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Vor wenigen Jahren hat die Truppe ein neues Schießausbildungskonzept erhalten, dass sich stark an den Gegebenheiten im Afghanistaneinsatz orientiert.

© dpa

Afghanistan-Connection: Gefährlich einseitige Schießausbildung

Unter dem Eindruck des Afghanistaneinsatzes hat die Bundeswehr die Schießausbildung reformiert. Eine Verengung des Blickwinkels mit gravierenden Folgen.

Von Michael Schmidt

Ende 2014 endet der Kampfeinsatz am Hindukusch, dann war die Bundeswehr 13 Jahre in Afghanistan. Mit weitreichenden Folgen für die Truppe. „Vom Einsatz her denken“ – dieser Satz hat sich als Leitmotiv der Streitkräftereformen der letzten Jahre durchgesetzt. Bei der Ausrichtung und Ausrüstung – und auch der Ausbildung. Vom Einsatz her denken heißt in diesem Fall: den Einsatz in Afghanistan zum Maßstab der Ausbildung machen. Vom Einsatz her wurde natürlich schon immer gedacht – nur war zu Zeiten des Kalten Kriegs der potenzielle Feind ein anderer, nämlich die Panzerarmeen des Warschauer Paktes.

Vor wenigen Jahren wurde, wie Recherchen des Tagesspiegels und des ARD-Magazins „Fakt“ zu einer Afghanistan-Connection im Verteidigungsministerium ergaben, ein neues Schießkonzept entwickelt, das heute die Grundlage der Ausbildung jedes Soldaten darstellt, in der Grund-, aber auch später in der Spezial- und Vollausbildung. Bis ins Jahr 2000, sagt der Militärhistoriker Erwin Starke, „haben wir über 200 Jahre im Prinzip die gleiche Schießausbildung im Deutschen Heer gehabt: der Einzelschuss, der gezielte Einzelschuss – und jetzt gibt es das neue Konzept.“ Ein Konzept, das man eher von Sondereinsatzkommandos der Polizei kenne, sagt der Major der Reserve. Was ist das Neue daran? Die Afghanistanorientierung.

Die überwiegende Mehrzahl aller Feuergefechte in Afghanistan wird in der Nahdistanz, unter 50 Metern, geführt. Also gibt man jedem Soldaten zusätzlich zum Gewehr (wie bisher) noch eine Pistole (neu) und bildet nun das Nahbereichsschießen unter ständigem Wechsel der Waffe aus.

Seit den 20er und bis in die 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts galt der Grundsatz, dass jeder Soldat in seiner Grundausbildung an den verwendeten Standardhandwaffen auszubilden sei. Heute lernt der Rekrut die Panzerfaust und das MG erst vergleichsweise spät kennen: Sie werden ihm gezeigt – wirklich beherrschen tut er sie auch dann noch nicht. Mit der Folge, dass alles, was über Pistole und Gewehr hinausgeht, in eine Spezialausbildung verlagert wird und sich dadurch schon auf unterster Ebene ein Spezialistentum herausbildet, was in Krisensituationen zu Gefahren und Komplikationen führen kann.

Statt in Deckung zu gehensoll der Soldat sich direkt ins Feuer drehen

Denn für den Feuerkampf wird dem Soldaten nun beigebracht, nicht mehr, wie früher, sofort in Deckung zu gehen, zum Beispiel in einen Graben zu springen, wenn er beschossen wird, dann die Lage zu klären und zu gucken, wo der Feind steht und was am besten zu tun ist. Sondern heute heißt es: sehr schnell reagieren, sich frontal zum gegnerischen Schützen hindrehen, hinknien und das Feuer erwidern. Im Wissen um die nur leichte Bewaffnung des Gegners. Und im Vertrauen auf die eigene schusssichere Körperpanzerung aus Weste und Helm, die der Infanterist – selbst mit 30 bis 40 Kilo Ausrüstung am Körper eine Art kleiner Panzer – heute trägt. Das ist, wie Historiker Starke feststellt, etwas ganz anderes, als über Jahrhunderte vorher gemacht wurde – und habe eben seinen Hintergrund allein in den Erfahrungen am Hindukusch.

Was jedoch im Falle der Taliban mit ihren Kalaschnikows ein probates Mittel ist, würde sich bei einem Gegner, der über schwere Waffen oder Handgranaten verfügt, zu einem Horrorszenario entwickeln. Was tun, wenn der Gegner kein Afghane ist, der ungezielt ein paar Schuss in die Gegend abgibt, sondern ein ernst zu nehmender, gut ausgebildeter Soldat ganze Maschinengewehrsalven abfeuert? Arme, Beine, Gesicht sind einem Gegner schutzlos preisgegeben – wenn dessen Feuerkraft groß ist, sind die Folgen verheerend: Auf eine solche Situation angewandt, wäre die Anwendung dieses Schießkonzepts lebensgefährlich. Nur: „Etwas anderes, als Szenarien aus asymmetrischen Kriegen mit einem nur leicht bewaffneten Gegner haben die Soldaten gar nicht mehr im Kopf“, sagt Starke.

Die "Afghanistan-Connection" ist eine Recherchekooperation des Tagesspiegel und des ARD-Magazins "Fakt". Alles zum Thema finden Sie unter www.afghanistan-connection.de

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