zum Hauptinhalt

Abzug der US-Armee: Leaving Baumholder

Gut 60 Jahre lebte die kleine Stadt von und mit US-Soldaten: Die Amerikaner waren Mieter, Arbeitgeber, Bargäste... – nun zieht die 170. Brigade ab. Und was wird aus Baumholder?

Von Anna Sauerbrey

Die Geschichte dieser deutsch-amerikanischen Freundschaft hat einen tragischen Anfang, einen heiteren Hauptteil und endet mit einer melancholischen Note. Herbert Grimm hat ihr im Keller seines Hauses, Friedenstraße 1, Baumholder, ein Privatmuseum errichtet, denn es ist auch seine Geschichte. Aus einem Regal nimmt er ein kleines Glasfläschchen voll Sand, „Tunesien“ steht auf dem Etikett, er wiegt es hin und her, seine Hand zittert ein wenig, altersbedingt. Ansonsten ist er gut in Form für neunundachtzig. Herr Grimm stellt das Fläschchen zurück.

Heben wir den Anfang für später auf. Beginnen wir mit glücklicheren Zeiten.

Herr Grimm, Heimathistoriker und langjähriger erster Beigeordneter der Stadt Baumholder, greift nach einem Fotoalbum, blättert und zeigt eine alte Schwarz-Weiß-Fotografie: ein Herr und zwei Damen inmitten einer festlich gekleideten Sommergesellschaft, „der Dr. Nagel, seine Gattin und meine Frau Ruth“. Alle drei lächeln. Die Damen tragen das Haar toupiert und die Kleider großgeblümt. Sie halten Sektgläser. Die Aufnahme ist auf der Terrasse des „Rheinländer Clubs“ entstanden, dem Offiziersclub der Garnisonsstadt Baumholder.

Baumholder. Ein Ort mit 4300 Einwohnern, versteckt zwischen Hügeln und Mischwäldern, zwischen Mainz und Saarbrücken. 1951 übernahm die US-Armee den deutschen Militärstützpunkt in der Stadt und baute ihn aus. Seither verläuft hier die Grenze zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Bundesrepublik Deutschland, mitten durch die kleine Stadt, entlang der Kennedyallee, im Zick-Zack den Hügel hinauf bis zum Nato-Truppenübungsplatz. Hinter dem übermannshohen Zaun liegt eine amerikanische Kleinstadt mit allem, was eine amerikanische Kleinstadt braucht: einer High-School und einer Kirche, einem Baseballplatz und einer Zahnklinik. Die Briefkästen sind blau, darauf steht „US Mail“, und im Supermarkt gibt es Orangensaft in Gallon-Kanistern und Tüteneinpacker. Bis zur Wende lebten hier 25 000 Amerikaner, danach reduzierte sich ihre Zahl auf rund 13 000, 4 500 Soldaten plus Familien und zivile Angestellte.

Nun steht erneut eine Veränderung an. Um das Haushaltsdefizit der USA in den Griff zu bekommen, muss auch das Pentagon sparen, in den nächsten zehn Jahren 487 Milliarden Dollar. Anfang des Jahres kündigte US-Verteidigungsminister Leon Panetta an, man werde einen guten Teil der rund 81 000 in Europa stationierten Soldaten abziehen, darunter die 170. Infanterie- und Kampfbrigade, „die Einhundertsiebzigste“, Baumholders wichtigste Ressource. Bis Mitte Oktober sollen die 4.500 Soldaten und ihre Familien weg sein.

Herr Grimm tippt mit dem Zeigefinger auf das Foto. „Das war bei einem Change of Command, wie sagt man das gleich auf Deutsch?“ Beim Kommandeurswechsel.

Ach, ja. „Ruth war immer meine Dolmetscherin“, sagt Herr Grimm, doch Ruth ist kürzlich verstorben. Statt Blumen bat Herbert Grimm um Spenden für die Familien der amerikanischen Soldaten und überreichte den Scheck Sigrid Zimmer. Die Lokalpresse knipste.

