zum Hauptinhalt

Afghanistan: Dramatische Entwicklung

Die Lage in Nordafghanistan verschlechtert sich zunehmend – und die Aufbauhilfe wird immer schwieriger.

Berlin - Die Bundeswehr muss in Afghanistan mit weiteren Angriffen rechnen. Der Gouverneur der Provinz Kundus, Mohammed Omar, geht davon aus, dass sich mehrere potenzielle Selbstmordattentäter am Standort der deutschen Soldaten aufhalten, die Anschläge planen. Die ausländischen Soldaten sind jedoch nur ein mögliches Ziel für Attentate. Der Gouverneur sagte der Deutschen Presse Agentur, er selbst stehe ebenfalls im Fokus. Und auch Hilfsorganisationen sind akut gefährdet. Der Vorfall am vergangenen Donnerstag, bei dem deutsche Soldaten an einem Checkpoint mutmaßlich eine Frau und zwei Kinder erschossen, habe zwar keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Stimmung in der Bevölkerung gehabt, erklärt Walter Osenberg von der Deutschen Welthungerhilfe. „Die Bedrohung hat seit einiger Zeit jedoch insgesamt deutlich zugenommen.“ Er bescheinigt der Bundeswehr, sich nach dem tödlichen Zwischenfall besonnen verhalten zu haben. Sie sei auf die Familie der Opfer zugegangen. „Das ist hier sehr positiv aufgenommen worden.“

Nach wie vor gelte, dass die Deutschen bei der afghanischen Bevölkerung beliebt seien – auch im Norden, erklärt auch Thorsten Hinz, Länderreferent der Caritas, die nach dem vergangenen, harten Winter in Nordafghanistan Nothilfe leistete und nun Vorsorgeprojekte für den kommenden Winter betreibt. Vor Angriffen schützt sie das aber nicht, denn von Aufständischen, so berichten die Helfer, werden Ausländer als Besatzer oder Kollaborateure der Kabuler Regierung gesehen. Das gilt für Soldaten ebenso wie für Mitarbeiter von Hilfsorganisationen. Die Welthungerhilfe hat ihr nordafghanisches Projektbüro bereits von Kundus ins etwa eine Stunde entfernte Talokan verlegt, wo es bislang noch vergleichsweise ruhig zuging. Auch auf der Straße zwischen den beiden Städten wurde am Sonntag allerdings ein Anschlag auf eine Bundeswehrpatrouille verübt. Laut Osenberg gibt es rund um Kundus bereits vier Distrikte, die die afghanischen oder internationalen Sicherheitskräfte nicht mehr unter Kontrolle haben. „Dort können wir gar nicht mehr oder nur noch eingeschränkt arbeiten.“ Die Welthungerhilfe, die im Norden Afghanistans unter anderem Wasser- und Aufforstungsprojekte betreut, will trotz der Gefahr bleiben.

Auch Medico International macht weiter, obwohl es die Arbeit in der Region im März vorübergehend einstellte, nachdem mehrere Mitarbeiter ihrer afghanischen Partner getötet worden waren. Die Organisation unterstützt im Norden mit Mitteln des Auswärtigen Amtes Minenräumprojekte. Koordinator Sönke Widderich beobachtet bereits seit Mitte vergangenen Jahres eine deutliche Zunahme von Angriffen auf ausländische Truppen und Organisationen in Nordafghanistan. „Die Täter sind dabei keineswegs immer nur Taliban. Auch alte Warlords und andere Oppositionelle werden immer gewalttätiger“, berichtet er. Aus seiner Sicht macht der Norden eine „dramatische Entwicklung“ durch. Caritas-Mitarbeiter Thorsten Hinz warnt zudem vor einer allgemeinen Gewaltspirale. „Angesichts der unsicheren Lage nimmt auch die allgemeine Kriminalität zu.“ So seien Kriminelle zunehmend darauf aus, Ausländer zu entführen, um sie dann an Aufständische zu verkaufen.

Verteidigungsminister Franz Josef Jung sprach sich am Montag dennoch klar für die Fortsetzung des deutschen Engagements in Afghanistan aus. Bei der Trauerfeier für den am vergangenen Mittwoch bei einem Anschlag getöteten deutschen Soldaten sagte der CDU-Minister in Zweibrücken: „Wir dürfen Afghanistan jetzt nicht allein lassen.“ Das Land dürfe nicht zurückfallen und wieder zum Ausbildungscamp für Terroristen werden. Unmittelbar vor der Trauerfeier wurde die Bundeswehr in der Nähe der nordafghanischen Stadt Kundus erneut angegriffen. Eine Patrouille wurde mit Handfeuerwaffen beschossen. Verletzt wurde diesmal niemand. Ein weiterer Zwischenfall ereignete sich in der Nähe der afghanischen Hauptstadt Kabul, nachdem auch dort drei Zivilisten bei einem Einsatz ausländischer Truppen getötet worden waren. Aus Protest gegen die Aktion blockierten hunderte Demonstranten mit brennenden Autoreifen die Haupt-Verbindungsstraße von Kabul nach Dschalalabad. Die näheren Umstände des Vorfalls sind ebenfalls noch unklar.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false