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Affären: Bundeswehr in schwerer See

Ein Todesfall, dessen Umstände möglicherweise vertuscht wurden, verschwundene Feldpostbriefe aus Afghanistan und rüde Methoden auf der „Gorch Fock“: Was läuft schief bei der Bundeswehr?

Von Robert Birnbaum

Der Kommandant blickt in die Sonne an Deck und in die Kamera von „Bundeswehr-TV“. Auf dem Segelschulschiff „Gorch Fock“, sagt Kapitän zur See Norbert Schatz, gehe es nicht ums Segelnlernen. Das Schiff sei nur Mittel, „um einen Individualisten zum Teammitglied zu formen“, um „Erziehung“ und „Charakterbildung“. Im Licht der jüngsten Nachrichten von Bord des Dreimasters bekommen diese Worte einen eigentümlichen Beigeschmack. Wenn es stimmt, was Soldaten dem Wehrbeauftragten Hellmut Königshaus berichtet haben, haben sich auf Schatz’ Schiff Szenen abgespielt, die mit seemännisch-harter Charakterbildung nichts mehr gemein haben. Offiziersanwärter wurden unter Druck gesetzt und mit „Meuterei“-Vorwürfen eingeschüchtert; Führende haben versucht, darüber den Mantel des Schweigens zu decken.

Es ist nicht der einzige fragwürdige Vorgang. In Nordafghanistan sollen, von wem auch immer, Feldpostbriefe geöffnet worden sein. Der Tod eines Soldaten in der gleichen Region wird ein Fall für den Staatsanwalt. Und im Verteidigungsausschuss herrscht fraktionsübergreifend Ärger über Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), der vor Kameras Aufklärung verspricht, während seine Leute im Ausschuss ahnungslos die Schultern zucken.

Was weiß man über den Todesfall in Afghanistan?

Kurz vor dem Weihnachtsbesuch der Kanzlerin am 17. Dezember bei der Bundeswehr in Nordafghanistan starb ein 21-jähriger Hauptgefreiter in einem Außenposten nahe dem Aufbaulager Pol-e-Khomri. Es schien zunächst, als sei dem Soldaten das eigene Gewehr beim Reinigen losgegangen; Angela Merkel sprach von einem „tragischen Unglücksfall“. Das Parlament erhielt zunächst nur den Bericht, der Mann sei mit einem tödlichen Kopfschuss „aufgefunden worden“.

Minister Guttenberg hat es damals womöglich schon genauer gewusst; jedenfalls zitiert die Deutsche Presse-Agentur den Minister, der damals Merkel begleitete, mit dem Satz, es sei auch eine „Herzensfrage, diesen Kameraden, von dem das Unglück ausging, und seine Familie abzufangen“. Eben gegen diesen Kameraden prüft jetzt die Staatsanwaltschaft Gera die Aufnahme von Ermittlungen wegen fahrlässiger Tötung. Nicht nur ist längst klar, dass der Schuss aus seiner Waffe fiel und nicht aus der des Opfers. Es gibt auch Anhaltspunkte für den Verdacht, dass er nach Dumme-Jungen-Art mit seiner Pistole herumgespielt und auf das Opfer angelegt haben könnte.

Welche Erkenntnisse gibt es über die verschwundene Feldpost?

Der Fall ist mysteriös. Soldaten des Ausbildungs- und Schutzbataillons Masar-y-Sharif berichteten Königshaus bei seinem letztem Besuch, dass Briefe nach Deutschland – so der Wehrbeauftragte in seinem Schreiben vom Montag an Minister und Ausschuss – „offenbar in großer Zahl und systematisch“ geöffnet worden seien. Mancher Brief sei sogar ohne Inhalt daheim angekommen. Die Bundeswehr selbst ging nach Befragung der Soldaten am Donnerstag von zehn Betroffenen aus.

Der Zoll sei es nicht gewesen, vermutet Königshaus – die Zöllner versehen überprüfte Sendungen mit einem Aufkleber. Wer es dann war, ist unklar. Eins aber, insistieren Wehrexperten fraktionsübergreifend, müsse Guttenberg schnellstmöglich klären – ob ein Vorgesetzter aus falsch verstandenem Sicherheitsdenken Postzensur angeordnet haben könnte. Die betroffenen Soldaten waren schließlich mit der afghanischen Armee im Feld, sie könnten über Ausbildung und Einsätze mancherlei erzählen. Obendrein aber geht es um die gleiche Einheit, der der Tote angehört – und um den Zeitraum nach diesem Vorfall.

„Es wäre absolut nicht hinzunehmen, wenn das Verfassungsrecht auf Briefgeheimnis verletzt worden wäre“, sagt denn auch die FDP-Obfrau im Verteidigungsausschuss, Elke Hoff. „Das muss das Ministerium schnell ausschließen“, verlangt auch ihr Grünen-Kollege Omri Nouripour. Das ist umso mehr geboten, als viele Soldaten die Geheimniskrämer-Kultur der Bundeswehr sowieso mit Misstrauen beäugen. Und: Die Briefe nach Hause sind für die Männer und Frauen fernab von Internet und Telefon der letzte Rest privaten Freiraums.

Und was geschah auf dem Stolz der Marine, der „Gorch Fock“?

