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Ägypten: Kopten fühlen sich immer mehr bedrängt

Die Kopten in Ägypten fühlen sich mehr und mehr in die Enge gedrängt. Viele kehren ihrer Heimat den Rücken.

„Dies ist nicht mehr länger mein Land“, ruft Enas Younan. Die 43-Jährige hat Blumen und Essen gebracht für die Verletzten, die im koptischen Krankenhaus nahe des Kairoer Hauptbahnhofs liegen. Die schlimmsten religiös motivierten Unruhen seit dem Sturz Mubaraka am letzten Sonntag haben Panik ausgelöst unter der christlichen Minderheit am Nil, die etwa acht bis zehn Prozent der gut 80 Millionen Einwohner ausmacht. „Wenn ein Muslim erschossen wird, ist sofort das ganze Land auf den Beinen. Wird ein Kopte ermordet, stört das offenbar niemand“, mischt sich ein zweiter Besucher ein.

Verzweiflung und Zukunftsangst machen sich breit. Immer mehr junge, gut ausgebildete Kopten kehren ihrer Heimat den Rücken. Knapp 100 000 haben seit dem Sturz Mubaraks bereits das Land verlassen. Sie fühlen sich von radikalen Muslimen in die Enge gedrängt – auch wenn die religiösen Spannungen jetzt schon sieben Jahrzehnte andauern. Seit dem Putsch von Gamal Abdel Nasser 1952 wurden die Kopten systematisch diskriminiert und von Spitzenpositionen ausgeschlossen. Kaum ein Jahr verlief ohne blutige Zwischenfälle oder Rangeleien.

Seit der Revolution vom 25. Januar jedoch eskalieren die schweren Ausschreitungen. Im März ging am Stadtrand von Kairo die erste Kirche in Flammen auf. Straßenschlachten mit 13 Toten in Muqattam waren die Folge, wo viele der koptischen Müllsammler leben. Wenig später zündeten gottgewisse Fanatiker im Arbeiterviertel Imbaba unter „Allah ist groß“- Rufen zwei Großkirchen an. In dem stundenlangen Gemetzel verloren 15 Menschen ihr Leben. Vor anderthalb Wochen ramponierten Salafisten im Dorf Marinab nahe der Stadt Edfu einen Kirchbau, was am letzten Sonntag die Blutnacht in Kairo auslöste. „Islamisten und Salafisten provozieren immer mehr Chaos“, kritisiert Youssef Sidhom, Chefredakteur der Kopten-Zeitung „Al Watani“. Regierung und Polizei aber seien „extrem unwillig, die bestehenden Gesetze durchzusetzen und die Kopten zu schützen“.

Die koptische Kirche, deren Mitglieder sich als Erben des pharaonischen Ägypten sehen, ist die größte und älteste christliche Gemeinschaft, nicht nur in Ägypten, sondern im ganzen Nahen und Mittleren Osten. Ihre Anfänge führen sie zurück auf den Evangelisten Markus, der im ersten Jahrhundert in Ägypten gelebt und als erster Bischof von Alexandria gewirkt haben soll. Heute wohnen schätzungsweise acht bis zehn Millionen Gläubige am Nil, ein beträchtlicher Teil in armen Verhältnissen als Müllsammler oder Kleinbauern. Neben den orthodoxen Kopten gibt es auch 200 000 Christen der mit Rom verbundenen koptisch-katholischen Kirche sowie den koptisch-protestantischen Kirchen.

Die Kopten gehören zu den sogenannten orientalisch-orthodoxen Kirchen. Wegen theologischer Streitigkeiten spaltete sie sich nach dem Konzil von Chalkedon im Jahre 451 von der übrigen Christenheit ab. Heutiges Oberhaupt ist Papst Shenouda III., 87 Jahre alt. 1962 zum Bischof geweiht, wurde er am 31. Oktober 1971 zum 117. Nachfolger des Apostels Markus gekürt. Schon im Jahr darauf kam es während des sogenannten Ramadan- Krieges zu schweren Angriffen auf seine Mitgläubigen. 1981 eskalierte der lange schwelende Konflikt mit dem Staat, als Shenouda III. aus Protest gegen die Untätigkeit der Polizei alle Feiern zu Ostern absagte. Der damalige Präsident Anwar al Sadat reagierte mit Hausarrest für ihn und acht Mitbischöfe. Erst 1985 kam Shenouda wieder frei – unter Sadats Nachfolger Hosni Mubarak.

Während seines fast 40 Jahre dauernden Pontifikats haben Gemeindeleben und Mönchtum am Nil einen großen Aufschwung erlebt. Gab es in den sechziger Jahren nur noch sechs Männerklöster mit wenigen alternden Mönchen, existieren heute 17 Kommunitäten ohne Nachwuchsprobleme. Auch Frauenklöster mit Hunderten von Nonnen sind entstanden und leisten Sozialarbeit. Dagegen blieb die theologische Ausbildung der Priester unverändert mangelhaft. Mit ein Grund, warum aufgeklärte Kopten – trotz aller Feindseligkeiten von muslimischer Seite – auch in den eigenen Reihen eine zunehmende Engstirnigkeit beklagen.

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