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Afghanistan-Einsatz: "Was will Deutschland noch in der Nato?"

"Schicksalsgemeinschaft" war gestern: Die kanadische Regierung sieht das Nato-Bündnis durch den Afghanistan-Disput über die Entsendung deutscher Truppen zunehmend in Frage gestellt.

Auf große Hoffnungen folgt tiefe Enttäuschung. Hochrangige kanadische Politiker und Wissenschaftler werfen Deutschland vor, seine Nato-Alliierten bei der Aufstandsbekämpfung in Afghanistan alleine zu lassen und sehen dauerhafte Schäden für die transatlantischen Beziehungen. „Kanada hat die Erwartung aufgegeben, dass die Deutschen ihm zu Hilfe kommen – wenn auch voller Reue“, sagte der Politologe und Nato-Experte David Haglund am Wochenende bei einer deutsch-kanadischen Sicherheitskonferenz an der Universität von Toronto.

Kanadas Öffentlichkeit könne es nicht verstehen, wieso die Bundesrepublik, mit der man in Zeiten des Kalten Krieges eine „Schicksalsgemeinschaft“ empfunden habe, sich nun weigere, ihren Nato-Alliierten im umkämpften Süden Afghanistans militärische Hilfe zu leisten. Haglunds provokante Forderung: „Die Deutschen müssen sich fragen: Was wollen sie dann eigentlich noch in der Nato? Was hat ein Land, das militärische Einsätze hasst, in einer militärischen Allianz zu suchen?“ Ähnlich scharfe Kritik kam von Bob Rae, dem außenpolitischen Sprecher der Liberalen Partei, die bezüglich des Afghanistan-Einsatzes Kanadas konservative Minderheitsregierung unterstützt.

Der deutsche Einsatz im kaum umkämpften Norden Afghanistans sei „wenig erfolgreich“, vor allem die bis zum vergangenen Jahr von der Bundesrepublik übernommene Aufgabe, die afghanische Polizei zu trainieren und neu zu organisieren. „Wir müssen freimütiger sagen, was gescheitert ist und wieso es gescheitert ist“, sagte Rae mit Bezug auf Deutschlands Einsatz. Andere Teilnehmer der Konferenz, die im Munk-Zentrum für internationale Studien stattfand, bezeichneten die deutschen Bemühungen beim Aufbau der afghanischen Polizei gar als „den größten einzelnen Fehler, den ein Nato-Land in Afghanistan begangen hat“.

Aus Sicht des Außenpolitikers Rae zeigt das deutsche Beispiel in Afghanistan, dass die Nato dringend Kriterien festlegen müsse, was bei dem Einsatz als Erfolg oder Misserfolg bewertet wird – und dann entscheidet, welches Land welche Aufgaben übernimmt. „Wir alle müssen mehr zusammenarbeiten, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen“, appellierte Rae an die europäischen und nordamerikanischen Teilnehmer der Tagung, unter denen auch hochrangige deutsche Diplomaten waren. Zwar sei es ein „großer Erfolg“, dass sich Deutschland überhaupt in Afghanistan engagiert. „Aber jetzt müssen wir auch schauen, dass wir Fortschritte machen – und wir müssen hartnäckiger sagen, wie wir die erreichen wollen.“ Der Disput um Afghanistan hat gerade bei jenen Kanadiern, die in der Vergangenheit Deutschland gegenüber sehr positiv eingestellt waren, eine große Enttäuschung hinterlassen, diagnostiziert Politologe Haglund. Der „liebgewonnene Mythos einer besonderen Beziehung zwischen unseren beiden Ländern“ sei durch die Erkenntnis ersetzt worden, dass Deutschland wie jedes andere Land primär seinen eigenen Interessen folge. Aus Haglunds Sicht, die von anderen Konferenzteilnehmern bekräftigt wurde, illustriert die deutsche Ablehnung von Kampfeinsätzen in Afghanistan ein fundamentales Strukturdefizit der Nato: Fehlende Sanktionsmechanismen für kampfunwillige Partner. Wenn Alliierte wie Deutschland „zu wenig leisten, haben sie keine Strafen zu befürchten, außer einer öffentlichen Bloßstellung – und sie können nicht aus dem Club hinausgeworfen werden“. Dies führe zwar nicht zum „Tod der Nato“, wie ihn manche Beobachter befürchten. Aber es reduziere die Bedeutung des Militärbündnisses auf eine „Werkzeugkiste“, in der nur noch einzelne Koalitionen geschmiedet werden; eine „vollwertige Allianz“ sei die Nato aber nicht mehr. Sondern eine Einheit, „deren Ganzes weit weniger ist als die Summe seiner Teile“.Lars von Törne

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