Sigrid Zimmer steht im Festsaal des „Rheinländer Clubs“ und schaut hinaus auf die Terrasse. Ihr T-Shirt sprenkeln rote Kleckse, ein Kollateralschaden der Küchenschlacht. Bis eben hat Frau Zimmer, „die Siggi“, mexikanische Röllchen frittiert und Fleisch gebraten, mit einem Handschuh Bleche mit Parmesanschnitzeln vom Ofen in den Warmhalteschrank und vom Warmhalteschrank auf das Buffet im Speisesaal gehievt. Jetzt sitzen die letzten Mittagsgäste beim Kaffee und sie schnauft kurz durch in dem weiten, kühlen Festsaal nebenan. Siggi lässt den Blick wandern, über den Parkettfußboden, die Kronleuchter, die schlossartigen Fensterflügel, die Empore, von der bei festlichen Essen die Fahnen hängen. „Ich weiß nicht, warum, ich liebe diesen Raum“, sagt sie.

Sigrid Zimmer ist Inhaberin des Hotels Berghof in der Stadt und „contractor“, einer von vielen deutschen Vertragsunternehmern aus Baumholder, die fürs US-Militär arbeiten. Sie betreibt das Restaurant im „Rheinländer“, der heute für alle, nicht nur für die Offiziere, offen ist, und organisiert Festlichkeiten auf der Militärbasis, etwa die Willkommensfeiern, wenn die Einhundertsiebzigste aus dem Einsatz im Irak oder Afghanistan zurückkehrt und von den Soldatenfamilien und den Baumholderern begrüßt wird. Den Scheck mit den Spenden zur Beerdigung von Ruth Grimm hat sie dafür verwendet.

Siggi atmet noch einmal durch und geht zurück in die Küche. Ihr Schwiegersohn will gleich vorbeischauen. Auch er war Soldat in der Einhundertsiebzigsten. Nachdem er im Irak verwundet wurde, ist er aus dem Militärdienst ausgeschieden, er schaffte das nicht mehr, „kopfmäßig“.

Siggi öffnet die Tür zum Vorratsraum. Ordentlich aufgereiht in Metallregalen stehen hier Barbecuesaucen, Quaker-Paniermehl und Amazing-glazes-Kuchenguss. „Was die da unten sehen“, sagt sie zu den bunten Kartons, „das können wir uns gar nicht vorstellen.“ Sie nimmt ein Paket mit einer amerikanischen Gewürzmischung aus dem Regal und grinst. „Das ist für Meat Loaf, wie heißt das noch mal auf Deutsch?“ Hackbraten. „Stimmt, Hackbraten. Wenn ich das hier dranmache, sagen unsere Amerikaner immer: Wie machst du das nur, es schmeckt wie zu Hause.“

Die Garnisonskommandanten schauen Herrn Grimm mit einer gewissen Strenge über die Schulter. Hinter seinem Schreibtisch hängen ihre knitterfrei uniformierten Porträts in Reih und Glied, die Blicke voll kompromissloser Zuversicht. Herr Grimm gluckst. Sein Finger wandert über die Zeilen des Buches, damit er nicht den Faden verliert, denn immer wieder wirft ihm das Lachen den Kopf in den Nacken.

Herr Grimm liest aus einem Bericht aus den sechziger Jahren. Es geht um das Nachtleben in Baumholder: „Die Soldaten wurden von einer dürren Matrone mittleren Alters ausgenommen. Einer der Soldaten sagte: ‚Dem Alter nach könnte sie meine Mutter sein, doch wenn man getrunken hat, beginnt die alte Schraube besser auszusehen.’“ Ja, die fünfziger und sechziger, das waren wilde Zeiten. Der Landtag von Rheinland-Pfalz schickte eine Delegation, weil er sich um die Sittenerziehung der Jugend sorgte. Noch immer reihen sich in Baumholder Restaurants, Casinos, Pubs und Bars aneinander, noch immer gibt es Beschwerden wegen nachts ausgerissener Rosensträucher. „Aber das hat sich ja gebessert“, sagt Herr Grimm.

Das Licht bricht sich in den Strasssteinchen auf ihren langen Absätzen. Die junge Frau schlingt ein Bein um das Metall der Stange, lehnt den Oberkörper nach hinten und zieht sich das winzige schwarze Top über den Kopf. Chew me like a bubblegum. Fünf Männer, kaum volljährig, sitzen in Kunstledersesseln und rauchen. Einer nimmt einen Schein zwischen die Zähne und lehnt sich vor, die Tänzerin räkelt ihre nackten Brüste in seine Richtung und das Geld verschwindet. I’ll lick you like a lollypop.

