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Ägypten: Baradei wächst in Schlüsselrolle hinein

Einer wird verlieren: Mohamed el Baradei soll in Ägypten mit dem Regime verhandeln. Kann er Präsident Mubarak in die Knie zwingen?

Auch Mohamed el Baradei scherte sich nicht mehr um die Ausgangssperre der Armee. „Wir sind auf dem richtigen Weg. Habt noch etwas Geduld, der Wandel wird in den nächsten Tagen kommen“, rief er durch das kleine, weiße Megaphon der Menge zu. „Wir haben eine einzige Forderung – das Regime muss abtreten und den Weg freigeben für ein neues Ägypten, wo jeder in Freiheit und Würde leben kann.“ In einem dichten Pulk war der 68-jährige Friedensnobelpreisträger am Sonntagabend erstmals auf dem Tahrir-Platz erschienen, um zu den zehntausend Demonstranten zu sprechen. Und inzwischen mehren sich die Anzeichen, dass der frühere Chef der Atomenergiebehörde IAEO in seiner Heimat der Moderator des Übergangs werden könnte. Denn die „Nationale Koalition für den Wandel“, ein Bündnis aller Oppositionsgruppen einschließlich der Muslimbruderschaft, beauftragte den Friedensnobelpreisträger jetzt offiziell, mit dem Regime Mubarak zu verhandeln. Es sei ein nationales Komitee gebildet worden mit Baradei an der Spitze, hieß es aus den Reihen der Muslimbrüder.

„Er ist der beste Mann, um den Machtübergang und Neuwahlen zu organisieren“, meint auch der junge Arzt Mohammed Magdi, der unter den Facebook-Revolutionären für die Organisation der Protestkolonnen vom Kairoer Stadtteil Shubra zum Tahrir-Platz im Zentrum zuständig ist. „Wenn ein solches Regime abtritt, gibt es natürlich nicht sofort neue Leute, die die Macht übernehmen können.“ Baradei sei sehr gebildet, international respektiert und ein Mann, der sein Wort halte, meint Magdi. Für eine Übergangszeit von zwei bis sechs Monaten könne er eine Regierung der nationalen Einheit führen, die freie und faire Wahlen organisiert. Doch nicht alle auf dem Tahrir-Platz denken so. „Baradei, was willst du hier“ und „Baradei, wer hat dich gerufen“, skandierten sie. „Ihr habt die Revolution gemacht und nicht Baradei“, ruft einer unter dem Beifall der Menschen.

Doch der greise Hosni Mubarak scheint nach wie vor nicht bereit, das Feld zu räumen. Soldaten bekamen Befehl, die schwarzen Graffiti „Nieder mit dem Diktator“ und „Nieder mit Mubarak“ an ihren Panzern zu übermalen. Internet und SMS blieben auch den vierten Tag komplett abgeschaltet, ungeachtet der Millionen-Schäden für Firmen, Banken und die Tourismusbranche. Der ägyptische Aktienindex befindet sich im freien Fall. Allein vergangene Woche beliefen sich die Verluste auf 12 Millionen Euro, seitdem ist die Kairoer Börse geschlossen. Demonstrativ ließ sich der 82-jährige Diktator zusammen mit seinem neuen Vize Omar Suleiman im Lageraum der Streitkräfte filmen. Auch in seinem neuen Kabinett sitzen weiter die alten Leute – nicht mehr an Bord ist einzig der verhasste Innenminister Habib al Adly. Und die Ausgangssperre wurde für Montag offiziell auf 15 Uhr vorverlegt. Trotzdem versammelten sich auch am Montagabend wieder mehr als hunderttausend Menschen auf dem Tahrir-Platz. Bei lauen Abendtemperaturen geht es zu wie auf einem Volksfest. Auf den Grünflächen sind Zelte aufgebaut. Viele haben Wolldecken für die Nacht mitgebracht. Händler verkaufen Nüsse, Datteln und Tee. Manche löffeln versonnen Suppe aus Plastiktellern, während junge Männer den Müll einsammeln. Ein junger Mann trägt ein Trauerfoto seines Freundes durch die Menge, den ein Scharfschütze vom Dach des Innenministeriums herunter abgeknallt hat. „Mubarak vor Gericht“ skandierten die Menschen. An einer Laterne baumelt eine Papppuppe mit der Aufschrift „So endet jeder schlechte Präsident“.

Währenddessen erhöhen die UN und Europa den Druck auf das Regime. Hillary Clinton forderte einen „geordneten Übergang“ und kritisierte Mubaraks bisherige Reaktion als „absolut unzureichend“. Der frühere US-Präsident Jimmy Carter, zu dessen Amtszeit der Schah von Persien aus seinem Land vertrieben wurde, erklärte, Mubarak werde stürzen, weil das Volk sich dafür entschieden habe. An diesem Dienstag will die Opposition mit einem Eine-Millionen-Marsch das ganze Land auf die Beine bringen und zum Präsidentenpalast in Heliopolis demonstrieren. Sofort ließ das Regime den gesamten Zugverkehr in Ägypten einstellen. Am Abend dann trat der Sprecher der Armee vor die Kameras. „Dem großen ägyptischen Volk sei gesagt, eure Armee erkennt die legitimen Rechte des Volkes an“, liest er feierlich vom Blatt. Die Präsenz der Soldaten in den Straßen sei nur zur Sicherheit der Bürger. „Das Militär hat keine Gewalt gegen das ägyptische Volk eingesetzt und wird es auch nicht tun.“

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