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Afghanistan: Für Washington bleibt der Einsatz alternativlos

Zwei Tage nach der Veröffentlichung von 92.000 als "vertraulich" eingestuften Dokumenten zum Krieg in Afghanistan kommen Amerikas Medien und Experten für die Region zu dem Schluss, dass die Unterlagen keine sensationellen Neuigkeiten enthalten und keinen Anlass geben, die Strategie zu korrigieren.

Zwei Tage nach der Veröffentlichung von 92 000 als „vertraulich“ eingestuften Dokumenten zum Krieg in Afghanistan übt sich das Weiße Haus in Schadensbegrenzung. „Die Dokumente offenbaren keine Sachverhalte, die nicht schon Teil der öffentlichen Diskussion über Afghanistan waren“, erklärte Präsident Barack Obama in seiner ersten öffentlichen Stellungnahme dazu am Dienstag. Das Weiße Haus versuchte vielmehr, aus dem für die Regierung peinlichen Bruch der Geheimhaltung eine Bestätigung abzuleiten, wie notwendig und richtig der Kurswechsel in Afghanistan sei, den Präsident Barack Obama im Winter 2009 eingeleitet hatte. Die veröffentlichten Dokumente betreffen die fünf Jahre davor, in denen die Taliban wieder erstarkt waren und die Operationen der US-Streitkräfte und der Nato auf zunehmenden Widerstand stießen.

Zunächst hatte die Publikation beträchtliche politische Unruhe in Washington ausgelöst, weil unklar war, welche Art von Informationen die Unterlagen enthalten und weil im Kongress die Abstimmung über die Bewilligung von weiteren 37 Milliarden Dollar für die Kriege in Afghanistan und im Irak ansteht. Das Internetportal Wikileaks, das die Unterlagen am Sonntag veröffentlichte, hatte behauptet, deren Inhalt werde das öffentliche Bild des Krieges verändern und eine ähnlich explosive Wirkung haben wie die „Pentagon Papers“ über den Vietnamkrieg. Deren Veröffentlichung durch die „New York Times“ 1971 trug zur Stimmungswende gegen den Krieg bei. US- Medien weisen diese Bewertung zurück, der Vietnamvergleich sei übertrieben.

Doch auch wenn die Dokumente laut Obama keine Geheimnisse enthüllen, werden in ihnen Namen, Operationen und logistische Unternehmungen genannt. „Das stellt eine sehr reale und potenzielle Bedrohung für jene dar, die jeden Tag sehr hart für unsere Sicherheit arbeiten“, sagte Obamas Sprecher Robert Gibbs. Experten meinen, die potenziell bedrohlichste Folge der Veröffentlichung sei deren Auswirkung auf die Kooperation der USA und der Nato mit offiziellen Vertretern Pakistans und Afghanistans. Viele Dokumente betreffen Erkenntnisse der USA, dass Teile des pakistanischen Geheimdienstes ISI die Taliban unterstützen und sogar an der Vorbereitung von Anschlägen auf westliche Truppen beteiligt waren. Und dass afghanische Provinzmachthaber westliche Hilfsgelder veruntreuen und durch ihre Korruption die Bemühungen der Nato behindern, die lokale Bevölkerung zu gewinnen. Diese Probleme sind bekannt. Die USA sehen aber keine Alternative dazu, dennoch mit den Machthabern in Pakistan und Afghanistan zusammenzuarbeiten.

Die Regierung Obama befürchtet nun zweierlei: Erstens könnte die öffentliche Unterstützung für den Afghanistaneinsatz in allen Nato-Ländern nachlassen, wenn die Bevölkerung erneut erfährt, in welchem Maße offizielle Stellen in Pakistan und Afghanistan die Stabilisierung seit Jahren sabotieren. Zweitens könnten die Kooperationspartner in beiden Staaten beleidigt reagieren, weil ihre Unzuverlässigkeit als Bündnispartner bloßgestellt wird.

Um solche negativen Reaktionen aufzufangen, telefonierte der US-Generalstabschef Admiral Mike Mullen mit Pakistans Militärchef General Parvez Kayani. Und der US-Botschafter in Kabul Karl Eickenberry sprach mit Afghanistans Präsident Hamid Karsai.

Führende Politiker der Demokraten und der Republikaner forderten eine Untersuchung, wie die Unterlagen in die Medien gelangten. Nach amerikanischer Rechtsprechung macht sich derjenige strafbar, der vertrauliche Regierungsdokumente weiter gibt, nicht aber die Medien, die sie veröffentlichen. Als Erstes wurden Computer überprüft, die der Gefreite Bradley Manning benutzt hatte. Er wird beschuldigt, das Video eines Luftangriffs im Irak an Wikileaks weitergegeben zu haben, bei dem zwei Journalisten der Nachrichtenagentur Reuters 2007 starben. Der in Kuwait inhaftierte Manning sei auch bei der Weitergabe der Geheimdokumente zum Afghanistan-Einsatz eine „Schlüsselfigur“, sagte Pentagon-Sprecher Geoff Morrell im Fernsehsender MSNBC. Noch sei aber nicht klar, „auf welche Weise“.

Die US-Zeitungen stellen Wikileaks auffallend kritisch dar. Selbst die „New York Times“ beschreibt Wikileaks distanziert, obwohl sie die Dokumente gemeinsam mit dem britischen „Guardian“ und dem deutschen „Spiegel“ vorab zur Auswertung erhalten hatte. Der Chefredakteur der „Times“, Bill Keller, hatte vor der Veröffentlichung mit dem Sicherheitsberater des Präsidenten, James Jones, über die Gefahren gesprochen, die sich daraus für US-Truppen in Afghanistan ergeben, um diese Risiken gegen das öffentliche Informationsinteresse abzuwägen.

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