Es ist kurz vor elf Uhr abends. Die fünf sind die einzigen Gäste im „Wild Cat“. Neben der Kasse stapeln sich Dollarscheine. Once you taste my honeybum. Etwas abseits sitzt Kim und wartet, dass sie wieder an der Reihe ist. Sie bläst einen Mund voll Rauch aus und sagt: „Baumholder is boring.“ Kim ist Polin.

Sie kommt regelmäßig in die Kleinstadt, um zu tanzen. Sie ist seit ein paar Tagen da und müde von den langen Nächten. Aber bis zum Wochenende will sie noch bleiben. Morgen ist der Erste des Monats, da bekommen die Soldaten ihr Geld. „Wenn sie dort sind“, sagt Kim und mit „dort“ meint sie den Irak oder Afghanistan, „dann träumen sie. Und wenn sie wieder da sind, sitzen sie hier, und zwar so... “ Sie macht ihre Hände vor der Brust zu Pfoten, schielt und hechelt wie ein Hund. Sie lacht über sich selbst. It’s our little secret.

„Mir wurde dort das Leben gerettet“, sagt Herr Grimm und kommt damit zum Anfang der Geschichte. Er nimmt noch einmal das Fläschchen Sand aus dem Regal und streckt das Bein mit dem schweren, orthopädischen Schuh unter dem Schreibtisch aus. Am 24. April 1943 trifft den Fallschirmjäger Herbert Grimm, Träger des Eisernen Kreuzes und Teilnehmer des Afrika-Feldzuges, in den tunesischen Bergen während eines Feuergefechts mit britischen Truppen ein Geschoss ins Bein und zersplittert in 16 Teile.

Einheimische bringen den Verletzten auf einem Eselskarren in ein britisches Lazarett nach Karthago. Wenig später wird er als Kriegsgefangener auf einem Transportschiff in die USA überführt. Als Herbert Grimm zum ersten Mal Amerika erreicht, ist er bis zur Brust eingegipst und mehr tot als lebendig. Das Bein hat sich schwer entzündet. Die Amerikaner haben Penizillin und gute Verpflegung. Amerika macht Herrn Grimm wieder gesund.

Im Januar 1945 kehrt er nach Deutschland zurück, heiratet seine Ruth und bekommt eine Stelle in der Stadtverwaltung von Baumholder. Als die Amerikaner dort ihre Militärbasis errichten, wird Grimm zum inoffiziellen Botschafter der Stadt. Er engagiert sich für die United Service Organizations, Ehrenamtliche, die die amerikanischen Truppen unterstützen.

Er stürzt sich in die Archive. Er ermittelt deutsche Vorfahren von US-Soldaten und stellt fest, dass zwei Baumholderer 1781 in der Schlacht von Yorktown für die amerikanische Unabhängigkeit gekämpft haben. Im Stadtrat beruhigt er die Stänkerer, die sagen, die Soldaten machten nur Ärger. „Biertischgerede“, schnaubt Herr Grimm. Allein was die Amerikaner in der Region an Mieten zahlen! Mit so einer Einliegerwohnung habe sich so mancher sein Häuschen finanziert, „wir sind doch ein strukturschwacher Raum“.

Im Häuschen des heutigen ersten Beigeordneten von Baumholder, Michael Röhrig, wird gerade das Badezimmer renoviert. „Heute ist eigentlich mein Honey- do-day“, sagt Röhrig und schmunzelt, „wie sagt man das auf Deutsch? Sie wissen schon, wenn die Frau sagt: Honey do this, honey do that.“ In einem deutschen Dienstplan, scherzt Röhrig, würde wohl „Arbeitsurlaub“ stehen.

