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Bundeswehrsoldaten fahren in einem Marder-Panzer im Einsatz bei Char Darah in der Provinz Kundus in Afghanistan.

© dpa

Afghanistan: Aus der Deckung

Ständig gibt es Nachrichten von Anschlägen, Toten und Verletzten. Wieder ist ein deutscher Soldat gestorben. Was läuft schief in Afghanistan?

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Eigentlich war Thomas de Maizière am Donnerstag beim Evangelischen Kirchentag in Dresden nur als Zeitzeuge gefragt: „Ich war dabei“ heißt der Titel der Veranstaltung, bei der der CDU-Politiker jungen Leuten über seine Rolle bei und nach der deutschen Einheit Auskunft geben wollte. Doch am Morgen erreichte den Verteidigungsminister eine schlechte Nachricht. Wieder ist in Afghanistan ein deutscher Soldat umgekommen. Es ist der vierte Tote in de Maizières noch kurzer Amtszeit. „Die Häufung der Anschläge sorgt uns“, sagt der Minister bei einer rasch improvisierten Pressekonferenz. „Ich habe Verständnis für die Frage, ob unsere Strategie richtig ist.“ Aus seiner Sicht ist die Antwort allerdings klar: „Vor Gewalt darf man nicht weichen.“

Wie lief der Anschlag ab?

Der deutsche Soldat starb am Donnerstagmorgen bei der Explosion einer Sprengstofffalle. Fünf weitere Kameraden wurden verletzt, zwei von ihnen schwer. Sie gehörten zu einem gemischten deutsch- afghanischen Team, das ausgerechnet den Auftrag hatte, eine Straße im Kandahari-Gürtel südlich von Kundus auf solche Sprengfallen hin abzusuchen. Die Soldaten, die mit einem Schützenpanzer „Marder“ unterwegs waren, waren Teil des Sicherungszuges für die Bombenspürtrupps. Die Sprengladung detonierte in unmittelbarer Nähe ihres Panzers. Die Attentäter hatten sich für ihren mörderischen Anschlag symbolträchtiges Gebiet ausgesucht. Das schwer zugängliche Gebirgsland auf halbem Weg zwischen dem deutschen Feldlager Kundus und der Stadt Pol-e-Khumri war lange Zeit eine Hochburg aufständischer Kämpfer – teils Taliban, teils Truppen lokaler Kriegsfürsten. Erst vor kurzem hatten Afghanen, Deutsche und Amerikaner gemeinsam die Aufständischen verdrängt; jetzt läuft eine Operation unter dem Codenamen „Bahar“, die das Ziel hat, den eroberten Raum zu halten. Dieses Vorgehen folgt dem taktischen „Taschen“-Konzept, das die internationale Schutztruppe Isaf seit einem guten Jahr auch im deutschen Kommandobereich in Nordafghanistan anwendet: Ausgehend von den befestigten Feldlagern, soll den Taliban ihre Vorherrschaft Gebiet um Gebiet abgenommen werden. Anders als es vorher oft üblich war, ziehen sich die verbündeten Truppen danach aber zurück. Sie versuchen mit einer Mischung aus Patrouillen, festen Plätzen, Kontrollpunkten und Hilfe für die Bevölkerung, die eroberten „Taschen“ dauerhaft zu einer weitgehend befriedeten Zone unter Aufsicht der afghanischen Sicherheitsorgane zu machen.

Was bedeutet das für den Abzugsplan?

Jahrelang endete der Einflussbereich der Bundeswehr in Kundus nach wenigen Kilometern. Insgesamt gesehen hat sich die Lage in der Region Char Darah inzwischen deutlich entspannt. Die Taliban sind noch da, aber sie beherrschen das Land nicht mehr. Die neue Taktik ist zentraler Bestandteil des Abzugsplans, den sich die Nato für die Isaf zurechtgelegt hat. Ab Jahresende sollen erste ausländische Truppen das Land am Hindukusch verlassen, bis 2014 sollen die Afghanen selbst die Verantwortung für ihre Sicherheit übernehmen. Entscheidend für das Gelingen dieses sehr ambitionierten Plans ist, dass es bis dahin genug – und vor allem genug brauchbare – afghanische Soldaten und Polizisten gibt. Voraussetzung ist aber auch, dass zumindest keine größeren Regionen mehr in Taliban-Hand sind. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg. De Maizière hat schon klargemacht, dass der für Jahresende geplante erste Teilabzug eher symbolischer Natur sein wird – die Uniformierten, die dann gehen sollen, werden Posten in der Verwaltung oder in technischen Bereichen räumen. An den Abzug von Kampftruppen ist noch nicht zu denken. Als de Maizière neulich in Washington war, hat er die US-Regierung eindringlich gebeten, es ihrerseits mit dem Abzug nicht zu übertreiben. Erst die massive US-Unterstützung im Norden mit Kampfeinheiten, aber auch dringend benötigtem Gerät wie Hubschraubern hat die Bundeswehr überhaupt in die Lage versetzt, die „Taschen“-Taktik erfolgreich anzuwenden. Die Bundeswehr muss allerdings jetzt immer öfter die Erfahrung machen, dass der Erfolg seinen Preis hat: Je weniger es den Aufständischen gelingt, ganze Gebiete zu beherrschen, um so stärker verlegen sie sich wieder auf Einzelanschläge mit möglichst hoher Symbolwirkung. „Unsere Strategie greift: Die Taliban haben an Boden verloren“, sagt de Maizière. „Es bleibt ihnen nur noch, mit Gewalt den Eindruck von Stärke zu vermitteln.“

Ändern die Taliban ihre Strategie?

