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Nach den schweren Ausschreitungen in Kairo beruhigt sich die Lage bei Tagesanbruch nur kurz. Nach Ende der Ausgangssperre am Morgen sind wieder Hunderte Menschen auf dem Tharir-Platz. Bald fliegen auch erneut Steine ...

© AFP

Ägypten: Scharmützel reißen nicht ab

US-Präsident Obama und EU-Staaten wie Deutschland verschärfen nach den Gewaltexzessen in Ägypten den Ton. Das ägyptische Außenministerium verbittet sich eine Einmischung von außen. Auf dem Tahrir-Platz kommt es zu neuen Auseinandersetzungen.

Blut und Tränen in Kairo, "Tag des Zorns" im Jemen: die arabische Welt ist weiter im Aufruhr. Nach nächtlichen Schüssen und blutigen Auseinandersetzungen mit mehreren Toten hat sich die Lage auf dem Tahrir-Platz in Kairo bei Tagesanbruch etwas beruhigt. Allerdings strömten nach Ende der Ausgangssperre wieder Menschen auf den Platz. Dort zeugten noch Barrikaden und ausgebrannte Fahrzeuge von den Gewaltexzessen wenige Stunden zuvor.

Auf dem Tahrir-Platz sind wieder Tausende Gegner des Mubarak-Regimes zusammengekommen. Ein dpa-Fotoreporter beobachtete, wie Neuankömmlinge Lebensmittel und Trinkwasser auf den Platz brachten und es an die Anwesenden verteilten. Mubarak-Anhänger hielten sich noch auf der 6.-Oktober-Brücke nördlich des Platzes auf. Die Armee, die in das Geschehen bislang kaum eingriff, postierte mehrere Panzer an der umkämpften Brücke.

Zwischen Anhängern und Gegnern Mubaraks kam es erneut zu heftigen Auseinandersetzungen. Beide Seiten hätten sich mit Steinen beworfen, berichtete ein Reuters-Reporter. Zu den Zusammenstößen sei es in einer Seitenstraße des zentralen Tahrir-Platzes gekommen, auf dem die Gewalt bereits am Mittwoch eskaliert war. Die Mubarak-Anhänger hätten Säcke mit Steinen herangeschafft, um die Regierungsgegner damit zu attackieren.

Augenzeugen berichteten, Zivilisten hätten auf dem Tahrir-Platz Ausweise kontrolliert und mehrere Ausländer abgeführt. Weitere Details wurden nicht bekannt. Aufgrund der jüngsten Attacken auf Journalisten räumten weitere Medien ihre Büros in der Innenstadt von Kairo.

Das ägyptische Staatsfernsehen berichtete unterdessen, Vizepräsident Omar Suleiman habe einen Dialog mit der Opposition begonnen. Nach Angaben von Regierungsgegnern handelt es sich um Vertreter von sechs kleineren Gruppen. Zwölf Oppositionsparteien hatten zuvor ihre Bereitschaft "zu einem nationalen Dialog" erklärt.

Mehrere Tote bei Auseinandersetzungen

Der Sender Al-Arabija berichtete, vier Menschen seien in der Nacht durch Schüsse ums Leben gekommen. Er berief sich auf Augenzeugen und Mediziner. Der britische Sender BBC meldete, bei den jüngsten Auseinandersetzungen zwischen Anhängern und Gegnern von Präsident Husni Mubarak seien am frühen Donnerstag mindestens zwei Menschen ums Leben gekommen. Ein Reporter des österreichischen Nachrichtenmagazins "profil" berichtete, die Armeeposten hätten an den Zugängen zum Tahrir-Platz die Ausweiskontrollen verschärft. Auf dem Platz seien viele Menschen mit Kopfverbänden zu sehen.

Mit Eisenstangen und Knüppeln bewaffnete Schlägertrupps waren am Mittwoch auf Kamelen und Pferden in die Menge der Regimegegner auf dem Tahrir-Platz geritten und hatten ein Blutbad angerichtet. Die Staatengemeinschaft reagiert entsetzt auf die Exzesse. Die Armee ist nun für viele Ägypter die letzte Hoffnung, weiteres Blutvergießen zu verhindern.

In der Nacht waren am Tahrir-Platz Schüsse und Maschinengewehrsalven zu hören. Der US-Nachrichtensender CNN berichtete, überall gebe es Verwundete. Ärzte behandelten Verletzte direkt auf der Straße, nähten ihre Wunden. Mehrere Rettungswagen fuhren auf den Platz. Vorher waren auf Fernsehbildern Menschen zu erkennen, die sich mit Molotow-Cocktails, Steinen und anderen Gegenständen bewarfen. Aus einem Gebäude in der Nähe des Ägyptischen Museums schlugen Flammen.

