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Bodo Ramelow (Linke) will wieder Ministerpräsident in Thüringen werden.

© Martin Schutt/dpa

Äquidistanz: Der falsche Radikalenerlass

AfD und Linke lassen sich nicht auf eine Stufe stellen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Peter von Becker

Für das künftige Funktionieren der parlamentarischen Demokratie in Deutschland ist diese Frage weit über Thüringen hinaus von entscheidender Bedeutung: Wie verhalten sich CDU/CSU als noch immer wählerstärkstes Parteienbündnis zur Linken und zur AfD?
Auch die FDP pocht weiter auf eine „Äquidistanz“ zu den „extremistischen Rändern“. Doch dürfte es auf sie, nach ihrem jüngsten Desaster und wegen ihres weiterhin fehlenden programmatischen Profils, kaum noch ankommen.

Anders bei der Union, deren (noch aktuelle) bundespolitischen Spitzen jetzt wieder die Unvereinbarkeit einer Kooperation mit der Linken ebenso wie mit der AfD beschwören. Dieser innere Radikalenerlass freilich wirkt immer mehr nur als bedingter Reflex. Denn es fehlt offenbar am Unterscheidungsvermögen. An historischer wie aktueller Trennschärfe.

„Wir werden sie jagen!“, hat Alexander Gauland mit Blick auf die anderen Parteien am Abend der Bundestagswahl 2017 ausgerufen, als die AfD zur drittstärksten Fraktion gewählt worden war. Was für ein Begriff!

Ein gerichtsnotorischer Faschist namens Höcke

Gauland, promovierter Jurist und zuvor 40 Jahre Mitglied der CDU, bezeichnet sich und die AfD als „bürgerliche“ Kraft, ruft seine Anhänger gleichwohl auf zur politischen Menschenjagd. Nein, es ist nicht nur der ominöse Flügel und nicht erst ein gerichtsnotorischer Faschist, der die AfD tatsächlich abstoßend macht.

Es geht darum, dass das Gemisch aus Fremdenfeindlichkeit, Flüchtlingsfeindlichkeit, Gewaltrhetorik und Polemik gegen Millionen Mitbürger aus Migrantenfamilien all jene Ressentiments bedient, die an weit verbreitete Einstellungen im rechtskonservativen oder nazistischen Bürgertum in Deutschland vor 1945 anschließen. Dies widerpricht dem Menschenwürdesatz und den Gleichheitsrechten des aus historischen Erfahrungen entstandenen Grundgesetztes. Es gibt der AfD, die sich gerne als rechtsbürgerlich sehen will, den Anstrich einer neonazistischen Formation. Mit der Betonung auf der Silbe „neo“. Kann man aber die Linke als Nachfolgerin der PDS und der SED damit spiegelverkehrt gleichsetzen? Es würde bedeuten, die Linke als mehr oder weniger neokommunistische oder neostalinistische Partei zu begreifen.

Reste von Idealkommunismus

Reste von Idealkommunismus (der ursprünglich christliche Wurzeln hatte) und Vergesellschaftungsutopien gibt es bei der Linken gewiss. Aber eine dirigistische Abschaffung der sozialen Marktwirtschaft oder gar eine verfassungswidrige, weitgehende Beschränkung individuellen Unternehmertums und Besitzes fordert sie nicht.

Antikapitalismus oder Demokratischer Sozialismus sind, bei aller Unschärfe des real Gemeinten, heute kein Appell mehr an leninistische oder gar stalinistische (also: totalitär staatsterroristische) Ressentiments. Die Linke ist im Unterschied zur AfD eben keine essenziell menschenfeindliche, keine rassistische Partei. Trotzdem ist es verständlich, dass die Union keine Koalition mit der Linken will und auch die SPD dies zumindest auf Bundesebene bisher ausgeschlossen hat.

Zweifeln ja, aber tabuisieren?

Eine Partei, die fast bedingungslos die Nato verlassen will, die sich traditionell amerikafeindlich gibt, aber mit Diktatoren wie Putin oder Maduro sympathisiert, wirkt außenpolitisch bedenklich. Ergibt sich daraus aber ein sinnvolles Tabu?

Ein Manko der Linken bleibt ihre kaum diskutierte Mitverantwortung für provinziell nationalistische, fremdenfeindliche oder antisemitische Einstellungen in Teilen der ostdeutschen Bevölkerung. Der Erfolg der AfD ist dort auch ein Erbe der DDR, dem die Linke sich nicht stellt.

Sie hat vielmehr bestimmte ost-identitäre Einstellungen weiter befördert und wenig dazu beigetragen, nach der Wende eine vorbehaltlos kritische Auseinandersetzung mit der DDR-Diktatur zu suchen. Mit einem Staat, dessen gelenkte Medien in ihrer radikal anti-israelischen Haltung den aus der NS-Zeit mitgeschwemmten braunen, antisemitischen Bodensatz nur rot übertüncht und im Fluss gehalten hat.

Doch das sind andere, 30 Jahre nach dem Mauerfall nicht mehr durchgängig programmatisch oder personell verkörperte Widersprüche. Bodo Ramelow in Thüringen ist ein zweifelsfreier Demokrat. Mit ihm müssen Demokraten auch kooperieren können.

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