zum Hauptinhalt
Als Parteipolitiker darf Seehofer viel mehr sagen.

© dpa/Carsten Koall

AfD klagt erfolgreich gegen Seehofer: In der Presse können Politiker noch sagen, was sie sagen wollen

Das Verfassungsgerichtsurteil könnte Medieninterviews für Amtsträger wieder interessanter machen – denn hier können sie sich freier fühlen. Eine Analyse.

Diesmal bedurfte es keiner Vorabinformation durch das Bundesverfassungsgericht, um sicher zu wissen, was da kommt. Am Dienstag hat der Zweite Senat unter Vorsitz des scheidenden Gerichtspräsidenten Andreas Voßkuhle einer Organklage der AfD gegen Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) stattgegeben.

Der Politiker hat demnach die Partei in ihrem Recht aus Artikel 21 Grundgesetz auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb verletzt, indem er ein Presseinterview auf der ministeriellen Webseite platzieren ließ. Darin bezeichnet Seehofer die Partei unter anderem als „staatszersetzend“.

Das Ergebnis war spätestens seit der mündlichen Verhandlung im Februar absehbar. Voßkuhle sprach damals, was er selten tat, von einem „in rechtlicher Dimension überschaubaren“ Fall. Tatsächlich hatte das Gericht in Entscheidungen zur früheren Bildungsministerin Johanna Wanka (CDU) und zur SPD-Politikerin Manuela Schwesig, damals Familienministerin, die Linien zur parteipolitischen Neutralität im Staatsamt klargezogen: Amtsträger dürfen sich zwar am – harten – Meinungskampf beteiligen, dafür aber keine staatliche Ressourcen nutzen.

Vom Presseprodukt zur Regierungs-PR

Wanka hatte in einer amtlichen Pressemitteilung vor der AfD gewarnt, Schwesig gegen die Partei in einem Presseinterview geätzt, das ihr die Richter allerdings als SPD-Auftritt durchgehen ließen. Der Seehofer-Fall legt die Muster übereinander. Erst ein Pressegespräch, das dann, neben anderen, auf der Homepage des Ministers landete.

Letzteres hätte sich der Minister sparen müssen. Denn damit wurde das Interview zwangsläufig vom Presseprodukt zur Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung. Die ende dort, so Voßkuhle, „wo Werbung für oder Einflussnahme gegen einzelne im politischen Wettbewerb stehende Parteien oder Personen beginnt“. Wer dies wolle, der müsse es „außerhalb seiner amtlichen Funktion“ tun.

Insoweit halten die Richterinnen und Richter die Äußerungen gegenüber der Deutschen Presse-Agentur (dpa) selbst für akzeptabel. Zwar sei ein Ministerinterview in der Überschrift angekündigt worden, doch im Verlauf wurde es immer parteinäher: Seehofer erzählte, dass er mit AfD-Gründer Bernd Lucke durchaus ein Bier getrunken hätte, ihn an den Parteierben aber deren „Wutausbrüche“ erschreckten.

Besonders empörte ihn AfD-Kritik am Bundespräsidenten, weil der im Internet für ein Konzert warb, bei dem eine für linksradikale Texte bekannte Band auftrat. Seehofer fand, deshalb den Präsidentenhaushalt im Parlament thematisieren zu wollen, sei ein „Frontalangriff“ auf das Staatsoberhaupt, für den Staat „hochgefährlich“.

Reden, wo Rollen verschwimmen

Seehofer wäre nicht Seehofer, wenn er sich das verbieten ließe. Auch im Amt dürften Meinungen „farbenfroh und deutlich“ ausfallen, hatte er sich verteidigen lassen. Man müsse den Anfeindungen und Aggressionen kraftvoll entgegentreten können. Der Minister habe damals einen „Kulturbruch“ brandmarken wollen. Sein parlamentarischer Staatssekretär Gunter Krings fürchtete sogar, dass sein Chef mit einem stattgebenden Urteil „mundtot“ gemacht werden könnte.

Eine Prognose, die der für klare Worte gerühmte Politiker („Das können Sie alles senden“) alsbald widerlegen wird. Dennoch, das machte Voßkuhle deutlich, bleibt jeder Fall ein Einzelfall.

Diesen Streit kann die AfD als Gewinn verbuchen und sich einmal mehr als Opfer eines von ihr abgelehnten Politikers der „Altparteien“ präsentieren. Auf der anderen Seite ist es ein für Seehofer günstiges Urteil, weil ihm gestattet bleibt, die Konkurrenz hart anzufassen – jedenfalls als Parteimensch.

Mag sein, dass damit Presseinterviews für Politiker wieder interessanter werden: Hier verschwimmen die Rollen, man kann für Parteien streiten und gegen andere wettern, in den Überschriften wird es trotzdem als (Amts-)Wort des Ministers überbracht. Das schafft Autorität, die per Klage kaum zu beseitigen ist.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false