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Ägypten: Todesurteile im Schnellverfahren

In Ägypten sind Todesurteile gegen weitere 683 Mitglieder der Muslimbruderschaft verhängt worden. Welche politischen und gesellschaftlichen Folgen haben diese Entscheidungen?

Abdal Fattah al Sisi, ehemaliger Feldmarschall und aussichtsreichster Kandidat auf das Präsidentenamt in Ägypten, braucht sich um seinen Wahlkampf kaum zu kümmern. Wer dieser Tage Kairo besucht, sieht, wie die Öffentlichkeit für den Militär arbeitet. Es gibt Graffiti an fast jeder Hauswand. „Sisi als Präsident“ steht dort, als sei es eine revolutionäre Botschaft. Das Gegenstück, „Tötet Sisi“, ist indes heimlich auf Bänke oder Bussitze geschmiert.

Nun hat Sisi auch durch die Justiz indirekte Wahlkampfhilfe erfahren. Im größten Massenprozess der ägyptischen Geschichte sind am Montag 683 Anhänger der Muslimbrüder im oberägyptischen Minia zum Tode verurteilt worden. Vor einem Monat waren bereits 529 von ihnen verurteilt worden. Mehr als 1200 Islamisten waren ursprünglich angeklagt, der Prozess wurde zweigeteilt. Auch wenn das Gericht unabhängig von der Regierung arbeitet, das harsche Urteil kommt dem Präsidentschaftskandidaten Sisi, der ein hartes Durchgreifen gegen Islamisten und „Unruhestifter“ verspricht, gelegen.

So erschreckend daher das erneute Massenurteil auf internationale Beobachter wirken mag – in Ägypten behandeln die meisten Medien die Nachricht nüchtern. Auch in der Justiz wird zwar über Verfahrensfehler gesprochen, nur wenige kritisierten jedoch die besondere Härte der Todesurteile. Ägypten befindet sich seit dem Sturz des aus der Muslimbruderschaft stammenden Präsidenten Mohammed Mursi in einer Phase des Militärkonstitutionalismus.

Nicht wenige Ägypter wünschen sich einen neuen starken Mann am Nil – al Sisi könnte diesen Wunsch erfüllen – und sehen die politischen Entwicklungen der letzten Monate daher als Schritte in die Stabilität. Mit ihr soll auch die Rückkehr der Touristen beginnen. Der Prozess in Minia wird deshalb im Land weniger als Zeichen einer neuen Militärdiktatur als vielmehr konsequentes Durchgreifen nach zwei unruhigen revolutionären Jahren empfunden.

Viele Ägypter richten sich im Militärkonstitutionalismus der Regierung ein

Die Muslimbrüder hatten im August 2013 landesweit mit Protestcamps gegen die Absetzung des frisch gewählten Präsidenten Mursi demonstriert. Ägyptische Sicherheitskräfte lösten daraufhin die Protestcamps mit Gewalt auf, es gab aufseiten der Muslimbrüder über 1000 Tote. In Minia, einer Hochburg der Muslimbrüder, versammelten sich als Antwort Demonstranten zu einem wütenden Mob, der Polizeistationen und Kirchen angriff.

Das Gericht in Minia sprach die Angeklagten nun wegen der Teilnahme an diesen Protesten und wegen Mordes an einem Polizeioffizier für schuldig. Auch Mohammed Badi, der Vorsitzende der Muslimbruderschaft, ist unter den Verurteilten. Die meisten von ihnen wurden in Abwesenheit verurteilt. Viele Muslimbrüder befinden sich auf der Flucht, einige hochrangige Mitglieder wie Badi und Mursi werden festgehalten. Ihnen wird in weiteren Prozessen Spionage und Anstachelung zur Gewalt vorgeworfen.

Prozessbeobachter der Menschenrechtsorganisation Amnesty International und Kairener Anwälte kritisieren jedoch das Verfahren. Weder seien die Angeklagten angehört noch das Ablehnungsgesuch der Verteidiger bewilligt worden. Die hatten schon im ersten Prozess dem vorsitzenden Richter Said Jussif Befangenheit unterstellt. Jussif gilt als sehr streng und ignoriere gesetzliche Vorschriften. Die Muslimbruderschaft verhöhnt Jussif im Internet als „Kadi al Idam“ – den „Exekutionsrichter“.

Die Justiz macht nicht nur Jagd auf Muslimbrüder - auch Oppositionsgruppen werden verboten

Zeitgleich zum Urteil gegen die Muslimbrüder verbot ein Gericht in Kairo auch alle Aktivitäten der Jugendbewegung „6. April“. Der oppositionellen Organisation werden Spionage und Verleumdung des ägyptischen Staates vorgeworfen. Die Mitglieder von „6. April“ gehörten zu jenen Demonstranten, die 2011 die Massenproteste gegen Präsident Husni Mubarak auf den Weg gebracht hatten. Eine Begnadigung der Demokratie-Aktivisten lehnte Übergangspräsident Adli Mansur jüngst ab.

Die über 1200 zum Tode verurteilten Muslimbrüder können jedoch hoffen. Von den Ende März ausgesprochenen 529 Todesurteilen wurden am Montag 492 in lebenslange Haftstrafen umgewandelt. Lediglich 37 Urteile wurden erneut bekräftigt. Auch diese sind jedoch noch nicht rechtskräftig. Die Todesurteile werden dem ägyptischen Großmufti Schawqi Allam, oberster islamischer Rechtsgelehrter im Land, vorgelegt. Er kann die Urteile kritisieren, wenngleich seine Entscheidung nicht rechtsbindend ist. In letzter Instanz muss der Oberste Gerichtshof die Todessprüche bestätigen - dort sitzen neun Richter. Die werden sich mehrere Monate Zeit lassen, auch über den Mai hinaus. Ägyptens neuer Präsident wird dann schon gewählt worden sein.

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