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Laute Radikale. Salafisten marschierten unlängst zur US-Botschaft in Kairo, um wegen des Todes von Osama bin Laden zu protestieren.

© dpa

Ägypten: Gottgewisse Fanatiker

Sie verfolgen christliche Kopten und feiern Al Qaida: Die radikalislamische Gruppe der Salafisten entwickelt sich in Ägypten zur politischen Gefahr.

Die Männer mit weißen Häkelkappen und langen Bärten kennen kein Pardon. „Gebt unsere Schwestern frei“, skandieren sie jede Woche nach dem Freitagsgebet vor der Kairoer Al-Nour-Moschee, die in den 70er Jahren mit saudischem Geld gebaut wurde. Hier haben die Salafisten ihr Hauptquartier, hier predigt Scheich Mohammed Hassan, einer ihrer Vordenker. Jüngst erst zogen 2000 seiner Anhänger mit Protestplakaten vor die benachbarte Sankt-Markus-Kathedrale des koptischen Papstes Shenouda III. Denn in den Köpfen der Ultrakonservativen hat sich festgesetzt, die Kirchenführung halte zwei Priesterfrauen gefangen, die sich von ihren Männern trennen und zum Islam übertreten wollten. Im Oktober vorigen Jahres drohte deswegen sogar Al Qaida im Irak den Christen am Nil. In der Neujahrsnacht sprengte sich dann vor der „Kirche der zwei Heiligen“ in Alexandria ein Attentäter in die Luft und riss 23 Menschen mit in den Tod.

Jahrelang gaben sich die Salafisten in Hosni Mubaraks Polizeistaat apolitisch und hyperfromm, verkauften lediglich moralische Predigtkassetten oder Schriften gegen das „sündige Verhalten von Frauen“, auf denen Lippenstifte, Spielkarten und Parfüm abgebildet waren. Das Hauptaugenmerk der allmächtigen Staatssicherheit dagegen lag auf den Muslimbrüdern, die mittlerweile im Vergleich zu den neuen Vigilanten geradezu gemäßigt wirken. Denn diese machen seit der Revolution durch immer mehr Gewalttaten und radikale politische Forderungen von sich reden. Im Visier haben sie Christen, moderate Muslime und säkulare Mitbürger gleichermaßen. In Qena blockierten sie tagelang die Fernzuggleise, um die Ablösung des christlichen Gouverneurs durchzusetzen. Einem Kopten, der seine Wohnung angeblich an eine muslimische Prostituierte vermietet hatte, schnitten sie ein Ohr ab. Seit Mitte März zettelten sie in Alexandria Angriffe auf 16 der 40 heiligen Stätten der Sufis an, deren ekstatischen Tanz und Heiligenverehrung sie für Häresie halten. In Kairo feierten sie Osama bin Laden als Helden und protestierten vor der US-Botschaft. Den koptischen Christen werfen sie auf Satellitenkanälen vor, den „muslimischen Charakter“ Ägyptens zu gefährden. Bald darauf ging am Stadtrand von Kairo tatsächlich die erste Kirche in Flammen auf. Schwere Ausschreitungen mit 13 Toten in Muqattam waren die Folge, wo viele der koptischen Müllsammler leben. Am Sonntag brannten im Arbeiterviertel Imbaba dann zwei weitere Gotteshäuser. 13 Menschen verloren in den stundenlangen Straßenschlachten ihr Leben, die Zahl der Verletzten geht in die Hunderte.

Damit aber entwickelt sich die von den Salafisten angestachelte Gewalt zu einer ernsten Gefahr für die innere Stabilität des postrevolutionären Ägyptens. Unter den Kopten, die mit acht Millionen etwa zehn Prozent der Bevölkerung ausmachen, geht die Angst um. Die Kirchenführung will die Provokationen jetzt zum Thema einer Sondersynode machen. Der Großscheich von Al Azhar, Ahmed al Tayyeb, nominell die höchste Lehrautorität der Sunniten, traf sich mit einer Delegation der Salafisten, um ihnen ihre „fehlgeleiteten Ansichten im Umgang mit den Christen“ auszureden.

Der Militärrat hat bisher noch kein Rezept gegen die neuen gottgewissen Fanatiker gefunden, die von einer Welt wie zu Mohammeds Zeiten träumen. Die Generäle wollen Blutvergießen vermeiden und im Umgang mit islamischen Radikalen nicht in die Fußstapfen Mubaraks treten – riskieren damit aber möglicherweise einen religiösen Bürgerkrieg. „Wir sollten den Kopf nicht in den Sand stecken“, meint einer der koptischen Demonstranten, die aus Protest vor dem staatlichen Fernsehgebäude am Nilufer ausharren. „Hier geht es um mehr als den Wiederaufbau einer Kirche oder die Verhaftung einiger Schuldiger. Hier geht es um die Zukunft – ob das neue Ägypten ein religiöser oder ziviler Staat wird.“ Das sehen die Mitglieder der „Revolutionären Allianz“ genauso, dem viele Organisatoren des Volksaufstands vom 25. Januar angehören. Für kommenden Freitag riefen sie das Volk erneut auf dem Tahrir-Platz zusammen – zu einem Millionenmarsch für religiöse Toleranz und Freiheit.

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