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© EPA

Afghanistan: Auf der Straße ins Unbekannte

Der Krieg in Afghanistan wird blutiger, die Kriminalität nimmt zu, die Menschen wollen Sicherheit – Begegnungen in Kabul.

Am 20. August wählen die Afghanen einen neuen Präsidenten, erst zum zweiten Mal in ihrer Geschichte. Doch die Angst vor Anschlägen ist allgegenwärtig. Und wird von der Wirklichkeit nahezu täglich genährt. Am gestrigen Samstag kamen bei einem Selbstmordanschlag vor dem Nato-Hauptquartier in Kabul mindestens sieben Menschen ums Leben. Es steht nicht gut um Afghanistan, im achten Jahr nach dem Sturz der Taliban. Von Frieden keine Spur. Die Rebellen erstarken und versuchen mit Attacken, die Wahl zu stören. Kabul gleicht einer besetzten und belagerten Stadt. Straßenkontrollen und Stacheldraht, wohin man sieht. Und Waffen. Ob Soldaten, Polizisten oder Türsteher, alle sind sie bewaffnet – und bereit, jeden Moment zu schießen.

Stanley McChrystal ist ein drahtiger Mann mit Stoppelhaar. Seit Juli ist der Mittfünfziger Chef der Nato-Truppe Isaf und der US-Truppen in Afghanistan. Das Bild, das der US-General malt, ist alles andere als rosig. Der Krieg wird immer blutiger. Die Taliban seien dabei, die Oberhand zu gewinnen, warnte McChrystal jüngst. Sie seien auf dem Vormarsch – gerade auch im Norden, wo die Deutschen sitzen.

Hinter Kabul erheben sich die kargen Bergketten des Hindukusch, der Himmel ist wolkenlos blau. Im Gartencafé des Isaf-Hauptquartiers sitzen Soldaten an Holztischen und gönnen sich eine Kaffeepause. Abends spielt hier manchmal die Soldatenkapelle „Taliband“. Die Kulisse wirkt unwirklich, surreal. Man fühlt sich unversehens aus Kabul in einen Biergarten in München oder Berlin versetzt.

Doch die Idylle ist trügerisch. Die Stimmung ist gedrückt. Immer mehr Soldaten sterben. Im Juli wurden 74 ausländische Soldaten getötet – so viele wie noch nie in einem Monat seit Ende 2001. Bald 100 000 ausländische Soldaten aus 40 Ländern sind in Afghanistan stationiert. Das größte Kontingent stellen die Amerikaner, gefolgt von den Briten und den Deutschen mit mehr als 4000 Mann.

Auch die Deutschen werden immer mehr in diesen Krieg hineingezogen, den sie nicht so nennen dürfen. In Kundus, das bisher als relativ sicher galt, wird es zusehends ungemütlich. Die Taliban haben sich in der Region breitgemacht und attackieren das deutsche Feldlager nun mehrfach in der Woche. Mit Raketen und Selbstmordattentätern. McChrystal ist besorgt. Kundus drohe zum neuen Brandherd zu werden, warnt er. Die Deutschen müssten offensiver kämpfen. Washington und London stimmen die Bevölkerung bereits auf weitere Todesopfer ein. In Berlin will man das lieber nicht so offen sagen. Doch eins steht fest: Es wird gefährlicher in Kundus. Ein Deutscher rückt die Verhältnisse aber zurecht: „In den ganzen bald acht Jahren starben 35 Deutsche in Afghanistan. Die Briten haben allein im Juli 22 Mann verloren.“

„Ich liebe die Deutschen, die Kultur, das Land“, schwärmt Parwana Fazly. Die 33-Jährige, die der Minderheit der Tadschiken angehört, ist eine schöne Frau mit hohen Wangenknochen und schrägen Augen. Ihr dicker, hellblauer Lidstrich passt farblich perfekt zur Handtasche und zum Kopftuch, das sie lose übers schwarze Haar geworfen hat. Für westlichen Geschmack mag das Make up zu grell sein. Aber hier, wo Frauen sich lange unter Burkas verstecken mussten, ist die Schminke auch ein Stück Freiheit, ein Stück plakative Emanzipation.

