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Auch Recep Tayyip Erdogan saß wegen eines Gedichts schon einmal im Gefängnis

© dpa

Affäre um Böhmermann: Erdogan-Anhänger freuen sich über Merkels Entscheidung

Angela Merkel macht den Weg frei für eine mögliche Anklage gegen den Satiriker Jan Böhmermann - die Anhänger des türkischen Staatschefs sind erfreut.

Es ist schon lange her. Aber auch Recep Tayyip Erdogan saß wegen eines Gedichts schon einmal im Gefängnis. 1999 verbrachte der heutige Staatspräsident wegen religiöser Volksverhetzung vier Monate im Knast, weil er bei einer Rede aus einem Gedicht zitierte, in dem die Moscheen als die Kasernen der Gläubigen bezeichnet werden.

Seitdem bezeichnet sich der heutige Präsident hin und wieder als Opfer unterdrückter Meinungsfreiheit. Ausgerechnet dieser Erdogan wolle nun einen Komiker wegen eines Gedichts ins Gefängnis schicken, schrieb ein türkischer Twitter-Nutzer am Freitag nach der Entscheidung von Angela Merkel, die Strafverfolgung von Jan Böhmermann zuzulassen. Erdogan selbst äußerte sich zunächst nicht. Doch seine Anhänger machten mit ihren Kommentaren im Netz deutlich, dass Merkels Beschluss auch Konsequenzen für Kritiker des Präsidenten in der Türkei haben könnte.

Forderungen der Opposition in Ankara, angesichts der Klagewelle Erdogans gegen seine Gegner den Straftatbestand der Präsidentenbeleidigung abzuschaffen, haben nun wohl erst recht keine Chance mehr. „Alle, die im Ausland über Pressefreiheit herumjaulen und in der Türkei die Präsidentenbeleidigung straffrei machen wollen, sollen sich das hinter die Ohren schreiben“, schrieb ein Erdogan-Fan auf Twitter mit Blick auf Merkels Erklärung.

Merkel will in die Türkei reisen

Nur am Rande wurde in der Türkei die Kritik der Kanzlerin am Druck auf die dortige Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit vermerkt: Solche Stellungnahmen aus Europa sind die Türken gewohnt – ändern tut sich dadurch jedoch kaum etwas. Erst am Vortag hatte die Regierung in Ankara den neuesten Bericht des EU-Parlaments zu den Zuständen in dem Bewerberland als unannehmbar zurückgewiesen. Auch dass die türkischen Behörden am Donnerstagabend den Zugang zu der Website der russischen Nachrichtenagentur Sputnik sperrten, wunderte die Wenigsten.

Aufmerksam wurde dagegen registriert, dass Merkel bald in die Türkei kommen will, um in der Stadt Kilis an der Grenze zu Syrien ein von der EU finanziertes Flüchtlingszentrum einzuweihen. Es sei doch nur natürlich, dass eine Regierungschefin wie Merkel, die aus Eigeninteresse die Türkei zu einem „Flüchtlingsdepot“ mache, Erdogan den Gefallen tue und Böhmermann vor Gericht stellen lasse, lautete ein Twitter-Kommentar.

Drohungen aus Ankara

Schon vor dem Fall Böhmermann hatte Erdogan den Europäern damit gedroht, den Flüchtlinsgdeal aufzukündigen, wenn die EU ihre Zusagen zur Aufhebung des Visumszwangs für Türken und zur Zahlung von bis zu sechs Milliarden Euro an Finanzhilfe nicht einhalten sollte. Nicht nur gegenüber Europa gibt sich Erdogans „Neue Türkei“ schroff. Bei einem Gipfeltreffen der Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC) in Istanbul sorgte der türkische Präsident am Freitag für Aufruhr, indem er säumige Beitragszahler unter den 56 Mitgliedstaaten öffentlich an den Pranger stellte.

Hinter dem wenig einfühlsamen Umgang mit Partnern in Ost und West steht die Selbstsicht Erdogans als Chef einer Führungsmacht – die in Europa ihre Vorstellungen von Meinungsfreiheit verfechten kann, während sie die islamischen Staaten zu besserer Zahlungsmoral anhält. Die Frage, ob dieses Vorgehen der Türkei auf lange Sicht hilft, ist offen.

Die Begründung Merkels für die Entscheidung, das Verfahren zuzulassen, lesen Sie hier.

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