Die Organisation Reporter ohne Grenzen (ROG) beklagte, bei den Übergriffen seien auch mehrere Berichterstatter geschlagen und ihrer Ausrüstung beraubt worden. Betroffen seien Mitarbeiter von Sendern wie BBC, Al-Dschasira, CNN, Al-Arabija und ABC News. Auch Polizisten sollen zu den Tätern gehört haben. "Diese Angriffe scheinen Racheakte gegen internationale Medien zu sein, die die Forderungen der Demonstranten nach einem Rücktritt Mubaraks übermitteln", sagte ROG-Generalsekretär Jean-François Julliard.

Randalierer überfallen Kinderdörfer

Eine Gruppe von Randalierern überfiel in der Nacht zu Donnerstag zwei SOS-Kinderdörfer in Ägypten. Mehrere junge Männer sollen in die Dörfer in Kairo und Alexandria eingedrungen sein und versucht haben Essen oder Medikamente zu stehlen. Nach kurzem Gerangel wurden die Männer vertrieben, sagte ein Sprecher der Organisation in München. Dabei verletzte sich der Direktor des Kinderdorfs in Alexandria leicht, Kinder und Mütter blieben unverletzt.

Nach Aussagen der Hilfsorganisation ist die Lage um die Kinderdörfer herum in Ägypten angespannt. Banken, Geschäftshäuser und Villen würden geplündert und angezündet. Weil die Preise für Essen stark gestiegen seien, gebe es in vielen Läden keine Lebensmittel mehr. In Ägypten gibt es mehrere SOS-Einrichtungen für Kinder und Jugendliche, darunter drei Kinderdörfer. Dort leben bis zu hundert Kinder.

Obama drängt Mubarak zu sofortigem Rückzug

US-Präsident Barack Obama drängte den ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak in einem Gespräch zum sofortigen Rückzug. Das Außenministerium in Kairo entgegnete, es sei "nicht akzeptabel, dass ausländische Offizielle den sofortigen Beginn der Übergangsphase fordern". Fünf EU-Länder, darunter Deutschland, verurteilten die Gewalt in Ägypten scharf. Der Übergangsprozess müsse sofort beginnen, forderten sie in einer gemeinsamen Erklärung in Paris.

US-Außenministerin Hillary Clinton forderte in einem Telefonat mit dem ägyptischen Vizepräsidenten Omar Suleiman eine Untersuchung der Übergriffe in Kairo. Die Außenministerin habe dabei abermals die Gewalt verurteilt und die ägyptische Regierung aufgefordert, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, sagte Außenamtssprecher Philip Crowley. Er wiederholte den Standpunkt der US-Regierung, wonach der politische Übergangsprozess sofort beginnen müsse. "Morgen ist nicht gut genug", sagte Crowley. "Wir wollen einen glaubwürdigen Prozess sehen, der zu freien, fairen und legitimen Wahlen führt."

Außenminister Guido Westerwelle drohte Ägypten mit Konsequenzen seitens der internationalen Gemeinschaft bei weiteren Übergriffen gegen Demonstranten. Der Minister forderte im "heute-journal" des ZDF, dass die Gewalt gegen Demonstranten ein Ende haben müsse. "Es ist aus unserer Sicht in keiner Weise hinnehmbar, dass Schlägertruppen friedliche Demonstranten niederknüppeln."

Der Oppositionspolitiker Mohamed el Baradei forderte die Armee auf, weitere Angriffe der Mubarak-Anhänger auf die Demonstranten zu unterbinden. Die Armee müsse eingreifen, um das Leben ägyptischer Bürger zu schützen, sagte El Baradei in einem Interview des Senders Al-Dschasira. "Es gibt eindeutige Beweise, dass die Polizei ihre Männer in Zivilkleidung auf die Demonstranten gehetzt hat", sagte der Friedensnobelpreisträger.

"Tag des Zorns" im Jemen

Einen Tag nachdem auch der jemenitische Präsident Ali Abdullah Saleh auf eine weitere Amtszeit verzichtet hat, strömten am Donnerstag mehr als 40.000 Menschen auf die Straßen - Gegner und Anhänger Salehs. Oppositionsgruppen hatten zu einem "Tag des Zorns" aufgerufen.

Saleh hatte am Vortag im Parlament in Sanaa erklärt, er wolle nach 32 Jahren auf eine weitere Amtszeit verzichten. Außerdem will er die für April geplante Parlamentswahl verschieben und eine Regierung der nationalen Einheit bilden. Er machte zudem klar, dass er die Macht im Jahr 2013 nicht an seinen Sohn übergeben wolle. Saleh arbeitet mit den USA bei der Bekämpfung der Al-Qaida-Terroristen zusammen, die sich in einigen Regionen des Jemens versteckt halten. (dpa/rtr)

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