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Kabul

© dpa

Afghanistan: Kampfzone Hauptstadt

Zehn Tage vor Afghanistankonferenz greifen die Taliban Regierungsgebäude und ein Geschäftszentrum an.

Immer wieder erschüttern Explosionen die Stadt, Flammen lodern aus Gebäuden, Gewehrsalven peitschen durch die Luft. Über dem Zentrum Kabuls steigen dicke Rauchschwaden auf. Verängstigt haben sich die Menschen in ihren Büros und Wohnungen, manche unter Tischen verkrochen, während draußen der Krieg tobt – mitten im Herzen von Afghanistans Hauptstadt Kabul, unter den Augen der Internationalen Gemeinschaft und der ausländischen Truppen.

Nur zehn Tage vor der internationalen Afghanistankonferenz in London hat das kriegsgebeutelte Land am Hindukusch einen neuen Albtraumtag erlebt. Trotz massiver Sicherheitkontrollen gelang es am Montag 20 bis 30 Taliban, darunter etwa zehn Selbstmordattentätern, in das von Polizisten und Soldaten wimmelnde Zentrum der Hauptstadt einzusickern. Die Großattacke, die einer militärischen Kommandoaktion glich und im Stil an den Angriff auf die indische Metropole Mumbai Ende November 2008 erinnerte, war die schwerste und schockierendste seit fast einem Jahr.

Über Stunden glich Kabul einer Kampfzone. Hunderte afghanische und ausländische Truppen machten in Straßen und Gebäuden Jagd auf die Attentäter, die sich aufgeteilt hatten und verschiedene Gebäude besetzten. Hauptziele des Angriffs waren das Regierungsviertel, der Präsidentenpalast sowie das Luxushotel Serena, wo auch Ausländer gerne absteigen. Auch zwei Einkaufszentren und ein Kino waren betroffen. Nach offiziellen Angaben starben mindestens sieben Aufständische, vier Sicherheitskräfte und ein Zivilist. Mindestens 36 Menschen, darunter Polizisten und Soldaten, wurden bei den Gefechten verletzt.

Die Attacke startete wohl nicht zufällig am Morgen, zwischen neun und zehn Uhr. Zu dieser Zeit begann Präsident Hamid Karsai damit, im Präsidentenpalast mehrere Minister seiner neuen Regierung zu vereidigen. Mit dem Angriff wollten die Taliban den Menschen offenbar vor Augen führen, dass auch die neue Regierung nicht in der Lage ist, selbst die Hauptstadt zu schützen.

Über Stunden lieferten sich Sicherheitskräfte und Terroristen im Regierungsviertel und um den Präsidentenpalast Kämpfe und Feuergefechte. „Es ist völlig chaotisch, wir wissen nicht, was wir tun sollen und wo wir hinsollen“, zitierte Reuters einen Mitarbeiter, der in einem Regierungsgebäude nahe des Palastes eingeschlossen war. Erst nach fünf Stunden konnte Karsai Entwarnung geben. „Die Sicherheitslage ist unter Kontrolle und die Ordnung ist wiederhergestellt“, ließ er verkünden.

Der US-Sonderbeauftragte für die Krisenregion, Richard Holbrooke, der sich nach einer Kurzvisite in Kabul bereits in Delhi aufhielt, tat den spektakulären Angriff als Verzweiflungstat der Taliban ab. Die Menschen in Kabul dürften das anders sehen. Acht Jahre nach dem Sturz der Fundamentalisten wird die Angst selbst in der Hauptstadt zum ständigen Begleiter, seit Monaten kommt es immer wieder zu Angriffen.

Tatsächlich scheinen auch die USA kaum noch zu glauben, dass sie die Taliban besiegen können. Wiederholt erklärte Holbrooke, dass Verhandlungen mit den Fundamentalisten hohe Priorität für Washington hätten. Angedacht könnte sein, dass man den Extremisten unter der Etikette „Föderalismus“ ganze Provinzen in Afghanistan überlässt, wenn sie dafür den Kampf einstellen.

Die neue Strategie von US-Präsident Barack Obama scheint auch vorzusehen, dass Indien eine größere Rolle übernimmt. Unter anderem sollen die Inder offenbar verstärkt die afghanischen Sicherheitskräfte ausbilden. Großbritannien soll zudem vorgeschlagen haben, Indien und weitere Länder in einen „Sicherheitsschirm“ für Afghanistan einzubinden. Bisher war Indien in Afghanistan nicht militärisch engagiert, weil der Westen Sorge hatte, dass dies den Dauerkonflikt mit dem Erzfeind Pakistan anheizt.

Die Pakistaner fürchten nichts mehr, als dass Indien in ihrem „Hinterhof“ Afghanistan an Einfluss gewinnt und Pakistan in die Zange nimmt. Das Verhältnis zwischen Pakistan und den USA leidet derzeit, US-Diplomaten beklagen, sie würden in Pakistan schikaniert. Mit Blick auf die Londonkonferenz hatten die Außenminister von Pakistan und Iran sowie ihr scheidender Amtskollege aus Afghanistan am Wochenende erklärt, der Afghanistanplan solle „nur direkte Nachbarländer“ einschließen. Dies war offensichtlich gegen eine stärkere Rolle Indiens in Afghanistan gemünzt.

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