Relativ neu ist das Anschlagsmuster, dem letztlich auch der Bombenanschlag auf eine Sicherheitskonferenz in Talokan am vorigen Samstag folgte: Die Attentäter sind vermeintliche Verbündete der Isaf, oft sogar in Uniform, die plötzlich auf ihre eigenen Kameraden schießen. Zwar erwies sich in Talokan die anfängliche Vermutung als falsch, dass ein Mann in Polizeiuniform sich selbst in die Luft gesprengt hatte. Doch die Bombe, die auch zwei deutsche Soldaten und den Polizeichef Nordafghanistans tötete und den Isaf-Kommandeur General General Markus Kneip verletzte, konnte nur mithilfe von Insidern in dem hoch gesicherten Gouverneurssitz versteckt und im richtigen Moment gezündet werden. Gegen diese neue Bedrohung vorzugehen ist schwer, zumal niemand genau weiß, wer die Attentäter sind: Von langer Hand eingeschleuste „Schläfer“, kurzfristig erpresste und „umgedrehte“ Afghanen oder manchmal auch bloß Männer mit tödlichen Kurzschlussreaktionen? Gegen menschliche Zeitbomben im Inneren des Sicherheitsapparats lässt sich kaum etwas ausrichten. De Maizière will jetzt wenigstens sicherstellen, dass sich nicht Attentäter unbemerkt von außen einschleichen können. Die Bundeswehr soll künftig, wie es die USA schon heute tun, alle ihre afghanischen Helfer mit einem Mobil-Lesegerät für den Augenhintergrund scannen – die High-Tech-Personenkontrolle war zwar schon vor vielen Monaten vereinbart worden, kam aber wegen Datenschutzbedenken in der deutschen Wehrverwaltung nicht voran.

Was ändern die Anschläge an der Zusammenarbeit der internationalen Truppen mit afghanischen Sicherheitskräften?

Viele Afghanen betrachten die ausländischen Soldaten längst nicht mehr als Befreier von den ungeliebten Religionskämpfern und als Garanten einer besseren Zukunft. Seit im Westen immer lauter von Abzug die Rede ist, sehen sich die Patrouillen der Bundeswehr wachsendem Desinteresse, ja Abwehr gegenüber. Die Soldaten, die Kontakte zu Einheimischen halten sollen, berichten von zunehmender Abschottung: Die Menschen hielten Informationen zurück und gingen den Fremden aus dem Weg, kurz, die Nato-Kämpfer würden nur noch als Besuch behandelt, der ja doch bald wieder geht. Ein gutes Verhältnis zu den Ausländern gilt vielen als Gefahr für eine Zukunft, von der niemand weiß, wer dann das Sagen haben wird. Umgekehrt steigern die Anschläge aus den eigenen Reihen das Misstrauen zwischen Isaf und afghanischer Armee. Das Vertrauen in die Waffenbrüder war schon vorher begrenzt. Zu oft liefen gemeinsam geplante Operationen ins Leere, weil die Taliban gewarnt worden waren. Die deutsche Führung ging dazu über, afghanische Kommandeure und Einheiten erst im letzten Moment einzuweihen. Dennoch scheiterte manche Operation an der mangelnden Disziplin der Afghanen und ihrer ungenügenden Ausbildung. Die schlechte Bezahlung in der Armee trägt das Ihre dazu bei, dass die aus Drogengeldern üppig finanzierten Taliban und lokale Warlords sich Informationen oder gleich den ganzen Mann kaufen können. „Von uns wendet denen keiner seinen Rücken zu“, sagen viele deutsche Soldaten über ihre afghanischen Partner. Steigt das Misstrauen weiter, gerät die Taktik des „Partnering“ in Gefahr. Dass Isaf- Truppen und Afghanen gemeinsam kämpfen, ist aber eine tragende Säule im Gesamtkonzept, weil bis auf Weiteres keiner von beiden imstande ist, Gebiete zu erobern und zu halten. De Maizière lehnt denn auch eine Abkehr von diesem Vorgehen ab. „Unsere Soldaten werden weiter auf Patrouille fahren, sie werden weiter ihre afghanischen Kollegen ausbilden, damit sie sich einmal selbst schützen können“, sagt der Minister. Trotz allem sei im Norden die Gefahr von Anschlägen geringer als in anderen Landesteilen.

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