Trotz seines Urlaubs ist er kurz zur Militärbasis gefahren. Dort arbeitet er im „U-fix-it-store“, einem Laden, in dem die Soldaten Werkzeug und Baumaterial bekommen. Abends erledigt der Elektromeister Aufträge in der Stadt und Umgebung. Zwei Standbeine sind sicherer, denn es ist nicht das erste Mal, dass die Truppen reduziert werden oder der Abzug im Raum steht. Röhrig glaubt, dass die Amerikaner auch dieses Mal bleiben. Die Garnisonsleitung geht davon aus, dass sich die Zahl der Soldaten bis zum nächsten Sommer auf etwa 2500 statt 4500 einpendeln wird. Röhrig betrachtet eine Urkunde, die an der Wand in seinem Büro hängt. Da steht: „In recognition of Twenty Years of Service for the Government of the United States of America.“

Es klingelt und Röhrig geht zum Schalter am Eingang. Es ist Sergeant Pike von der Garnisonsverwaltung. „Hey, Michael, könnt ihr Farbreste gebrauchen?“, fragt Pike, „ich habe einiges in den Kellern der Leute gefunden, die schon ausgezogen sind. Dachte, ich nehme die besser mal mit. You know, before the kids find it.“

Sandra Wiles wartet darauf, dass die Möbelpacker kommen. Ansonsten ist in diesen Tagen alles wie bisher. Sandra trifft die anderen Mütter auf dem Spielplatz, geht mit ihren drei Kindern zum Eisessen in die Stadt, kauft ein, macht die Wäsche. Ihr Mann, Sergeant Christopher Wiles, geht jeden Morgen um 6.30 Uhr zum Physical Training und danach zur Arbeit bei der Fahrzeuginstandhaltung. Nur, dass Christopher der letzte seiner Kompanie ist.

Sandra und Christopher sind Anfang dreißig und oft umgezogen. Schon Christophers Vater war bei der Airforce, die Familie zog kreuz und quer durch die Staaten. Mit zwanzig ging er selbst zum Militär und wurde in Schweinfurt stationiert. Dort lernte er Sandra kennen, eine Deutsche, in einer Bar. Seitdem ziehen sie zusammen um. Erst nach Fort Hood in Texas, dann nach Baumholder und dann natürlich die Kampfeinsätze. „Wir haben drei Einsätze mitgemacht“, sagt Sandra und schaut Christopher an, doch Christopher schweigt. Sie wären gern in Baumholder geblieben. Wegen des Essens zum Beispiel. „Die Gelbwurscht“, sagt Sandra, „das gibt’s drüben zwar auch, wie heißt die da noch mal?“ „Weil man in Deutschland die Kinder einfach zum Spielen rausschicken kann“, sagt Christopher, und weil sie hier krankenversichert sind.

„Ach egal“, sagt Sandra, „Gelbwurscht ist eh nicht Gelbwurscht.“

„So ohne Social Security“, sagt Siggi, „das kann man sich doch gar nicht vorstellen.“ Es ist Abend geworden, die Müdigkeit ist da, aber sie wird jetzt im Hotel gebraucht. Siggi steht auf und wischt schnell einen Tisch ab, damit die nächsten Gäste sich setzen können, es ist Sergeant Pike mit seiner Familie. Dann setzt sie sich wieder zu ihrem Gesprächspartner, einem der „neuen“ Soldaten. Er ist aus Bamberg hierher verlegt worden und wartet in Siggis Hotel darauf, dass ihm eine Wohnung zugeteilt wird.

„Aber Siggi“, sagt der Soldat, „du arbeitest doch so verdammt hart. Und da willst du, dass andere den ganzen Tag zu Hause bleiben können, doing nothing?“ Sigrid Zimmer denkt nach, denkt vielleicht an die schweren Bleche vom Mittag und die 16-Stunden-Tage und daran, dass sie schon selbstständig ist, seit sie 21 ist, und heute ist sie 55 und wie das wohl wäre, selbst einmal zu Hause zu sein und nichts zu tun. Noch ein paar Jahre muss sie durchhalten, so lange müssten die Amerikaner noch bleiben. Dann hat sie genug Rücklagen, um aufzuhören. „You know what?“, sagt sie. „You are right.“

1988 ist Herbert Grimm das zweite Mal in die USA gereist, diesmal mit dem Flugzeug. Mit Ruth besuchte er alte Freunde und ehemalige Kommandeure. In Washington empfing sie der spätere Außenminister Colin Powell, der selbst einmal Kommandant in Deutschland gewesen war. Herbert Grimm blättert im Fotoalbum und da sind sie, Powell und er, aufgestellt auf einem wertvollen Teppich. Grimm lächelt, Powell schaut ein wenig verstört. Beide halten die Zipfel eines tischtuchgroßen Stücks Stoff. Es zeigt einen Baum und eine Burgzinne auf weiß-grünem Grund: die Fahne von Baumholder.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false