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Wut und Trauer am Tag danach. Junge Christen protestierten am Samstag vor der Allerheiligen-Kirche in Alexandria und griffen eine Moschee an. Sie fühlen sich von der Regierung und der muslimischen Bevölkerungsmehrheit diskriminiert.

© AFP

Ägypten: Inferno nach dem Schlusssegen

Das Attentat von Alexandria löst neue Spannungen zwischen Muslimen und Christen aus – kurz vor dem koptischen Weihnachtsfest.

Auf dem Bürgersteig liegt eine aufgerissene schwarze Handtasche. Die weißen Fassaden des Gotteshauses sind mit Blut bespritzt, die breiten Treppen vor dem Portal übersät mit abgerissenen Körperteilen und Kleiderfetzen. Verletzte krümmen sich vor Schmerzen, Scherben, Trümmer und verkohlte Autos überall – Szenen, wie sie die Ägypter bisher nur von Fernsehbildern aus Bagdad kannten. Dutzende Krankenwagen drängelten sich mit Blaulicht in der schmalen Straße, um mit einem der 80 Verwundeten davonzurasen. Für mindestens 21 Gläubige jedoch kommt jede Hilfe zu spät.

Das Neue Jahr 2011 war noch keine halbe Stunde alt, als für die rund 1000 Besucher der koptischen Allerheiligen-Kirche im Stadtteil Sidi Bechr von Alexandria das Inferno losbrach. Der Pfarrer hatte gerade den Schlusssegen gesprochen und seine Gemeinde mit allen guten Wünschen entlassen. Frohgelaunt strömten die ersten Familien nach draußen. Da zündete ein Selbstmordattentäter, der möglicherweise in einem Auto vor der Kirche gewartet hatte, seine tödliche Ladung. Noch nie zuvor in der Geschichte Ägyptens hat es einen solchen Anschlag auf ein Gotteshaus gegeben – in einem Land, wo die Christen etwa zehn Prozent der rund 80 Millionen Einwohner ausmachen. „Wenn der Pfarrer den Gottesdienst zwei Minuten früher beendet hätte, wären noch viel mehr Menschen gestorben“, sagte ein Augenzeuge gegenüber AFP, der selbst am Bein verletzt worden war. Fernsehbilder aus der Nacht zeigen ein ausgeglühtes Auto, das vor der hell erleuchteten Kirche auf dem Dach liegt. „Wo ist die Regierung?“, skandierten bis zum frühen Morgen wütende junge Christen in den umliegenden Straßen. „Unser Leben, unsere Seele geben wir für unser Kreuz“, riefen sie. Anschließend griffen Dutzende junge Männer die nahe gelegene Moschee an, warfen ihre Fensterscheiben ein und demolierten die Eingangstür. Muslimische Jugendliche antworteten mit Steinen und Flaschen, die Polizei trieb die Menge mit Tränengas auseinander. Inzwischen haben mehrere Hundertschaften das Areal um die Kirche abgesperrt, um weitere Ausschreitungen zu verhindern. Doch die Lage bleibt angespannt. Denn die Behörden fürchten, bei der Beerdigung der Opfer könnten sich die Unruhen auf die gesamte Stadt Alexandria ausdehnen, die eine Hochburg der Muslimbruderschaft ist.

Am Samstagvormittag rief Ägyptens Staatspräsident Hosni Mubarak in einer Fernsehansprache das ägyptische Volk auf, Ruhe zu bewahren und machte „ausländische Elemente“ für die Mordtat von Alexandria verantwortlich. Er nannte das Attentat einen Angriff auf ganz Ägypten. Erst Ende Oktober hatte Al Qaida im Irak nach einem Massaker in der syrisch-katholischen Kathedrale in Bagdad auch „die hündische koptische Kirche“ zu einem „legitimen Ziel“ erklärt. Ihr werfen die islamischen Terrorplaner vor, zwei angeblich zum Islam konvertierte Ehefrauen koptischer Priester in Klöstern gefangen zu halten – was die Kirchenführung in Kairo bestreitet.

In der Folge ließ die Regierung die Bewachung aller Kirchen des Landes verstärken. Besucher wurden mit Metalldetektoren abgetastet. Bei exponierten Gotteshäusern durften im näheren Umkreis keine Autos mehr geparkt werden. Unklar ist, warum diese Anordnung in der Neujahrsnacht vor der jetzt attackierten Allerheiligenkirche nicht befolgt wurde. Der koptische Erzbischof von Alexandria jedenfalls übte scharfe Kritik an den Sicherheitskräften. Am Abend hätten nur drei Polizisten und ein Offizier vor der Kirchentüre gestanden. „Warum gab es nur einen so geringen Schutz in solch unsicheren Zeiten, nach diesen Drohungen von Al Qaida?“, fragte er.

Nächste Woche Donnerstag und Freitag begeht die koptische Kirche ihr Weihnachtsfest. Gerüchten zufolge erwägt das koptische Kirchenoberhaupt Shenouda III. wegen der Terrorgefahr, alle Feiern in Ägypten abzusagen. Das Gleiche hatte zwei Wochen zuvor bereits der chaldäisch-katholische Erzbischof im irakischen Kirkuk getan.

Genau vor einem Jahr am koptischen Weihnachtsfest hatten in der südägyptischen Ortschaft Nag Hammadi drei muslimische Attentäter wahllos sechs junge Kirchgänger aus einem fahrenden Autos heraus erschossen, als diese nachts aus der Kirche kamen. Die Täter wurden zwar gefasst, sind aber bis heute nicht verurteilt – für die Kopten ein weiterer Beleg dafür, dass sie von den ägyptischen Behörden diskriminiert werden. Zuletzt war es vor vier Wochen in Kairo zu schweren Zusammenstößen zwischen Kopten und der Polizei gekommen, bei denen zwei Demonstranten erschossen und Dutzende verwundet wurden. Auslöser war die Entscheidung der Behörden, einen Kirchenbau zu stoppen, weil er angeblich ohne die erforderliche Genehmigung begonnen worden war.

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