Die Vorgänge auf dem Segelschulschiff hat Königshaus mit seinen Mitarbeitern ausführlich dokumentiert. Am Anfang stand ein Todesfall, der sechste in der Geschichte des 1958 vom Stapel gelaufenen Dreimasters. Eine  25-jährige Offiziersanwärterin stürzte am 7. November während einer Aufenter-Übung in einem brasilianischen Hafen aus dem Hauptmast 27 Meter tief auf Deck. Sie starb wenig später.

Der Vorfall fachte an Bord die Debatte über die Ausbildungsmethoden an. Dazu gab es offenkundig Anlass. Königshaus’ Mitarbeiter bekamen bei einer Befragung Ende voriger Woche in der Marineschule Müritz zu hören, dass massiver Druck ausgeübt worden sei, um die Kadetten in die Masten zu jagen. „Wenn Sie nicht hochgehen, fliegen Sie morgen nach Hause!“ oder „... können Sie das Offizierspatent vergessen“. In luftiger Höhe hätten Ausbilder weiter gehetzt: „Geben Sie Gas, stellen Sie sich nicht so an!“ Sogar ein Kadett mit ausgeprägter Höhenangst sei auf den Mast getrieben worden.

Nun muss man wissen, dass kein Offiziersanwärter zum Aufentern gezwungen werden kann. Dass dieser Teil der Ausbildung freiwillig ist, sei sogar nach dem Tod der jungen Frau noch einmal betont worden, schreibt Königshaus. Doch das scheint nicht wirklich ernst gemeint gewesen zu sein. Viele Soldaten hätten sich in den Tagen nach dem Todesfall geweigert, wieder in die Wanten zu steigen; „andere wollten nicht mit der ’Gorch Fock’ weiterfahren“. Anscheinend machten auch Kadetten indirekt die rüden Schleifer-Methoden für den Tod ihrer Kameradin mitverantwortlich – jedenfalls wurde darüber debattiert, ob sie nicht genauso behandelt werden müsse wie eine Gefallene im Einsatz.

Der Kapitän bestellte zwei dienstältere Offiziersanwärter als Vermittler. Beide schilderten den Vorgesetzten die Stimmung. Doch statt sie zu beruhigen, eskalierte die Situation. Die Vermittler und zwei weitere Kameraden wurden massiv unter Druck gesetzt, der Meuterei und Aufwiegelung verdächtigt – beides nach dem Wehrstrafgesetz schwere Straftaten mit Freiheitsstrafen bis zu fünf, für „Rädelsführer“ sogar bis zu zehn Jahren. Sie sollten sofort nach Deutschland geflogen und als ungeeignet zum Offizier abgestempelt werden. Alle vier bekamen Ablösungsanträge vorgelegt.

Doch es kam anders: Die Marineführung in Deutschland entschied, die Ausbildung für den ganzen Lehrgang abzubrechen und die Kadetten nach Hause zu holen. Wer damals nach den Gründen fragte, bekam etwas von „Fürsorgepflicht“ nach dem tödlichen Unfall zu hören. Dass auf dem stolzen Schiff etwas nicht in Ordnung war – keine Rede davon. Die vier „Meuterer“ bekamen Anweisung, ihre Ablöseanträge zu vernichten.

Doch die offenkundige Vertuschungsaktion ging schief. Soldaten schrieben dem Wehrbeauftragten. Und auch verräterische Dokumente sind erhalten: „nicht in allen Fällen“, berichtet Königshaus, seien die Ablöseanträge vernichtet.

Dass quasi als Nebenfolge seiner Ermittlungen bekannt wurde, dass drei Mann der Stammbesatzung einem Kadetten mit Vergewaltigung gedroht haben sollen, rundet das düstere Bild ab. So düster wirkt es, dass Königshaus am Donnerstag selbst etwas relativierte: Dass die Ausbildung auf See hart sei und das Leben auf einem Schiff unbequem, das müssten Kadetten natürlich hinnehmen.

Was bedeutet das für den Minister?

Guttenberg hat am Donnerstag in allen Fällen „rückhaltlose Aufklärung“ zugesagt. Die Marine setzte ein Ermittlerteam an die Südspitze Feuerlands in Gang, wo die „Gorch Fock“ am Abend in den argentinischen Hafen Ushuaia einlaufen sollte. Im Verteidigungsausschuss herrscht trotzdem erheblicher Ärger. Dass die Abgeordneten die wahren Umstände des Todesfalls in Afghanistan eher zufällig und die übrigen Vorfälle nur von Königshaus erfahren haben – der Linke Paul Schäfer spricht offen aus, was viele denken: „Ist da versucht worden, etwas unter den Teppich zu kehren?“ FDP-Frau Hoff nennt „das Aufklärungs- und Informationsmanagement der Bundeswehr stark verbesserungsbedürftig“, spricht sogar von „Führungsversagen“.

Der Vorwurf richtet sich an Vorgesetzte in der Truppe, aber auch an Guttenberg und das Ministerium. Dessen Vertreter, sagen alle, die dabei waren, sahen am Mittwoch im Ausschuss schlecht aus. Marineinspekteur Axel Schimpf sei „wortkarg“ gewesen, erzählen Teilnehmer; der Parlamentarische Staatssekretär Thomas Kossendey habe zur Aufklärung ebenfalls wenig beigetragen. Guttenberg aber sei wie so oft nur eine halbe Stunde da- und bei den kritischen Punkten schon wieder weg gewesen. Den Obleuten missfallen diese Kurzbesuche seit langem. Sie haben den Freiherrn aufgefordert, sich künftig mehr Zeit für das Parlament zu nehmen, dessen Armee er immerhin kommandiert.

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