkehrsrecht-Experte Elmar Giemulla befürchtet, dass das Image von Lufthansa akut gefährdet ist. Hier müsse umgehend gegengesteuert werden. Nach Ansicht Giemullas muss den Hinterbliebenen und der Öffentlichkeit plausibel gemacht werden, warum Konzernchef Carsten Spohr unmittelbar nach dem Absturz Andreas Lubitz als einen zuverlässigen Piloten bezeichnet hatte und das Unternehmen erst später die Probleme des Kopiloten publik gemacht hatte. Spohr hätte vor seiner ersten Aussage hausintern besser informiert werden müssen, sagte Giemulla dem Tagesspiegel. Lufthansa – und auch Germanwings – müssten jetzt ihr internes Informationssystem überprüfen.

Zudem müsse der Konzern jetzt zeigen, dass er das Leid der Hinterbliebenen minimieren will; auch wenn es dazu nur eine moralische Verpflichtung gebe. Die zugesagte Vorauszahlung in Höhe von 50 000 Euro für jeden ums Leben gekommenen Fluggast könne nur der erste Schritt sein. Gut sei, sagte Giemulla weiter, dass die Lufthansa die vorgeschriebene Summe von 20 000 Euro bereits erhöht habe.

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