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Bundeskanzler Konrad Adenauer mit seinem engsten Vertrauten Hans Globke, der das Bespitzelungsprojekt einfädelte.

© dpa

Adenauer ließ den BND die SPD bespitzeln: Der erste Bundeskanzler brach Gesetz und Demokratieregeln

Der einstige CDU-Parteichef war skrupelloser als bisher bekannt. Er war wohl nicht nur ein „Glücksfall für Deutschland“. Eine Kolumne.

Eine Kolumne von Andrea Nüsse

Ob die Geschichte der Bundesrepublik anders verlaufen wäre, wäre die Bespitzelung der SPD durch Bundeskanzler Konrad Adenauer damals aufgeflogen, weiß niemand. Aber die detaillierten Enthüllungen über den massiven Gesetzesbruch, dessen sich der erste Kanzler der Bundesrepublik schuldig gemacht hat, sind erschütternd.

Haben selbst Gegner den konservativen katholischen Rheinländer wegen seines legendären taktischen Geschicks den „alten Fuchs“ genannt – so ist diese nachsichtige, von widerwilliger Sympathie zeugende Bezeichnung nun nicht mehr erträglich: Gegen alle Gesetze der jungen Republik und der jungen Demokratie verstoßend, ließ der CDU-Politiker den Auslandsgeheimdienst durch zwei Top-Spitzel in den obersten SPD-Gremien den innenpolitischen Gegner über zehn Jahre lang ausspionieren.

„Einen Abgrund an Machtmissbrauch“ nennt der Historiker Klaus-Dietmar Henke diese Ergebnisse seiner Aufarbeitung der BND-Geschichte, die im Mai im Ch.Links-Verlag erscheint.

Ein ausgewiesener Nazi als Kanzleramtschef - er war einer der Drahtzieher

Konrad Adenauer hat als erster Kanzler, der dreimal wiedergewählt wurde, die Politik der Bundesrepublik maßgeblich geprägt. „Im Anfang war Adenauer – so lässt sich der Beginn der Bundesrepublik kurz kennzeichnen“, lautet denn auch der prägnante erste Satz von Arnulf Barings klassischem Werk über die Entstehung der Kanzlerdemokratie.

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Westbindung, Aussöhnung mit Frankreich und Israel lauten die Stichworte auf der Haben-Seite (Ketzerische Frage: Wieviel Wahl haben die Westalliierten den Deutschen gelassen?). Sicher, die dunkle Seite seiner Kanzlerschaften ist nicht neu: Autoritäres Politikverständnis – wollte er nicht ein mächtiges Informationsministerium schaffen, um die öffentliche Meinung zu lenken und zu leiten? Ausgewiesene Nazis im engsten Umfeld – so wie Hans Globke, Mitverfasser der Nürnberger Rassengesetze und langjähriger Chef des Bundeskanzleramtes.

Glorifizierung ist auch bei der CDU jetzt nicht mehr möglich

Aber wie skrupellos Adenauer wirklich war, wie wenig der Kanzler mit demokratischen Prinzipien anfangen konnte – das ist in dieser Dimension doch noch einmal ernüchternd und wird zumindest die Geschichtsschreibung beeinflussen.

Aber auch die CDU und die Konrad-Adenauer-Stiftung werden sich über ihren identitätsstiftenden Ahnherren beugen müssen. Eine Glorifizierung ist nun selbst bei seinen Anhängern eigentlich nicht mehr denkbar. Das wird spannend. Noch eine Gewissheit, die keine mehr ist.

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Über die Person Adenauers hinaus sind die neuen Erkenntnisse erhellend, weil sie zeigen, wie schwer es ist, nach einer Diktatur eine Demokratie aufzubauen – man braucht Expertise, aber auch die richtige Gesinnung. Daher ist vielleicht im Rückblick weniger „Adenauer ein Glücksfall für Deutschland“ (Helmut Kohl) als die großzügigen Demokratisierungsvision der Westalliierten.

Sie haben entscheidende Weichen gestellt: freie Medienentwicklung; Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung; „re-education“, die zu Entwicklung einer starken Zivilgesellschaft führte: Damit bekam die junge bundesdeutsche Gesellschaft die Mittel, autoritäre Tendenzen ihrer eigenen Regierenden wie die Schaffung eines Informationsministeriums oder die strafrechtliche Verfolgung von Journalisten („Spiegel“-Affäre) abzuschmettern, die autoritären Staaten alle Ehre gemacht hätten.

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