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Politik: Ägyptischer Arbeitskampf

Die Regierung geht scharf gegen Kritiker vor – gibt aber nach großen Streiks vielen Forderungen nach

In Ägypten liefern sich Arbeitnehmer und die Regierung zurzeit eine heftige Auseinandersetzung. Das Regime in Kairo überzieht kritische Journalisten mit Prozessen und verhaftet Muslimbrüder, gleichzeitig bemüht sich die Regierung, durch finanzielle Zugeständnisse eine Ausweitung der Streikwelle der Arbeiter staatlicher Fabriken zu verhindern. Schon einen Tag nach Beginn des Ausstandes von 12 000 Arbeitern der staatlichen Spinn- und Webfabrik in Damietta trafen sich am Mittwoch Vertreter des Arbeitsministeriums mit den Streikführern.

Die Arbeiter in Damietta waren in den Ausstand getreten, nachdem die Kollegen in Mahalla ihre finanziellen Forderungen in der vergangenen Woche mit einem Streik weitgehend durchgesetzt hatten. Die Web- und Spinnfabrik in Mahalla, ebenfalls im Delta, ist mit ihren 27 000 Arbeitern und Angestellten eine der größten Fabriken der Welt. Und das ehemalige Vorzeigeprojekt des ägyptischen Sozialismus hat in den vergangenen Jahren mehrere Streikwellen im gesamten Land ausgelöst. Im Jahr 2006 wurden etwa 200 Streiks von Fabrikarbeitern bis hin zu Lokführern gezählt. Beobachter sehen in den Streiks der Großbetriebe die potenziell größte Herausforderung für das ägyptische Regime. Denn weder die kritischen Richter, Journalisten oder die politische Opposition können derart viele Menschen mit ihren Forderungen mobilisieren. Die Führung scheint die Gefahr erkannt zu haben und gab in Mahalla allen finanziellen Forderungen der Arbeiter nach, ohne auf die politischen Forderungen nach unabhängigen Gewerkschaften einzugehen.

Allerdings versuchte das Regime auch in Mahalla zunächst den Widerstand zu brechen. Acht Streikführer wurden verhaftet und Verhandlungen abgelehnt. Doch die Arbeiter setzten ihren gut organisierten Streik auf dem Fabrikgelände, das einer Kleinstadt ähnelt, fort und zwangen das Regime zum Einlenken. Die nach Ansicht von Beobachtern korrupte Fabrikführung versprach, jetzt die im Dezember gemachten Zusagen umzusetzen: die sofortige Auszahlung einer Prämie in Höhe von 70 Tagelöhnen und eine jährliche Anpassung der Löhne um sieben Prozent. Zudem werden die Streiktage als bezahlter Urlaub verbucht. Auch die Arbeitsbedingungen und die Gesundheitsversorgung der Arbeiter soll verbessert werden. Die ägyptischen Arbeiter gehören zu den schlecht bezahltesten der Welt, für den Schichtbetrieb im Acht-Stunden-Rhythmus verdienen sie teilweise nur 250 ägyptische Pfund (30 Euro) im Monat, die miserablen Arbeitsbedingungen ähneln denen während der industriellen Revolution in Europa. Gleichzeitig betrug die Inflation im vergangenen Dezember zwölf Prozent, die Preise für Gemüse sollen seit einem Jahr sogar um 38 Prozent gestiegen sein. Das Unternehmen dagegen hat nach Angaben von Arbeitern am Ende des Fiskaljahres im Juli Gewinne in Höhe von 200 Millionen Pfund verbucht.

Der Experte der ägyptischen Arbeiterbewegung, Joel Beinin, von der Amerikanischen Universität Kairo, findet die Einigung „bemerkenswert“: Auch wenn die Arbeiter schließlich ihre Forderung nach Auflösung der staatlichen Gewerkschaften fallen lassen mussten, sieht Beinin durchaus auch einen politischen Sieg. Der Fabrikleiter Mahmoud al Gibali wurde abgesetzt und eine Untersuchung der Korruptionsvorwürfe gegen ihn versprochen. Der Aufsichtsrat wird zurücktreten – allesamt von der Regierung eingesetzte Leute. „Das ist ziemlich politisch“, sagt Beinin. Streikführer Mohamed Attar, der ebenfalls festgenommen worden war, weist die in der staatlichen Presse erhobenen Vorwürfe zurück, die Arbeiter würden sich von der politischen Opposition vereinnahmen lassen. „Wir kämpfen für eine repräsentative Vertretung, ein menschliches Dasein und Würde – politischer werden unsere Forderungen nicht. Aber sie beschränken sich auch nicht mehr auf Löhne allein.“ Da sie die Bildung unabhängiger Gewerkschaften nicht durchsetzen konnten, denken die Arbeiter in Mahalla über die Bildung von Arbeiterkomitees nach.

Die Regierung selbst hat eingestanden, dass das Wirtschaftswachstum von sieben Prozent, das auf einschneidende Reformen seit 2004 zurückgeführt wird, bisher der Masse der Ägypter nicht zugutegekommen ist. So versprach Premierminister Ahmed Nazif in einem Interview mit dem Tagesspiegel, dass „alle gesellschaftlichen Klassen“ an dem Aufschwung teilhaben würden, und kündigte den Aufbau einer allgemeinen Kranken- und Rentenversicherung an.

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