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Eine Möwe spaziert auf der Seebrücke im Seebad Sellin auf der Insel Rügen (Mecklenburg-Vorpommern).

© dpa

AfD-Erfolg in Mecklenburg-Vorpommern: Weiß ist der Strand – und braun das Land?

Sollen Urlauber wegen der AfD-Erfolge künftig die mecklenburg-vorpommersche Ostseeküste meiden? Nein, politischen Fehleinschätzungen kann man nur mit Aufklärung begegnen. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Gerd Appenzeller

Fremdenfeindlichkeit und Tourismus – das verträgt sich nicht miteinander. In der Kulturmetropole Dresden gingen, als Reaktion auf die weltweit medial verbreiteten Pegida-Aufmärsche, die Besucherzahlen um drei Prozent zurück. Welcher Weltenbummler aus Asien oder Afrika will sich schon dem Risiko aussetzen, beim Stadtbummel angepöbelt zu werden? Und welcher Künstler oder Wissenschaftler, dessen Äußeres nicht in das ethnische Klischee der deutschen Rechten passt, möchte wohl auftreten oder arbeiten, wo er nicht willkommen ist?

Das Ergebnis der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern war nun ein Schock für die Tourismusbranche an der Ostsee. Ausgerechnet in den Bädern auf Usedom, deren Besucherzahlen gerade angesichts der Unsicherheit in vielen fernen Urlaubszielen in die Höhe gingen, haben ungewöhnlich viele Wahlberechtigte ihre Kreuze auf den Stimmzetteln bei der AfD und der NPD gemacht. Im bis auf Usedom reichenden Wahlkreis Vorpommern-Greifswald III votierten 32,3 Prozent für die AfD und 5,6 Prozent für die NPD. Im Wahlkreis Vorpommern-Greifswald IV kamen beide Parteien zusammen auf 33,2 Prozent, und in der Gemeinde Peenemünde übersprangen diese Gruppierungen gemeinsam die 50-Prozent-Marke. Kann man da noch Urlaub machen?

Ein Blick in die jüngere Geschichte hilft bei der Urteilsbildung. In Bädern wie Zinnowitz oder Bansin gab es seit dem Beginn des Bädertourismus eine latent antisemitische Bewegung. Während Heringsdorf als Bad der Berliner Juden galt, rühmte sich Bansin als Bad der SS. Und Peenemünde war – Stichwort V1 und V2 – ein Zentrum der nazideutschen Rüstungsindustrie. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass sich über Elternhäuser und Vereine ganz allgemein fremdenfeindliche und speziell antisemitische Denkweisen fortgepflanzt haben. Mehr als sonst irgendwo in Deutschland, die sächsisch-tschechische Grenzregion vielleicht ausgenommen, gilt hier der Satz vom bösen Geist, der fortzeugend Böses gebiert. Generationen von Bildungspolitikern haben da versagt.

85 Prozent der Einwohner leben direkt oder indirekt von den Urlaubern

Der größte Widerspruch zwischen dem Wählerbekenntnis zu „deutschen“, fremdenfeindlichen Parteien und der Realität besteht jedoch darin, dass die mecklenburg-vorpommersche Ostseeküste von der Herkunft der Gäste aus betrachtet eines der deutschesten Urlaubsgebiete ist, das es gibt. Anders als etwa in Heidelberg oder in Bayern sind Urlauber aus allen Regionen der Bundesrepublik hier unter sich. Kaum ein Tourist hat einen anderen als einen deutschen Pass. Wer hier AfD wählte, gehört vermutlich zu jenen 60 Prozent der AfD-Anhänger, die sagen, sie hätten nur wenig von der Wende profitiert. Es sind jene, die sich abgehängt fühlen. Zwar leben 85 Prozent der Einwohner direkt oder indirekt von den Urlaubern, aber die Löhne in der Tourismusbranche sind schlecht, die Saison ist kurz, im Winter gibt es keine Arbeit, und die wahren Profiteure des Tourismus sind vermutlich vor allem jene, die nach der Wende das nötige Geld für Investitionen in Ferienanlagen oder Urlauberwohnungen hatten – und das waren fast immer Westler, kaum ehemalige DDR-Bürger.

Da hat die Landespolitik eine Aufgabe, und die hätte sie auch ohne die AfD sehen müssen. Wo immer, wie hier zwischen der DDR und Polen, Grenzen über Jahrzehnte hinweg verschlossen waren, bilden sich beidseits der Grenze Animositäten heraus. Die Lasten der Geschichte kommen dazu. Was mit Städtepartnerschaften versucht wurde und dem Austausch der Regionen, ist ausbaufähig. Auch bei der Qualität der Gastronomie lässt sich noch viel tun, um die Saison zu verlängern. Da hätte der Wirtschaftsminister in Schwerin eine Aufgabe. Und die lange umstrittene, aber dann doch gebaute Küstenautobahn sollte wirtschaftliche Impulse geben. Zu spüren sind sie noch nicht.

Grundsätzlich gilt ohnedies, dass man politischer Dummheit oder politischen Fehleinschätzungen nicht mit Boykott, sondern mit Aufklärung begegnen sollte. Wen ich boykottiere, wen ich schneide, auf den habe ich keinen Einfluss mehr. Vorurteile kann man nur korrigieren, indem man sie anspricht und widerlegt.

Also: Fahren wir, fahren Sie nach Usedom oder auf den Darß (wo die SPD übrigens dominierte), erholen Sie sich, helfen, die Wirtschaft anzukurbeln und zeigen, dass man dieses schöne Stück Deutschland nicht denen überlassen darf, die es im übertragenen Sinne wieder einmauern wollen. Wenn wir das nicht zulassen, ist diese Region nicht braun, sondern eine Reise wert.

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