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Politik: Abwarten und Schulden abbauen

Die ersten Krankenkassen kündigen nun Beitragssenkungen an. Die Mehrheit aber denkt gar nicht daran – und begründet das mit Seriosität

Von Maren Peters

und Rainer Woratschka

Die Barmer will es, die KKH will es, die DAK will es, und die Deutsche BKK will es auch: Vier große Kassen mit mehr als 14 Millionen Mitgliedern haben am Freitag angekündigt, ihre Beitragssätze ab dem 1. Januar 2004 zu senken. Dagegen weigern sich die Orts-, Innungs- und die meisten Betriebskrankenkassen (BKK), die durch die Gesundheitsreform erhofften Einsparungen von zehn Milliarden Euro an ihre Versicherten weiterzugeben. „Durch die vorgelegten Eckpunkte ändert sich die Realität noch nicht“, sagt Christine Richter, Sprecherin des BKK-Bundesverbandes. „Deshalb halten wir es für seriöser, erst das konkrete Gesetz abzuwarten und dann im Herbst zu entscheiden, ob die Beiträge gesenkt werden können oder nicht.“ Zunächst, beharrt die Sprecherin, müssten jedenfalls die Finanzen gesunden.

Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) und ihr Unions-Verhandlungspartner Horst Seehofer haben eine andere Rechnung aufgemacht. Sie wollen, dass die Versicherungen vom Einsparvolumen der Reform nur drei Milliarden Euro zum Schuldenabbau und die restlichen sieben Milliarden für niedrigere Beitragssätze verwenden. Über den Daumen gepeilt bringt eine Milliarde Euro eine Senkung der Beiträge um 0,1 Prozentpunkte. Bei sieben Milliarden würde der durchschnittliche Beitragssatz von jetzt 14,4 Prozent also auf 13,6 Prozent sinken. Und zwar schon ab 2004. „Es ist ja völlig unvorstellbar, von den Menschen Zuzahlungen zu verlangen, ohne gleichzeitig die Beiträge zur Krankenversicherung zu senken“, sagte Seehofer im ZDF.

Dass trotzdem erst vier Krankenkassen bereit sind, der Forderung nachzukommen, liegt an den Schulden vieler Kassen und den Rücklagen, die sie bilden müssen. „Eigentlich sind Schulden nicht vorgesehen“, sagt ein Sprecher des Bundesversicherungsamtes. Aber wenn eine Kasse in eine Schieflage gerät und Defizite macht, darf sie kurzfristig Kredite aufnehmen. Mittlerweile liegt das Kassendefizit bei sieben Milliarden Euro.

Der Verband der Angestellten-Krankenkassen geht darum nicht davon aus, dass noch weitere Kassen günstiger werden. „Ich halte es für unrealistisch, dass die Kassen schon 2004 ihre Beiträge senken“, sagt Sprecherin Michaela Gottfried. „Erst müssen wir sehen, wie viel Geld die Gesundheitsreform tatsächlich bringt.“ Das heißt: Wenn überhaupt, gibt es Beitragssenkungen erst 2005.

Aus AOK-Kreisen heißt es, dass die zögerliche Haltung in Sachen Beitragssenkung auch als politische Retourkutsche erklärbar ist. „Viele Kassen waren einfach sauer, weil sie auf mehr Wettbewerbselemente gehofft hatten“, sagte ein Funktionär dem Tagesspiegel. Hinzu komme der Unmut darüber, dass die Kassen nun den Zorn der Betroffenen über die neuen Zuzahlungsregeln auszubaden hätten und damit auch einen „Riesenwust“ an Bürokratie aufgeladen bekämen. Allerdings sei das Finanztableau auch voller Unsicherheiten. Nicht berücksichtigt seien etwa Reformmaßnahmen, die zu Zusatzausgaben führen: die Finanzspritze von insgesamt 700 Millionen Euro für mehr Klinikpersonal, die Anpassung der Ostvergütung für Ärzte oder der „Heidenaufwand“ zur Bestimmung sozialer Härtefälle. „Das relativiert natürlich die Einsparungen.“

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