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Afghanistan: Erst Sicherheit – dann Hilfe

Dirk Niebel hat ein Problem. Der Entwicklungsminister von der FDP hat für den Norden Afghanistans eine groß angelegte Aufbauinitiative versprochen. Dafür wurde die Hilfe auf 250 Millionen Euro jährlich verdoppelt. Eine Studie für das Entwicklungsministerium über die Wirksamkeit der Afghanistanhilfe wirft jedoch Fragen auf.

Forscher der Freien Universität Berlin kommen in einer von Niebels Ministerium in Auftrag gegebenen Studie zu dem Schluss, dass es wenig sinnvoll ist, immer mehr Geld in unsichere Landesteile zu pumpen. Dies halten sie für teuer und wenig effektiv. Angesichts der sich verschlechternden Sicherheitslage im Norden Afghanistans wirft dies Fragen zu den deutschen Plänen auf.

„Die generelle Tendenz in Afghanistan, Entwicklungshilfe auf unsichere Regionen zu konzentrieren, sollte überdacht werden“, schreiben Christoph Zürcher, Jan Koehler und Jan Böhnke. Die Wissenschaftler haben im April 2007 und im März 2009 gemeinsam mit einem afghanischen Forschungsinstitut jeweils rund 2000 Haushalte in knapp 80 nordafghanischen Dörfern zur Wirkung der deutschen Entwicklungshilfe befragt.

Der positive Aspekt: 2009 gaben deutlich mehr Menschen an, von Entwicklungshilfe zu profitieren als noch 2007. Vor allem die Versorgung mit Strom, Trinkwasser und Nahrungsmitteln hatte sich demnach verbessert. „Die Studie zeigt: Die Hilfe kommt an und wird von der Bevölkerung positiv wahrgenommen“, kommentiert Niebel. Doch schon 2009 erklärten die Befragten, dass sie sich vor allem bessere Sicherheitsbedingungen wünschten. Zwischen 2007 und 2009 stieg die Zahl derer, die sich außerordentlich stark bedroht fühlen, um mehr als 40 Prozent. Inzwischen dürften es noch weit mehr sein.

In einem solchen Umfeld kann mehr Hilfe nach Auffassung der Forscher nicht dazu beitragen, die Situation zu verbessern. „Friedensdividenden in Form von Entwicklung können lediglich in sicheren Gegenden erreicht werden“, heißt es in der Studie. In Unruheregionen scheinen die Taliban erfolgreich gegen Ausländer Stimmung zu machen. „Die Propaganda der Taliban hat die westliche Hilfe als unislamisch stigmatisiert“, schreiben die Berliner Wissenschaftler. 40 Prozent der von ihnen befragten Afghanen, doppelt so viele wie 2007, verdächtigten westliche Hilfsorganisationen, traditionelle und islamische Werte zu gefährden. Ihr Fazit lautet daher: Die Hilfe sollte auf sichere Regionen konzentriert werden.

Das Entwicklungsministerium sieht in dem Rat keinen Widerspruch zur angekündigten Entwicklungsoffensive. „Der zivile Aufbau wird vor allem dort intensiviert, wo wir eine ausreichend tragfähige Sicherheitsstruktur bereits aufbauen konnten“, sagte ein Sprecher dem Tagesspiegel. Vernetzte Sicherheit heißt dieses Konzept. Niebel selbst hatte Ende Januar bei der Vorstellung seiner Afghanistan-Politik gesagt, die deutsche Hilfe solle mit Unterstützung der Bundeswehr im Norden möglichst schnell in „die Fläche“ gebracht werden. Wo die Soldaten die Lage stabilisiert hätten, müssten rasch Erfolge sichtbar werden. Bisher sind die ausländischen Soldaten der internationalen Isaf-Schutztruppe und ihre afghanischen Partner von der Sicherung ganzer Regionen allerdings weit entfernt, wie die jüngsten Anschläge auf deutsche Soldaten belegen. Tatsächlich spitzt sich die Lage sogar täglich weiter zu. Deshalb bleibt die Frage: Wohin mit den neuen Geldern?

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