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Die Bundeswehr am Hindukusch ist angewiesen auf die Fähigkeiten der US-Truppen, vor allem auf deren Helikopter.

© dapd

Afghanistan: Abziehen? Und wenn ja, wann? Und wie? Und unter welchen Voraussetzungen?

Die Ankündigung von Präsident Karsai, früher als geplant die Sicherheitsverantwortung zu übernehmen, befeuert die Debatte um einen beschleunigten Rückzug vom Hindukusch. Der Nato-Gipfel im Mai soll die Richtung weisen. Womöglich weit über Afghanistan hinaus.

Von Michael Schmidt

Berlin - Geht jetzt womöglich alles ganz schnell? Komplimentiert der afghanische Präsident Hamid Karsai die internationalen Truppen höflich, aber bestimmt aus dem Land? Gibt der amerikanische Oberbefehlshaber, Präsident Barack Obama, der Kriegsmüdigkeit in den wahlkämpfenden Vereinigten Staaten nach und holt seine Soldaten schneller heim als geplant? Und was hieße das für die Verbündeten, für Europa, die Bundeswehr?

„Wenn die Amerikaner gehen, können die Deutschen nicht bleiben“, sagte Omid Nouripour, Verteidigungsexperte der Grünen. Die Bundeswehr am Hindukusch ist angewiesen auf die Fähigkeiten der US-Truppen, vor allem auf deren Helikopter. Sie bieten Unterstützung bei Gefechten und beim Ausfliegen Verwundeter.

Aber wollen die USA das Land beschleunigt verlassen? Grund genug hätten sie. Die Amerikaner sind des Einsatzes überdrüssig, sie vermissen Erfolge, sie sähen es gern, wenn ihre Steuermilliarden genutzt würden, um daheim Arbeitsplätze zu schaffen. Obama selbst würde sich gern als Präsident präsentieren, der Kriege beenden kann. Und am Hindukusch wird der Riss zwischen Afghanen und internationalen Truppen mit jedem Tag größer – nicht zuletzt, weil US-Soldaten immer wieder aus der Rolle fallen.

Zwar sagte Obama bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem britischen Premierminister David Cameron, seine Regierung halte an ihren Plänen fest, die Kampftruppen bis Ende 2014 abzuziehen. Der Abzug müsse auf „verantwortungsvolle Art und Weise“ geschehen, um zu verhindern, „dass wir am Ende wieder zurückkehren müssen“.

Aber ungeachtet solcher Durchhalteparolen gaben ranghohe Mitarbeiter des Weißen Hauses offenbar gezielt Informationen an US-Medien weiter, wonach man sehr wohl diskutiere, ob die Truppenstärke von derzeit knapp 90 000 Soldaten, die bis September um 22 000 Mann reduziert werden soll, bis Ende 2013 weiter reduziert werden könne.

Der Deutsche Bundeswehrverband warnte vor einem überhasteten Abzug als Reaktion auf die Ankündigung aus Kabul, die volle Sicherheitsverantwortung im ganzen Land bereits ein Jahr früher zu übernehmen, als bisher geplant. „Sollte jetzt der innenpolitische Druck auf Präsident Karsai so groß geworden sein, dass er die Debatte über ein vorzeitiges Ende des Übergabeprozesses befeuert, so kann ich nur sagen: Druck ist in diesem Fall kein guter Ratgeber“, sagte Bundeswehrverbandschef Oberst Ulrich Kirsch. „Der Rückzug darf nicht überhastet und unkoordiniert beschleunigt werden. Es ist einiges erreicht worden – das dürfen wir jetzt nicht vorschnell aufgeben. Dazu kommt, dass wir die Kräfte, die noch im Land bleiben, nicht durch Abzugsbewegungen gefährden dürfen“, sagte Kirsch.

Ausschlaggebend seien ohnehin nicht derartige Zahlenspielereien am grünen Tisch im Pentagon oder Weißen Haus in Washington, sondern die Situation vor Ort, sagte Markus Kaim von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik: Entscheidend sei „nicht die Frage der Quantität, sondern die Frage der Qualität, das heißt der Sicherheitslage, und die stellt sich von Distrikt zu Distrikt, von Provinz zu Provinz anders dar“.

Wie also soll es, wie kann es jetzt weitergehen? Alle Blicke richten sich gespannt auf den Nato-Gipfel, der Ende Mai in Chicago stattfindet. „Dort müssen die Karten auf den Tisch gelegt werden“, sagte die liberale Verteidigungsexpertin Elke Hoff und forderte auch die Nato auf, ihre Abzugspläne zu konkretisieren. „Wer Termine nennt, muss auch sagen, wie und mit welchen Ressourcen der Abzug erfolgen kann – und was der Auftrag der Soldaten sein soll, die nach 2014 noch im Land bleiben sollen: Sicherung des Raums? Schutz der afghanischen Regierung? Training der afghanischen Sicherheitskräfte?“ Von den Antworten hänge schließlich ab, was an Soldaten, Material und Fähigkeiten im Land bleiben solle. Im Übrigen sei 2014 ein Wahljahr, in dem laut Verfassung Karsais letzte Amtszeit ende – deshalb müsse „die Bundesregierung auf dem Nato-Gipfel klären“, ob der Schutz der Wahlen eine zusätzliche Aufgabe der internationalen Schutztruppe Isaf sein wird „und wie die Nato damit umgeht, wenn 2014 ein Machtvakuum oder ein Machtkampf entsteht, weil Präsident Karsai vielleicht gar nicht gehen will“.

Für den SPD-Verteidigungsexperten Rainer Arnold muss die internationale Gemeinschaft in Chicago vor allem klären, wer künftig die afghanischen Sicherheitskräfte finanziert. Da gehe es um Milliarden. Milliarden, die die afghanische Regierung nicht hat. Kabul wird auch diesbezüglich auf Hilfe von außen angewiesen sein. Wer also zahlt wie viel? „Wenn wir darauf keine verlässliche Antwort geben, dann zerbröseln uns Armee und Polizei in Afghanistan.“ Und damit die Voraussetzung für jede verantwortungsvolle Übergabe von Verantwortung.

Die Frage der Lastenteilung – für Josef Braml von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik wird sie den Nato-Gipfel prägen. Und zwar weit grundlegender, als Arnold es im Sinn hat. „Der Europäer glaubt gerne, der böse Amerikaner solle ruhig gehen, wir holen die Kartoffeln aus dem Feuer.“ Der Amerikaner sehe das, naturgemäß, anders. Aus Sicht der USA „sind wir Trittbrettfahrer und Schmarotzer“, sagte Braml und erinnerte daran, dass die USA mehr als einmal schon mehr Solidarität von Europa eingefordert haben. Seine Erwartung: In Chicago werden Europas Staaten womöglich erstmals begreifen, dass der Blick der USA längst in eine andere Richtung gehe, weg von Europa, hin zu Asien: Wirtschaftspolitisch und zunehmend eben auch sicherheitspolitisch setze Washington nicht mehr wie selbstverständlich auf Europa, sondern suche nach Partnerschaften weit über die Nato hinaus. „Wenn Europa sich nicht stärker einbringt, dann werden die Amerikaner sich verlässlichere Verbündete in Asien suchen.“ Der Nato-Gipfel könnte Weichenstellungen bringen, die weit über die Frage hinausweisen, wie es am Hindukusch weitergeht.

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