Wir sitzen im Garten des Goethe-Instituts, im Schatten eines Baumes. In der früheren DDR-Botschaft, deren Büros nun „Klassenzimmer“ heißen, spielt sich eine deutsche Erfolgsgeschichte ab. Etwa 1200 Afghanen lernen derzeit Deutsch. Immer öfter passiert es einem, dass Afghanen einen auf der Straße mit „Guten Tag“ grüßen. Wie Fazly oder Mirwais Wardak. Gekleidet in Jeans und T-Shirt unterscheidet den 26-Jährigen mit dem Jungmännerbart nicht viel von Gleichaltrigen im Westen. Der Paschtune kommt aus der Provinz Wardak, 35 Kilometer von Kabul entfernt. Er würde gerne wählen an diesem 20. August. Aber er hat wie viele andere zu viel Angst. Nicht vor den Taliban, sondern vor Gangstern. „Es ist sehr gefährlich. Ich bin sicher, dass ich entführt werde, wenn ich zurückgehe.“ Und dann sagt er jenen Satz, den viele nur denken, der aber den Frust vieler Afghanen zusammenfasst: „Sagen wir doch die Wahrheit, unter den Taliban war es jedenfalls sicher. Damals konnten wir die Haustür die ganze Nacht offen lassen.“

Aus dem Interview wird unversehens ein Streitgespräch. Zwischen den Geschlechtern, zwischen dem liberalen und dem konservativen Afghanistan. „Aber die Taliban waren gegen die Frauen“, wendet die Tadschikin Parwana ein. „Aber nicht gegen die Männer“, kontert der Paschtune Mirwais. Natürlich müsse seine künftige Ehefrau Burka tragen und im Haus bleiben: „Es ist nicht richtig, dass Frauen arbeiten gehen“. Parwana, die Lehrerin, widerspricht: „Warum lässt Du deine Frau nicht selbst entscheiden?“ Er: „Ich will nicht, dass andere Männer sie sehen.“

Nachts, wenn sich Dunkelheit über Kabul senkt, leeren sich die Straßen, nur noch wenige Autos sind unterwegs. Noch immer spuken die Geister von 30 Jahren Krieg durch die Stadt. An Straßenecken rosten Wracks russischer Panzer vor sich hin. In den Ruinen nie vollendeter sowjetischer Plattenbauten hausen obdachlose Familien, in unverputzten Löchern ohne Heizung und Fensterscheiben. Nicht weit entfernt, in den Nobelvierteln, haben Drogenbarone und andere Reiche Prunkvillen hochgezogen, die nun große Organisationen und Firmen anmieten – angeblich für 20 000 Dollar im Monat.

Immerhin gibt es seit Jahresanfang die meiste Zeit Strom, rechtzeitig vor der Wahl. Die ganzen Jahre zuvor wurde selbst die Hauptstadt nur alle paar Tage für zwei, drei Stunden mit Elektrizität versorgt. Das Volk saß im Dunkeln, nur die Reichen können sich teure Dieselgeneratoren leisten. Und die Ausländer. Etwa 10 000 Ausländer sollen sich in Kabul tummeln. Es ist ein buntes Völkchen, das im Tross des Krieges mitzieht. Helfer, Geschäftsleute, Journalisten, Experten aller Art. Nach vier Jahren in Afghanistan ist Bruc, der seinen richtigen Namen nicht nennen will, desillusioniert. „Die Sicherheit hat sich dramatisch verschlechtert.“ Die Macht der Regierung ende an den Stadttoren Kabuls.Teile des Landes seien außer Kontrolle. Entführungen und Erpressungen seien gang und gäbe, die Arme der Drogenmafia reichten bis in die Regierung. Auch auf Gerichte und Polizei könnten die Menschen nicht setzen. Diese seien oft korrupt oder überfordert. „Viele Menschen wenden sich deshalb wieder den Taliban zu“, sagt Bruce. An einen Sieg glaubt er kaum noch. „Raus hier“, ist sein Rat.

Am Flughafen treffen wir Zahira. Mit ihrem Mann ist sie in die USA ausgewandert, als die Russen 1979 ihre Heimat besetzten. Nun ist sie für einen Monat zurückgekehrt. Das Kabul ihrer Jugend hat sie nicht mehr wiedergefunden. Die alten Freunde, die liberale Elite sei längst weg. Auch sie ist ratlos. „Die Afghanen mögen keine Ausländer“, sagt sie. Sie würden die fremden Soldaten als Besatzer empfinden. Afghanistan könne diesen Krieg letztlich nur selbst gewinnen. Aber dazu brauche das Land eine schlagkräftige Armee und Polizei. Und für deren Aufbau brauche man die Hilfe der Ausländer. „Afghanistan“, sagt sie, „ist auf einer Straße ins Unbekannte.“

Christine Möllhoff[Kabul]

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