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Ägypten: Ein Klima der Rache

Ein Jahr nach dem Sturz von Präsident Mursi herrschen in Ägypten Angst und Schrecken. Bei den Muslimbrüdern wie in der Regierung herrschen die Falken. Ein Ausgleich ist nicht in Sicht.

Eine „Intifada“ – einen Volksaufstand – haben die Anhänger des gestürzten Präsidenten Mohammed Mursi in Ägypten für diesen Donnerstag ausgerufen. Sie versprechen dem neuen ägyptischen Präsident Abdelfattah al Sisi, dass der Jahrestag des Putsches sein letzter Tag sein werde. Solchen Aufrufen sind in den vergangenen Monaten nur noch wenige Muslimbrüder gefolgt; manchmal einige Dutzend, dann nach den massenweisen Todesurteilen wieder einige hundert. Die Polizei greift sofort ein, oft unterstützt von Anwohnern, und erstickt jeden Protest im Keim. Immer wieder gibt es Tote und weitere Verhaftungen. Diese Art Kundgebungen sind zu einem Ritual geworden. Friedliche Formen des Protestes sind keine entstanden. Für den Jahrestag des Mursi-Sturzes sind Märsche von 35 Moscheen angesetzt, wie am 28. Januar 2011, als die Tahrir-Revolution mit Unterstützung der Muslimbrüder richtig in Gang kam.

Muslimbrüder sind isoliert

Seit auch die jungen Revolutionsaktivisten und jegliche Opposition ins Visier der neuen Führung geraten sind, versuchen die Islamisten, sich vor allem als Verfechter der Anliegen der Revolution zu profilieren. Dennoch seien die Muslimbrüder noch nie in ihrer über 80-jährigen Geschichte in der Gesellschaft so isoliert gewesen wie heute, erklärt Hassan Nafaa, Politologe an der Kairoer Universität. Das hat vor allem zwei Gründe: die Gewalt und ihre Weigerung, die neuen Realitäten anzuerkennen.

Der Krieg gegen die Muslimbrüder werde weitergehen, erklärte Innenminister Mohammed Ibrahim nach einigen Anschlägen in jüngster Zeit. Die Repressionskampagne hat bisher an die 20 000 Muslimbrüder ins Gefängnis gebracht. Bei der Auflösung der Protestlager der Mursi-Anhänger waren 1400 Menschen getötet worden. Über deren Tod verlangen nicht nur die Muslimbrüder, sondern auch nationale und internationale Menschenrechtsorganisationen Aufklärung.

Organisation geschwächt

Die Regierung hat zudem das Vermögen der Muslimbrüder konfisziert, und mehrere Golfstaaten, allen voran Saudi-Arabien und die Emirate, machen Druck auf verschiedene Regierungen, den Spielraum der Muslimbrüder im Ausland einzuschränken. Die Organisation ist so ein Jahr nach der Entmachtung massiv geschwächt und nicht in der Lage, eine interne Diskussion über ihre Positionen einzuleiten, obwohl einzelne Mitglieder inzwischen Fehler eingeräumt haben. Zwar gibt es dissentierende Gruppierungen wie die „Jugend gegen Gewalt“, aber im Moment haben weiterhin die alten Hardliner das Sagen. Sie haben bisher keine Vorschläge unterbreitet, die auf die neuen Realitäten eingehen, mit einer Verfassung und einem Präsidenten, die von der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung akzeptiert werden.

Auch in der ägyptischen Führung geben die Falken, allen voran der Innenminister, den Ton an. Sisi hat nach seiner Wahl keine Kursänderung angedeutet. Es herrscht eine Kultur der Rache. Ansätze für einen politischen Ausgleich gibt es derzeit nicht. Mit der Einstufung der Muslimbrüder als „Terroristen“ ist ein Ausweg aus dieser verfahrenen Situation schwierig geworden.

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